Corinna Juranek (52) aus Wien, Ernährungs-Expertin, Functional Trainerin und Greyhair-Model, setzt sich für ein diverseres Frauenbild in unserer Gesellschaft ein. Ganz bewusst zeigt sie ab und zu auch freizügige Bilder von sich. HEYDAY–Beauty-Expertin Martina Davidson sprach mit Corinna unter anderem über Erotik, das Bild der modernen Frau und die Macht von Social Media
HEYDAY: Liebe Corinna, du bist seit 30 Jahren Model. Was gefällt dir ganz besonders an deinem Beruf?
Corinna: Die Kreativität, das Expressive und die Teamarbeit standen schon immer Vordergrund. Ich habe aber auch immer wieder Pausen eingelegt – einerseits um andere berufliche Interessen zu verfolgen, andererseits um zu heiraten und eine Familie zu gründen. Dass ich die Möglichkeit hatte, in diesen Beruf zurückzukehren, meine persönliche Entwicklung einfließen zu lassen, begünstigt durch die gesellschaftlichen Veränderungen der letzten Jahre – all das hat diesen Job im Laufe der Zeit für mich passend und besonders gemacht.
Du hast eben die großen, gesellschaftlichen Veränderungen angesprochen – wie wirkt sich das auf deine Arbeit aus?
Genauso, wie ich es mir wünsche: Dass wir in der Werbung endlich ein vielfältigeres Frauenbild sehen – mehr Diversität, unterschiedliche Körperformen, auch kurvige, drahtige oder kleinere Frauen. Dazu diverse Altersgruppen, ältere Ü-50-Frauen, unterschiedliche Haarfarben, natürlich auch Grau und Weiß, und vor allem zunehmend verschiedenste Persönlichkeiten. Das war auch der Hauptgrund, warum ich diesen Beruf wieder neu für mich entdeckt habe. Es ist eine große Motivation für mich, dazu beizutragen, dass das nicht nur ein vorübergehender Trend bleibt, sondern gelebte Realität und Selbstverständlichkeit wird.
Du bist sehr aktiv auf Instagram, Corinna. Es sind aber nicht nur deine wunderschönen Fotos, die deinen Account so besonders machen: Du präsentierst dich mit deiner gesamten Persönlichkeit und inspirierst mit deinen Posts viele Menschen. Welche Rolle spielt dein Social-Media-Auftritt, wenn Kunden dich für Kampagnen buchen?
Heute gehen Kunden fast selbstverständlich davon aus, dass Models auf Social Media aktiv sind. Sie erhoffen sich natürlich, dadurch etwas von deren Bekanntheit und Reichweite zu profitieren. Sie versuchen aber auch ein Statement zu leisten, indem sie sich bewusst für entsprechende Models, Influencer, Blogger entscheiden, die für ganz bestimmte Werte stehen, sich klar für gewisse Themen einsetzen und Teil einer lebendigen Community sind.
„Ich wünsche mir ein vielfältigeres Frauenbild in den Medien – unterschiedliche Körperformen, auch kurvige, drahtige oder kleinere Frauen. Dazu diverse Altersgruppen, ältere Ü-50-Frauen, unterschiedliche Haarfarben, natürlich auch Grau und Weiß und verschiedenste Persönlichkeiten“
Welche Fotoshootings sind dir als besondere, als magische Momente in Erinnerung geblieben?
Jetzt mit 50 empfinde ich das Modeln allgemein als besonders, weil ich es viel bewusster mache und erlebe, als früher in jüngeren Jahren. Es ist im Grunde wie eine zweite Chance, sich noch mal auszuprobieren und immer wieder neu zu erfinden. Generell sind jene Shootings magisch, bei denen die Chemie im Team von Anfang an stimmt. Wenn alle an einem Strang ziehen, eine Vision vor Augen haben, versuchen sie gemeinsam umzusetzen. Wenn ich gefordert bin, meine Komfortzone zu verlassen, das ganze Team mich dabei unterstützt und sogar noch beflügelt. Wenn es um Leidenschaft geht und man vergisst sogar auf die Uhr zu sehen.
In den letzten Jahren wurde vermehrt auch über die Schattenseite der Modebranche gesprochen. Viele Models äußerten sich zu sexuellen Übergriffen und Nötigungen, auch im Zuge der Me-Too-Diskussion. Was denkst du darüber und wie hast du gerade auch die vergangenen Zeiten persönlich erlebt?
Ich bin darüber sehr froh, dass sich auch in diesem Bereich einiges zum Positiven verändert hat. Heute wird generell sehr viel achtsamer und respektvoller miteinander umgegangen – egal ob innerhalb der Agenturen oder bei Produktionen direkt. Es wird viel mehr darauf geachtet, dass sich alle wohlfühlen, alle zu essen und zu trinken haben, sich ungestört umziehen können. Ich habe es in den 90ern selbst noch anders erlebt: Als Models noch mehr als Ware betrachtet, für dumm und ungebildet gehalten und ihre persönlichen Grenzen regelmäßig verletzt wurden. Inzwischen gibt es einige Initiativen, insbesondere durch Models selbst, die sich für deren Rechte einsetzen und sich auch darum bemühen, das Business allgemein transparenter zu gestalten. In diesem Zusammenhang haben auch einige Marken ihre Strategie geändert, was natürlich auch begrüßenswert ist.
„Das Bild der modernen Frau jeden Alters hat sich verändert. Aber das bisher Erreichte ist nicht genug, deshalb dürfen wir nicht aufhören, uns dafür einzusetzen“
Es ist sicher nicht leicht, in einer Branche, in der es so sehr um Makellosigkeit geht, entspannt älter zu werden. Wie gelingt dir das und was ist das Geheimnis?
Mein Vorteil ist wahrscheinlich, dass ich als jüngeres Model in der Öffentlichkeit nicht so bekannt war und daher nicht ständig mit meinem alten Ich verglichen werde. Des Weiteren wird man ja bekanntlich mit dem Älterwerden auch gelassener.
Wenn ich heute gebucht werde, geht es bei mir genau darum, wie ich jetzt bin, wie ich jetzt aussehe, mit Falten und grauen Haaren. Das bedeutet aber nicht, dass von mir nicht erwartet wird, meinem Alter entsprechend fit, gepflegt und strahlend auszusehen.
Und das ist es auch, was mich persönlich interessiert: andere Frauen zu inspirieren, in jeder Lebensphase die beste Version ihrer selbst zu sein. Das gelingt durch Selbstliebe, Self-Care und ein positives Mindset – etwas Sport und eine ausgewogene Ernährung schaden natürlich auch nicht.
Viele Frauen fühlen sich ab ihrer Lebensmitte nicht mehr gesehen, empfinden sich als „unsichtbar”. Wie erlebst du das, Corinna?
Ich kenne natürlich diese Äußerungen und Gedanken – glaube aber, dass das so nicht mehr ganz stimmt. Es hat sich ja schon einiges gesellschaftlich getan. Das Bild modernen Frau, nicht nur der jungen, auch des mittleren Alters und auch darüber, hat sich verändert. Es ist nicht mehr nur konservativ und antiquiert. Ganz im Gegenteil, es ist selbstbestimmter denn je. Aber das bisher Erreichte ist natürlich immer noch nicht genug. Deshalb dürfen wir auch nicht aufhören, uns dafür einzusetzen.
Ich persönlich denke, dass diese Annahme, irgendwann „unsichtbar zu sein“, vor allem an den Bildern liegt, mit denen wir selbst aufgewachsen sind und die wir immer noch in uns tragen. Das heißt, wir müssen uns fragen, warum wir uns so fühlen und von wem wir überhaupt gesehen werden wollen. Das ist in erster Linie, wie so oft, ein innerer Prozess. Und das „wie und von wem“ können wir selbst steuern, in unserem Alltag oder den sozialen Medien. Es erfordert mitunter etwas Mut, wirkt aber auf viele, insbesondere ältere Frauen, sehr befreiend und empowernd.
„Diese Annahme, irgendwann „unsichtbar zu sein“, liegt vor allem an den Bildern, mit denen wir selbst aufgewachsen sind und die wir immer noch in uns tragen“
Apropos Mut: Kostet es dich Überwindung, freizügige Bilder von dir zu zeigen, wie etwa auf deinem Instagram-Account?
Na ja, manchmal schon. Anfangs, nachdem ich vor ein paar Jahren wieder zu Modeln begonnen habe, habe ich gar nicht daran gedacht, dass jemand an freizügigen Bildern von mir interessiert sein könnte. Da habe ich mich aber getäuscht. Denn Frauen mittleren Alters sind häufig sehr kritisch mit sich selbst oder beschäftigen sich immer noch zu viel mit der unangebrachten Kritik anderer. Für sie ist es sehr wichtig und nahezu heilsam, zu sehen, wie selbstverständlich und natürlich man zu sich, zu seinem Körper, auch zu nackter Haut stehen kann.
Das muss ja nicht immer gleich einen sexuellen Kontext haben. Viel mehr geht es um Empowerment, das Selbstbewusstsein und auch die Sexiness von Frauen über 40/50/60. Wie gut und wichtig diese persönliche Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper in jedem Alter ist, überrascht viele. Und das ist es, was ich auch gern zeigen möchte, das Gefühl von Freiheit und Selbstbestimmtheit: Ich habe selbst in der Hand, wie ich mich zeige, was ich von mir preisgebe, welche Bilder ich poste. Auch ich bin sehr selbstkritisch, als Model wahrscheinlich mehr als andere, und ich entscheide mich manchmal bewusst dazu, Fotos zu zeigen, mit denen ich mich nicht ganz wohlfühle. Das ist Teil meines eigenen Weges, der eigenen Reise.
„Ich entscheide mich manchmal bewusst dazu, Fotos zu zeigen, mit denen ich mich nicht ganz wohlfühle. Das ist Teil meines eigenen Weges, der eigenen Reise“
Sinnlichkeit und Lust im Alter sind in unserer Gesellschaft immer noch ein Tabu. Warum ist das so und wie gehst du persönlich damit um?
Warum? Weil das Thema, genauso wie die Vorstellung von Schönheit, wieder durch die einseitigen, überholten und gelernten Bilder, die gesellschaftlichen Klischees von Jugend und Potenz geprägt ist. Verstärkt durch die Medien, ist Sex noch immer etwas, dass man nicht mit „Alter“ verbindet. Wobei sich auch hier langsam etwas tut. Man denke nur an die letzte Berlinale, die mit ein paar großartigen Filmen und Darstellerinnen ein Zeichen gesetzt hat. Erotik jedenfalls kennt kein Alter, Lust und Sinnlichkeit sind Bestandteil des Lebens und in meinem Fall auch Teil meines Jobs. Warum sollte das plötzlich aufhören?
Wie geht man damit um? Es verändert sich, wie alles im Leben, und man stellt vielleicht fest, dass es noch viel mehr zu entdecken gibt, als nur den reinen Akt, Leistung und Orgasmen. Sollte einem nichts fehlen: fein. Sollte man jedoch etwas missen, dann bitte auch im Alter die Auseinandersetzung nicht scheuen. Keinesfalls die Situation einfach so hinnehmen, sondern sich Hilfe suchen und Inspiration von außen nutzen. Es gibt zahlreiche empfehlenswerte Literatur zu dem Thema und auch auf Social Media allgemein sehr viel guten Input.
„Erotik kennt kein Alter! Lust und Sinnlichkeit sind Bestandteil des Lebens und in meinem Fall auch Teil meines Jobs. Warum sollte das plötzlich aufhören?“
Wir haben viel über die Veränderung unserer Sehgewohnheiten gesprochen. Was wünschst du dir von Magazinen, der Mode- und Werbebranche?
Bei Magazinen geht es ja häufig auch um einen künstlerischen Aspekt in der Darstellung der Frau. Den möchte ich ihnen gar nicht absprechen. Jedoch würde ich mir wünschen, dass auch in diesem Kontext mehr Raum für Diversität Einzug hält. Was mir in Editorials absolut noch zu wenig vorkommt, sind ältere Models, und zwar nicht nur gelegentlich, sondern regelmäßig und selbstverständlich. Nicht nur allseits bekannte ältere Schauspielerinnen auf den Covern dieser Welt, nicht nur ältere ehemalige Supermodels, sondern einfach ältere Models, ältere Frauen.
Was Mode und Werbung betrifft, hat sich zwar schon viel getan. Aber auch hier braucht es noch mehr Verständnis dafür, wie Frauen sich repräsentiert sehen wollen. Sie wollen sich angesprochen fühlen, um in weiterer Folge auch jene Produkte kaufen zu wollen – einfach mehr Authentizität.
Was ist ganz persönlich dein größter Wunsch für die Zukunft?
Abgesehen vom Weltfrieden, mich weiterzuentwickeln und meine Neugierde nicht zu verlieren? Vor allem auch immer wieder Neues auszuprobieren! Es gibt noch so vieles, das ich tun und erleben möchte. Ich hatte immer ein großes Interesse für die Schauspielerei. In diesem Zusammenhang würde ich mich gern noch mehr in den Bereichen Körperarbeit, Tanz und Sprechen weiterbilden, um das noch besser in meine Arbeit als Model einfließen lassen zu können. Besonders wünsche ich mir in der Zukunft viele, spannende Jobs, Erfahrungen und Begegnungen.
Über Corinna Juranek
Anfang/Mitte 40 entschied sich Corinna Juranek (50) nach längerer Auszeit wieder mehr ins Berufsleben einzusteigen, zunächst als Ernährungscoach. Seit über vier Jahren ist sie zusätzlich als Functional Trainerin tätig und hat zugleich ihre Model-Karriere reaktiviert – jetzt als Best Ager- und Greyhair-Model. Als Mama von zwei aufgeweckten Jungs im Schulalter weiß sie, wie wichtig Bewegung, körperliche Fitness und gute Ernährung sind, um mit Energie und innerer Zufriedenheit durchs Leben zu gehen. Aktuell baut sie als Mitgründerin gemeinsam mit farmNOW das nachhaltige Startup Shared Vertical Impact Farming auf – mit einer Art von „Schrebergarten 4.0“ und Farming-as-a-Service.