Viele Jahre ist Gabriele Wahl-Multerer (71) als erfolgreiche Unternehmerin und Aufsichtsrätin tätig. Dann kehrt sie der Industrie den Rücken und schlägt mit Anfang Sechzig noch einmal einen ganz anderen Weg ein: Gabriele kauft ein geschichtsträchtiges Anwesen samt Schloßpark und eröffnet dort – mitten in Mecklenburg-Vorpommern – ein Ayurveda-Resort. Mit HEYDAY sprach die Münchnerin über die Freuden und Hürden des Neustarts, ihre Vision für das Hotel Park am See Nattika Ayurveda und darüber, wie man es schafft, auch in schwierigen Zeiten mutig zu bleiben
Fotos: Park am See Nattika
„Das Projekt in Alt Rehse hat meinem Leben eine völlig neue Richtung gegeben”
HEYDAY: Liebe Gabriele, wir bei HEYDAY erleben durch die Geschichten unserer Community, dass es nie zu spät ist, etwas Neues anzufangen. Du hast mit Anfang sechzig das Areal des Hotel Park am See gekauft und nach und nach saniert. Dabei kommst du ursprünglich aus einer ganz anderen Branche. Kannst du uns etwas zu deinem beruflichen Background erzählen?
Gabriele Wahl-Multerer: Meine berufliche Laufbahn liegt in der Wirtschaft, genauer gesagt in der Industrie. Ursprünglich wollte ich Medizin studieren, wurde jedoch damals nicht angenommen und begann stattdessen ein BWL-Studium. Menschen standen in fast allen Bereichen im Mittelpunkt meiner Arbeit – das war es, was mich von Anfang an fasziniert hat.
Mit der Zeit fühlte ich mich jedoch ausgelaugt durch das ständige Streben nach „höher, schneller, weiter“ in der Industrie und verkaufte meine Firma. Danach war ich noch im Direktorium und Aufsichtsrat tätig, bevor ich mich vollständig ehrenamtlichen Aufgaben widmete. Das Projekt in Alt Rehse hat meinem Leben eine völlig neue Richtung gegeben. Trotz aller Schwierigkeiten möchte ich keine der Erfahrungen missen – Einfach kann jeder.
Wie bist du auf das Gelände auf der Mecklenburgischen Seenplatte gestoßen und wie kam es zu der Entscheidung, genau dort einen Neustart zu wagen?
Durch Zufall erfuhr ich von dem Projekt, da österreichische Freunde über mehrere Jahre hinweg dort Veranstaltungen besucht hatten. Ursprünglich war geplant, dass ich als Business Angel involviert werde, aber schnell zeigte sich, dass die Gruppe, die das Gelände gepachtet hatte, tief zerstritten war. Daher entschied ich, mich zurückzuziehen. In den folgenden zwei Jahren hörte ich jedoch immer wieder von den zunehmend schlechter werdenden Zuständen der Gebäude und des Parks sowie von der Räumungsklage des früheren Eigentümers. Es fand sich niemand, der die Verantwortung für das Projekt übernehmen wollte.
Als ich sah, wie sich der Zustand immer weiter verschlechterte, entschloss ich mich einzugreifen, um das Areal vor dem Verfall zu retten. Allerdings war mir zu Beginn nicht klar, wie herausfordernd die Umsetzung werden würde. Die anfängliche Unterstützung der Landespolitik erwies sich als Lippenbekenntnis, und als es ernst wurde, stand ich allein da. Zudem kamen die Krisen hinzu: erst Corona, dann die explodierenden Energiekosten 2022 und nun die Wirtschaftskrise. Doch wenn man die Verantwortung für ein so einzigartiges Projekt übernimmt, gibt man nicht so leicht auf.
„Trotz aller Schwierigkeiten möchte ich keine meiner Erfahrungen missen – Einfach kann jeder“
Inwieweit haben dich die Erlebnisse deiner zweieinhalbmonatigen Reise in die Mongolei beeinflusst, das Areal in Alt Rehse zu kaufen und dort ein Ayurveda-Resort zu errichten?
Als ich mit einem Geländewagen von München bis in die Mongolei fuhr und zweieinhalb Monate unterwegs war, erlebte ich die Natur auf eine ganz neue, tiefere Weise. Diese intensive Erfahrung, weitab von kurzen Ausflügen, ließ mich die Stille, Ruhe und Schönheit der Landschaft viel bewusster wahrnehmen. Ich habe noch nie so gut geschlafen und geträumt wie in dieser Zeit. Als ich dann das erste Mal in Alt Rehse war, war ich überrascht, dass es solche Orte noch in Deutschland gibt – Plätze, an denen man mitten in der Natur übernachtet, gut schläft, träumt und sich mit dem Wesentlichen verbindet.
Ayurveda in Mecklenburg-Vorpommern – was ist deine Vision?
In stressigen Phasen habe ich persönlich erlebt, wie sehr Ayurveda hilft, wieder in die Balance zu kommen. Der Wunsch, Ayurveda in Alt Rehse zu etablieren, bestand von Anfang an. Doch die Umsetzung dieser Vision erwies sich als schwierig, insbesondere weil es sehr kompliziert ist, indische Fachkräfte nach Deutschland zu holen. In Deutschland selbst gibt es nur wenige geeignete Mitarbeiter, und Alt Rehse ist ein herausfordernder Standort, da es wenig Unterhaltung im klassischen Sinne bietet. Für viele ist zudem eine Umsiedlung ihrer Familien nicht denkbar.
Welche Chancen siehst du im Gesundheitstourismus?
Ich würde es nicht so einfach ausdrücken. Es geht nicht um Tourismus im klassischen Sinne, sondern um mentale Stärke, Lebenssinn und Kraft. Es geht darum, trotz aller Krisen „Ja zum Leben“ sagen zu können.
Alt Rehse am Tollensesee in Mecklenburg-Vorpommern ist ein besonderer Ort mit einer zum Teil dunklen Geschichte. Was hat es damit auf sich?
Das Dorf Alt Rehse hat geschichtlich viel erlebt. Es wurde in der NS-Zeit als Vorzeige-Idyll errichtet und zu DDR-Zeiten als Schmuckstück wieder aufgebaut. Zuletzt hat die Bundeswehr das Areal in den 1990er-Jahren genutzt. Mittlerweile ist Alt Rehse mehrfacher Wettbewerbssieger bei Unser Dorf soll schöner werden und gilt als ein besonderer Ort der Stille und Erholung.
Die dunkle Geschichte würde ich aber nicht nur auf Alt Rehse beschränken. Wenn man die Augen aufmacht, sieht man auch heute viele Dinge, die im Rückblick als dunkle Kapitel der Geschichte gelten werden. Der Nationalsozialismus war sicherlich das bisher dunkelste Kapitel, aber wir wissen nicht, was die Zukunft noch bringt. Angesichts der aktuellen weltpolitischen Lage, in der wir kurz vor einem Dritten Weltkrieg stehen, sollten wir uns auf die Gegenwart konzentrieren und endlich begreifen, wie sehr wir einander brauchen. Es ist erschreckend, wie einfach es ist, Leid zuzufügen, und wie schwierig es ist, zu heilen und zu vereinen.
„Bei der Neugestaltung von Alt Rehse war es mir wichtig, einen Ort zu schaffen, an dem Menschen sich willkommen fühlen, an dem sie wahrgenommen werden und einander sehen. Ein Ort der Achtsamkeit und des Kümmerns“
Unsichtbarer Trenner
Was war dir bei der Neugestaltung des Areals und der Sanierung der historischen Gebäude wichtig?
Es war mir wichtig, die Vergangenheit nicht zu überdecken, sondern einen Ort zu schaffen, an dem Menschen sich willkommen fühlen, an dem sie wahrgenommen werden und einander sehen. Ein Ort der Achtsamkeit und des Kümmerns.
Was erwartet Gäste im Park am See Nattika Ayurveda Resort und was ist für die Zukunft dort noch geplant?
Unsere Gäste dürfen sich auf ein wunderschönes Areal freuen, das Ruhe, ein wohltuendes Ambiente und die Fürsorge eines herzlichen und kompetenten Expertenteams aus Indien bietet. Wir legen großen Wert auf hochwertige Behandlungen und ein Umfeld, das von Fürsorglichkeit und Wohlwollen geprägt ist. Zukünftig planen wir die Sanierung des Schlosses zu einem Therapiezentrum sowie den Bau eines Gebäudes mit dreißig Zimmern, um Fort- und Weiterbildungen anzubieten. Außerdem möchte ich auch jungen Künstlern die Möglichkeit bieten, sich bei uns aufzuhalten, sich zu vernetzen und gemeinsam zu wirken.
Unser Ziel ist es, das Leben besser zu verstehen und zu gestalten. In der Ruhe liegt die Kraft – wir brauchen Orte, an denen wir unsere mentale und körperliche Gesundheit stärken können. „Gesundheit ist nicht alles, aber ohne Gesundheit ist alles nichts“.
„Wir brauchen Orte, an denen wir unsere mentale und körperliche Gesundheit stärken können. ,Gesundheit ist nicht alles, aber ohne Gesundheit ist alles nichts.'“
Ende 2022 musste die Betreibergesellschaft des Hotels zunächst Insolvenz anmelden. Wie kam es dazu?
Die Eigeninsolvenz war ein sehr unangenehmes und schwieriges Thema. Die erste große Herausforderung kam mit dramatischen Baukostensteigerungen, die das Projekt erheblich verteuerten. Nach vier Jahren intensiver Arbeit konnten endlich die ersten Gebäude fertiggestellt werden. Doch kaum war dieser Meilenstein erreicht, zog mit der Corona-Pandemie die nächste Krise herauf. Lockdown und ein zermürbender bürokratischer Aufwand prägten die Zeit unmittelbar nach der Eröffnung. Als die Pandemie abklang, folgte die Energiekrise infolge des Ukrainekrieges. Die anhaltenden Schwierigkeiten brachten das Unternehmen an den Rand der Existenz, und im Dezember 2022 musste ich den schweren Schritt der Insolvenz gehen, um unsere Liquiditätsreserven zu schützen und dennoch keine Mitarbeiter entlassen zu müssen.
Im Nachhinein würde ich diesen Schritt niemandem empfehlen. Es ist ein bürokratischer Prozess, der nicht dazu beiträgt, ein Unternehmen zu retten. Entweder sollte man gleich schließen oder Mitarbeiter entlassen. Die Lohnkostenstruktur in Deutschland ist ein großes Problem – für Unternehmen zu teuer und für die Mitarbeiter bleibt zu wenig übrig, was demotiviert und zu Personalmangel führt, vor allem in Berufen, die auch abends und am Wochenende Einsatz verlangen.
Wie hast du es geschafft, dein Vorhaben umzusetzen, trotz vieler Zweifler in deinem Umfeld?
Wer sich auf ein solches Vorhaben einlässt, muss entweder verrückt oder besonders resilient sein – oder beides. Zweifler gibt es immer, und sie sind wichtig, denn sie zwingen uns, uns mit unserer eigenen Motivation auseinanderzusetzen. Ist sie schwach, halten wir nicht durch. Ist sie stark genug, können wir auch trotz der Zweifel anderer die Umsetzung schaffen.
„Man sollte den Mut haben, das eigene Leben zu gestalten, und keine Angst vor Rückschlägen haben. Sie machen uns stark und sind unentbehrlich, wenn wir nach dem Motto ‚werde die, die du bist‘ leben wollen – jenseits dessen, was uns beigebracht wurde, sein zu müssen”
Wie gehst du mit dem Älterwerden um und was tust du für deine eigene Gesundheit?
Über das Älterwerden mache ich mir keine großen Gedanken. Meine Energie widme ich den alltäglichen Herausforderungen dieser schwierigen Zeit. Ich achte regelmäßig auf meine Gesundheit: Ich finde Sinn in meinem Tun, arbeite für das Wohl vieler, kümmere mich um mein körperliches Wohlbefinden und bewege mich ausreichend. Ich halte mich gern in der Natur auf und merke, wie mein Stress abfällt, sobald ich draußen bin oder die Natur betrachte.
Hast du Tipps für Frauen, die sich ihren Lebenstraum erfüllen wollen? Was sind deine wichtigsten Learnings?
Mein Rat ist, sich zuerst selbst zu prüfen, wie authentisch die eigene Motivation ist. Alle Herausforderungen danach sind Prüfsteine für diese Motivation. Man sollte den Mut haben, das eigene Leben zu gestalten und keine Angst vor Rückschlägen haben. Sie machen uns stark und sind unentbehrlich, wenn wir nach dem Motto „werde die, die du bist“ leben wollen – jenseits dessen, was uns beigebracht wurde, sein zu müssen.
Wie schaffst du es, in herausfordernden Zeiten Ruhe und Zuversicht zu bewahren?
In schwierigen Zeiten kann uns Demut sehr helfen. Wir haben das Glück nicht gepachtet, und das Leben ist keine Einbahnstraße. Ein Bewusstsein für die Geschichte relativiert die eigene Position und hilft, Gelassenheit zu bewahren.
Was treibt dich im Leben an?
Ich schöpfe meine Kraft aus der Liebe – die Liebe zu den Menschen, zur Natur und zu meiner gestalterischen Aufgabe.
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