Wie übersteht man den Verlust geliebter Menschen, ohne sich selbst zu verlieren? Schauspielerin Sabine Vitua (64) hat zwei große Lieben gehen lassen müssen – und gelernt, dass Heilung Zeit, Zärtlichkeit, Humor und Hunde braucht. Im HEYDAY-Interview spricht sie über Schmerz, Rituale, das Weiterleben nach der Katastrophe – und darüber, warum am Ende „alles erlaubt ist, was tröstet“
Fotos: Charlotte McGinnis Mode: RAU Berlin

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Liebe Sabine, du hast in kurzer Zeit deine Mutter und deinen Ex-Mann verloren. Wie hat dich dieser doppelte Verlust geprägt – auch in deinem Blick auf das Leben und die eigene Endlichkeit?
Salopp gesagt: Trauer wirft einen aus der Bahn und ist unfassbar anstrengend. Und wenn es sich – wie in meinem Fall – bei beiden um große Lieben handelt, kommt die Angst dazu: Werde ich das überhaupt schaffen, über diesen Verlust hinwegzukommen? Dazu die Fragen: Wer bin ich ohne den anderen? Wie kann ich da sein, wo der andere nicht ist?
Es war ein nicht enden wollender Liebeskummer – mit allem, was dazugehört: nicht schlafen können, unruhig sein, weinen, nicht essen können, dann nur noch essen. Dieser Extremzustand dauerte in beiden Fällen etwa drei Monate. Bei meiner Mutter von Beginn an, bei Carl etwas versetzt, so nach zwei Monaten. Er starb drei Jahre nach meiner Mutter – und hat diese Wunde erneut aufgerissen. Heute bin ich langsam wieder in meinem Leben eingetaktet. Ich empfinde mich als eine Überlebende – und bin froh darum.
Du hast einmal gesagt, „Selbstoptimierung“ sei dein persönliches Hass-Wort. Gilt das auch für den Umgang mit Trauer – dass man eben nicht alles kontrollieren und „optimieren“ kann?
Mich stört an dem Begriff Selbstoptimierung dieser Wettbewerbsgedanke und der Lösungsgedanke – daran glaube ich nicht. Jede Trauer ist anders und dauert unterschiedlich lange, je nach Beziehung zu dem Verstorbenen. Ich finde, das klassische Trauerjahr ist eine gute Orientierung. Wenn man einmal durch alle wichtigen Tage – Geburtstag, Neujahr, Jubiläen – gegangen ist, kann man beginnen, sich neu zu definieren.

„Die Mode von RAU Berlin erzeugt bei mir ein absolutes Glücksgefühl. Darin fühle ich mich sauwohl und sicher – uns zwar den ganzen Tag!“



„Ich war überrascht, wie viele Menschen Trauer – selbst aus der Ferne – nicht aushalten können. So schnell kannst du gar nicht gucken, wie manche sich verdrücken“
Viele Menschen sprechen ungern über Trauer. Was hat dir geholfen, den Schmerz auszuhalten – und vielleicht auch zu teilen?
Ich war überrascht, wie viele Menschen Trauer – selbst aus der Ferne – nicht aushalten können. So schnell kannst du gar nicht gucken, wie manche sich verdrücken. Auch wenn ich ihre Hilflosigkeit verstehe: Nachrichten wie „Ich denke an dich“, „Viel Kraft“, „Kann ich dir helfen?“ erwärmen einen Trauernden.
Getragen haben mich diese Menschen: Mein Mann Joseph hat wochenlang mit mir das Abendtelefonat mit meiner Mutter durchgespielt. Ich hatte sie jeden Abend um 18 Uhr angerufen, und sie sagte immer denselben zärtlichen Gute-Nacht-Spruch. Joseph blieb stumm, und ich habe ihren Satz gesagt: „Mein kleines Hündchen, ich liege schon in meinem Bettchen und träume von dir.“ Carl war gefühlt ständig bei uns. Wir hatten den geflügelten Satz „Nichts kann mich trösten, außer Lachs“. Immer, wenn die Tränen kamen, rief einer von beiden: „Du brauchst Lachs!“ Meine Kinderfreundin Anette rief mich bis zur Beerdigung täglich an. Und Sonsee, mein Engel, ist mir am Todestag meiner Mutter und in der Nacht nicht von der Seite gewichen. Ich habe den Leichnam meiner Mutter gewaschen, später auch den von Carl. Diesen letzten, intimen Vorgang, den seelenlosen Körper noch einmal zu würdigen, finde ich tröstend.
Gibt es Erinnerungen oder kleine Rituale, die dir Trost spenden?
Lou – die neue Blondine in meinem Leben. Sie ist ein Cockapoo und trägt den Zweitnamen meiner blonden Mutter. Sie kam als Trauerhund – und wurde für Joseph und mich eine große Liebe.
Mit ihr besuche ich meine Toten. Sie liegen auf verschiedenen Friedhöfen. Ich weiß, dass sie da gar nicht sind, aber es tut mir gut. Von meiner Mutter stehen Fotos in meinem Zimmer. Sie wird morgens begrüßt und abends verabschiedet. Und manchmal sitzt ein Rotkehlchen am Fenster und schaut mich an. Ich spreche dann mit ihm. Es wird wohl meine Mutter sein. Ich glaube, dass wir uns wiedersehen werden. Alles ist erlaubt, was tröstet. Nur dogmatisch sollte man dabei bitte nicht werden.

„Alzheimer ist keine Alterserscheinung, sondern eine Krankheit. 1,8 Millionen Menschen in Deutschland sind betroffen, 2050 werden es fast drei Millionen sein. Ich wünsche mir, dass mehr geforscht wird – und dass wir lernen, liebevoller mit den Erkrankten umzugehen“
Du engagierst dich als Botschafterin beim DZNE für Alzheimer-Patient:innen. Welche persönlichen Erfahrungen haben dich dazu gebracht?
Meine lustige, wache Mutter veränderte sich stark mit Ende 70. Erst war sie ungehobelt – sie streckte Spaziergängern die Zunge raus, weil sie sie doof fand. Dann wurde sie apathisch, appetitlos, sprach kaum noch. Mit Mitte 80 holte ich sie nach Berlin in ein Pflegeheim. Ab da fiel für uns beide viel Druck ab. Sie musste nicht mehr so tun, als hätte sie alles im Griff. Sie blühte sogar wieder auf, achtete auf ihre Outfits, ging zum Friseur. Wir haben stundenlang Bilderbücher angeschaut. Es waren zwei schöne Jahre. Ich war entspannt, weil ich sie versorgt wusste. Sie war heiter und angstfrei. Ich wünschte, ich hätte früher von ihrer Krankheit gewusst – ich hätte sie besser schützen können und wir hätten ein gelasseneres Miteinander gehabt.
Was wünschst du dir im Umgang unserer Gesellschaft mit Demenz – vor allem für die Angehörigen?
Zuerst: Alzheimer ist keine Alterserscheinung, sondern eine Krankheit. 1,8 Millionen Menschen in Deutschland sind betroffen, 2050 werden es fast drei Millionen sein. Ich wünsche mir, dass mehr geforscht wird – und dass wir lernen, liebevoller mit den Erkrankten umzugehen. Pflege ist für Angehörige allein kaum zu stemmen, und die Kosten in der Betreuung explodieren. Wir brauchen dringend neue Lösungen.
Hat dich dieses Engagement verändert – vielleicht auch in deinem Blick auf das Alter und die Verletzlichkeit des Lebens?
Für mich war immer Krebs das Schlimmste, was passieren kann. Jetzt finde ich die Vorstellung vom sich auflösenden Verstand mindestens ebenso furchteinflößend. Es ist ja nicht so, dass man dann schön belämmert ist und nichts mehr mitbekommt – man schwankt zwischen den Bewusstseinsebenen.
Und überhaupt: Dass vor dem Tod oft noch eine Phase des Ausgeliefertseins liegt, finde ich einen tragischen Gedanken.


„So ist das mit der Mode – und mit dem Leben. Sie spiegelt, wie es einem geht: mal strahlend, mal zurückhaltend“
Du bist kürzlich gepilgert. Was hat dich auf diesen Weg geführt – und was hast du dabei über dich gelernt?
Im Sommer wurde die Trauer um Carl wieder überwältigend. Ich musste etwas ändern. Also bin ich mit meiner Freundin Gudrun pilgern gegangen – vier Tage, 95 Kilometer, 2000 Höhenmeter. Schon am ersten Tag hatte ich Blasen. Aber ich habe durchgehalten. Pilgern ist ja im Grunde Wandern mit Bedeutung. Das Laufen, das einfach nicht aufhört, die Erschöpfung, die Natur, die Menschen, die Kapellen, in denen wir Kerzen für unsere Toten anzündeten – all das hat uns leerer, leichter, heiterer gemacht.
Welche Rolle spielt Kleidung für dich – gerade in Lebensphasen, in denen sich viel verändert?
Schöne Kleider versetzen mich in einen Rausch durch Schnitt, Farbe, Material, Originalität. Ich gucke sie gerne an und ich besitze sie gerne. Sie geben mir ein Versprechen auf ein aufregenderes Ich. Manchmal kommt danach die Entzauberung – mal ist mir ein Kleid plötzlich zu dröge oder ich dem Kleid. Und auch meine Launen und die des Alltags und des Wetters bergen neue Herausforderungen für meine Schätze und mich. Aber so ist das mit der Mode – und mit dem Leben. Sie spiegelt, wie es einem geht: mal strahlend, mal zurückhaltend.
Du bist seit Jahrzehnten Schauspielerin und hast die Entwicklung der Branche hautnah miterlebt. Wie haben sich die Rollenbilder für Frauen verändert – und wo hakt es noch?
Mitte der 90er warst du spätestens mit 40 erledigt. Heute bist du es, wenn du in die Wechseljahre kommst.
Früher war die reife Frau grau, die Frau von … oder die Mutter von … Heute haben sie Macht, Haltung, Farbe – und manchmal jüngere Liebhaber. Das ist ein Fortschritt. Aber die Rollen könnten noch viel differenzierter sein.

„Mitte der 90er warst du spätestens mit 40 erledigt. Heute bist du es, wenn du in die Wechseljahre kommst“




Welche Rollen bekommst du heute, die du früher nie gespielt hättest?
Plötzlich wird mir Intelligenz unterstellt. Ich spiele Akademikerinnen, Ärztinnen, Frauen mit Tiefgang oder übersinnlichen Fähigkeiten. Früher war ich von Beruf Seitensprung.
Was würdest du jungen Schauspielerinnen raten, die ihren eigenen Weg gehen und sich dabei nicht von Klischees einengen lassen?
Gebt weder Anfeindungen noch Schmeicheleien zu viel Raum. Urteile sagen mehr über den anderen aus als über euch. Bleibt wachsam, mutig und spielerisch. Arbeitet hart – und habt Spaß.
„Plötzlich wird mir Intelligenz unterstellt. Ich spiele Akademikerinnen, Ärztinnen, Frauen mit Tiefgang oder übersinnlichen Fähigkeiten. Früher war ich von Beruf Seitensprung“
Was gibt dir im Moment am meisten Kraft?
Die Liebe. Ohne meine Familie, meine Freunde und die Literatur wäre ich verloren. Und der Humor – bitte, bitte bleib bei mir!
Welchen Satz würdest du Frauen mitgeben, die gerade durch Trauer oder Veränderung gehen?
Haltet durch. Auch wenn es kaum vorstellbar ist – es wird eines Tages plötzlich besser.

„Mein Rat: Haltet durch. Auch wenn es kaum vorstellbar ist – es wird eines Tages plötzlich besser“

Styling: Dagmar Dobrofsky, Facial Treatment: Wheadon, Hair & Make up: dodos Blow Dry Bar

Mehr über Sabine Vitua
Sie ist Schauspielerin, Autorin, Botschafterin – und eine Frau, die keine Angst vor Tiefe hat. Seit über 30 Jahren steht Sabine Vitua vor der Kamera und hat sich mit Rollen in Pastewka, Tatort, Die Pfefferkörner, Balko und Nord bei Nordwest in die Herzen des Publikums gespielt.
Heute spricht sie über Themen, die oft im Verborgenen bleiben: über Trauer, das Älterwerden, Verletzlichkeit und die Kraft des Neubeginns. Mit ihrer Haltung zeigt sie, dass Stärke und Sensibilität kein Widerspruch sind – sondern der wahre Kern von Schönheit.
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