„Unser Wald steht unter Stress”

Peter Wohlleben, Waldakademie, Instagram

Förster Peter Wohlleben kündigte seine Beamtenstelle, weil er die Missstände in der Forstwirtschaft nicht länger unterstützen wollte. HEYDAY sprach mit dem Autor, der sich unermüdlich für ökologisch wie ökonomisch nachhaltige Waldwirtschaft einsetzt, und mit seiner Arbeit bei vielen Menschen die Begeisterung für Bäume entfacht hat

Peter Wohlleben

Kommunikationsprofi: Peter Wohlleben gibt sein Wissen weiter – durch Bücher, Magazine, Fernsehreportagen, Vorträge, Videos, einem Podcast und Waldführungen. Denn nur wenn wir verstehen wie das Waldleben funktioniert, werden wir respektvoller mit der Natur umgehen. Eine Übersicht zu allen Publikationen, die der Autor übrigens auf Wunsch handsigniert, gibt es HIER.

HEYDAY: Herr Wohlleben, für die meisten sind Bäume einfach nur riesige Pflanzen, die in der Gegend herumstehen. Sie aber beschreiben Bäume als soziale Wesen, die ähnlich wie wir Menschen ein reges Familienleben haben. Wie können wir uns das vorstellen?

Peter Wohlleben: Viele glauben, dass Bäume um Licht, Wasser, Luft und Boden konkurrieren. Tatsächlich ist es aber so, dass sie kooperieren. Das ist auch gar nicht so verwunderlich. Denn die Prinzipien, die ein soziales Miteinander ermöglichen, haben sich evolutionär entwickelt. Der Mensch, der eine relativ junge Art auf diesem Planeten ist, wundert sich immer, dass andere ähnlich agieren. Doch die anderen, in diesem Fall die Bäume, waren viel früher da. Bei Bäumen macht es total Sinn, dass sie sozial leben. Denn Wälder sind große Ökosysteme, die sich massiv herunterkühlen können. Ein Beispiel: Wenn ganz Deutschland so bewaldet wäre wie früher, dann hätten wir heute trotz Klimawandels die 25 Grad nicht überschritten. Dass es in den letzten Jahren so heiß geworden ist, hängt zum einen mit dem Klimawandel zusammen, zum anderen damit, dass wir so viele Wälder beseitigt haben. Ein einzelner Baum kann da nicht viel ausrichten, das geht nur in der Gemeinschaft. Ein ausgewachsener Baum kann bis zu 500 Liter Wasser am Tag verdunsten. Bäume können übrigens aktiv Wolken bilden. Deswegen regnet es im Sommer viel häufiger über Wäldern als über freien Flächen. Da ein ganzer Wald eine viel größere Fläche darstellt, haben Bäume folglich ein großes Interesse daran, die Gemeinschaft zu erhalten.

Sie sagen auch, Bäume stillen ihre Kinder…

Bäume kümmern sich aktiv um ihren Nachwuchs. Das kann man sogar messen. Offenbar erkennen Mutterbäume ihre Sämlinge und versorgen sie bevorzugt mit Nahrung in Form von Zuckerlösungen. In diesen Bereichen nehmen sie sich dann mit dem Wasserentzug aus dem Boden zurück. Es handelt sich hier um ein großes Sozialsystem, das Interesse daran hat, dass alle gut über die Runden kommen. Auch Schwächeren wird geholfen. Da Bäume über die Wurzeln unterirdisch verbunden sind, können sie sich gegenseitig Zuckerlösungen zupumpen. Wenn ein Baum mal schwächelt, erhält er von seinen Nachbarn Hilfe, damit er am Leben bleibt. Diese Wurzelverbindungen dienen auch als Warnsysteme bei Pilzverflechtungen, Insektenbefall, bei einer drohenden Dürre.

Wie sieht es mit den älteren Generationen aus?

Da kann ich das Beispiel mit dem uralten Stumpf nennen. Selbst Bäume, die nicht mehr produktiv sind, werden von den anderen mitversorgt. Obwohl ein Baumstumpf keine Photosynthese mehr betreiben kann, wird er über Jahrhunderte von den Nachbarbäumen am Leben erhalten. Weil lebendes Gewebe, so wie wir Menschen auch, Zucker verbraucht, wird ihnen über die Wurzeln Zucker zugeführt.

Das klingt ja wirklich fast menschlich….

Es gibt natürlich Unterschiede in den Fähigkeiten: Bäume können nicht laufen, keine Bücher schreiben usw. Aber in den sozialen Strukturen sind Bäume uns sehr sehr ähnlich.

Haben Bäume dann auch so etwas wie ein Gedächtnis?

Dass Bäume ein Gedächtnis haben, erkennt man gerade ganz gut. Bäume lernen durch die Dürre. Es heißt ja immer: Gerade sterben alle Wälder. Aber das sind die Plantagen, die sterben. Die echten Wälder, die Sozialgemeinschaften, können gut mit der Dürre umgehen. Aber die, die meist noch Wasser im Überfluss hatten, die haben nach dem dritten Dürresommer besonders gelitten. Studien zu Dürren in vergangenen Jahrzehnten belegen, dass Bäume daraus lernen und ihren Wasserverbrauch im Frühjahr umstellen. Winterniederschläge speichern sich im Boden und werden den Sommer über von den Bäumen abgerufen. Wenn ein Baum im Frühjahr nicht mehr so viel verbraucht und vorsichtiger ist, dann reicht das Wasser im Sommer länger. Dieses Wissen geben Bäume an ihren Nachwuchs weiter. Dass es eine Art Lernen zwischen den Generationen gibt, weiß man daher, dass sich junge Bäume im Umfeld von alten Bäumen ganz anders verhalten, als wenn sie alleine stehen.

Können Bäume auch fühlen?

Peter Wohlleben Wald

Eine Forschungsarbeit der Universität Bonn hat herausgefunden, dass Pflanzen schmerzunterdrückende Substanzen produzieren. Das machen wir Menschen in Stresssituationen auch, um bei klarem Bewusstsein zu bleiben. Schmerz ist ein reiner Reflex, den darf man ja nicht unterdrücken. Aber auch wir unterdrücken Schmerz in bestimmten Situationen, nämlich in Stresssituationen. Warum? Damit wir nicht bewusstlos werden. Und diese schmerzlindernden Substanzen, die diesen Reflex unterdrücken, die produzieren auch Pflanzen in bestimmten Situationen. Das heißt: Es scheint so etwas wie ein pflanzliches Bewusstsein zu geben.

Was Bäume alles können: Sie helfen sich gegenseitig, warnen sich vor Feinden, geben Erlerntes an ihre Nachfahren weiter und bilden eine starke Gemeinschaft

Ds heißt, wenn einem Baum ein Ast abgebrochen wird, dann empfindet er Schmerz?

Ob sich die Empfindung genauso anfühlt, wie bei uns, weiß man nicht. Forschungen zeigen, dass Bäume erkennen, was ihnen passiert und wer sie attackiert. Oder ob es gar keine Attacke von außen ist, sondern nur der Wind. Wenn ein Reh einen Ast abbeißt, dann erkennt der Baum anhand des Speichels, dass es sich um ein Reh handelt. Er fängt an, Abwehrstoffe einzulagern. Wenn man einen Ast abschneidet oder er vom Wind abgerissen wird, fängt der Baum sofort mit dieser Wundheilung an und lagert keine Giftstoffe ein. Er reagiert also auch ganz unterschiedlich. Das zeigt, dass ein Baum Problemlösungen entwickelt. Bei uns Menschen würde man das als Intelligenz bezeichnen. Nur bei Pflanzen tut man sich schwer. Denn all diese Begriffe sind für den Menschen reserviert. In den meisten Fällen will der Mensch sie nicht mal auf Tiere übertragen.

Peter Wohlleben Waldakademie
Wald

Ob Outdoor-Abenteuer, spannende Wanderung zum geheimen Leben der Bäume oder Ausbildung zum Waldführer – Peter Wohllebens Waldakademie bietet viele tolle Projekte rund um den Wald. Zur Webseite geht es HIER.

„Bäume können nicht laufen oder Bücher schreiben. Aber in ihren sozialen Strukturen sind sie uns sehr ähnlich. Sie kümmern sich um ihren Nachwuchs, sie kommunizieren und haben ein Schmerzemfinden”

Wie kommunizieren Bäume untereinander?

Was wir wissen ist, dass Bäume über Stresssignale miteinander kommunizieren. Bäume bekommen ganz viel aus ihrer Umgebung mit. Ob Gefahr durch Tiere oder Trockenheit – alle Information werden über das Pilznetzwerk der Wurzeln an die Nachbarbäume weitergeleitet. Diese können dann im Vorfeld Abwehrmaßnahmen ergreifen. Bei Laborpflanzen konnte festgestellt werden, dass sie hören, wenn an der Nachbarpflanze Raupen knabbern, denn dann lagern sie Abwehrstoffe ein. Was wir nicht wissen, ist, ob oder wie Bäume miteinander interagieren, wenn sie sich wohlfühlen. Das würde mich persönlich sehr interessieren: Gibt es eine Kommunikation über Stresssignale hinaus? Das ist sehr schwer wissenschaftlich zu belegen.

Meinen Sie so etwas wie Liebe?

Ja oder Signale wie: „Ich fühle mich wohl. Mir geht es gut!“ oder „Guck mal, ich habe was Tolles gefunden.“ Was passiert nach einer Dürre, wenn ein Baum Wasser gefunden hat? Gibt er diese Information weiter? Das finde ich sehr spannend.

Peter Wohlleben

Seine Videoclips sind legendär. Peter Wohlleben schärft damit den Blick dafür, dass Bäume Lebewesen sind. Brandneu ist sein Podcast. Zu dem geht es HIER

Wie soll man sich im Wald am besten verhalten?

Ich bekomme oft zu hören, dass ich Menschen, dazu ermutige, im Wald laut zu sein und abseits der Wege zwischen den Bäumen zu laufen. Das belästigt vielleicht andere Menschen, aber nicht die Tiere und Bäume. Weder ein paar Fußabdrücke noch Stimmen können einen Schaden anrichten. Das gilt auch für Kinder. Kinder dürfen rumrennen und ruhig laut sein und schreien. Denn Wildtiere haben nur Angst vor Jägern und nicht vor Menschen generell. Wenn wir den Tieren signalisieren, dass gerade kein Jäger unterwegs ist, dann ist das für sie viel entspannter. Grundsätzlich sollte man natürlich immer respektvoll mit der Natur umgehen.

Bäume können sich ja auch ihrer Umgebung anpassen und holen sich ihren Wohnraum zurück…

Ja, Bäume sind sehr anpassungsfähig. Was wir da so in die Landschaft bauen, stört Bäume generell nicht. Ein Haus oder eine Ruine ist für sie einfach ein Steingebilde wie jeder andere Fels auch. Der Baum passt sich mit seinen Wurzeln an und erkennt, wo Widerstände und Lücken sind. Man wundert sich auch, was Bäume so alles aushalten können. Gerade auf alten Industrieruinen wachsen oftmals Birken. Man denkt sich dann: Wie halten sie die trockenen Sommer aus? Dadurch dass sie in die kleinsten Ritzen kommen und sehr widerstandsfähig sind. Ich erinnere mich auch an die Atomkatastrophe von Tschernobyl. Die Siedlung Prypjat, die einst als Arbeiterstadt errichtet wurde, wird gerade wieder zum Urwald. Die Häuser, die Straßen – überall kommen die Bäume zurück. Daran sieht man, dass Bäume sehr viel aushalten.

Sie sagen, dass Bäume, die heute gepflanzt werden, nicht mehr wirklich alt werden. Warum?

Plantagenbäume aus Massenbaumhaltungen werden nicht alt. Denn wenn Bäume assozial aufwachsen, das heißt ohne ihre Mutterbäume, sind sie auf sich alleine gestellt und können sich nicht vernetzen. Sie wachsen im prallen Sonnenschein viel zu schnell und verausgaben sich. Diese Bäume führen ein ganz schön stressiges Leben. Denn Bäume wachsen eigentlich lieber langsam, weil sie dann resistenter werden. Hier gibt es auch viele Parallelen zu uns Menschen.

Die Forstwirtschaft suggeriert uns, dass alte Bäume, wenn sie innen ausfaulen, gefährlich sind. Denn der Nutzwert in Form von Holz nimmt natürlich ab, wenn ein Baum älter wird – oft im Alter von 200, manchmal auch schon im Alter 150 Jahren. Aber Bäume können bei uns ja 600 Jahre alt werden. Sie werden zwar innen faul, aber das beeinträchtigt nicht die Stabilität. Alte Bäume sind sogar sehr wertvoll für die Waldgemeinschaft. Ihr Alterungsprozess schreitet, genau wie beim Menschen auch, sehr langsam voran und zieht sich lange hin. So kann sich das Absterben eines Baums bis zu 100 Jahre hinziehen.

Leider verschwinden diese ursprünglichen Alterungsprozesse bei uns im Wald. Ich habe das Gefühl, dass wir das, was wir in unser menschlichen Gesellschaft gerne ausblenden, Stichwort Falten, auch auf die Wälder übertragen. Mit dem Thema Tod ist es ähnlich. Corona zeigt das deutlich. Denn sonst würden sich die Leute nicht so verhalten. Natürlich weiß jeder, dass totes Holz und umgestürzte Bäume gut für das Waldleben sind. Aber sobald ein Baum anfängt nachzulassen, wird der in der Regel beseitigt. Deswegen haben wir in Deutschland nirgends einen Wald, in dem die Bäume älter sind als 300 Jahre. Das gibt es in Deutschland schlicht nicht mehr. Es gibt zwar einzelne Bäume, die älter sind, aber keinen Wald. Das kann doch nicht sein, dass die zweite Lebenshälfte der Bäume komplett fehlt.

„Das kann doch nicht sein, dass die zweite Lebenshälfte der Bäume komplett fehlt.”

Wo existieren denn noch uralte Wälder?

In Europa gibt es in Nordskandinavien, Ostpolen, Slowenien, der Ukraine, vor allem auch in Rumänien, noch Urwälder mit sehr sehr alten Bäumen. Aber diese Wälder schmelzen leider wie Schnee in der Sonne, weil die Forstindustrie alles gerne zu Brennholz und Brettern verarbeiten möchte. Leider mit großem Erfolg.

Peter Wohlleben

Bäume sind keine stummen Zeitgenossen: Laut wissenschaftlichen Studien geben sie gezielt Geräusche von sich, und sie reagieren möglicherweise sogar auf die Laute von Artgenossen

Ok, unser Wald ist wirklich nicht in guten Händen. Was können wir dagegen tun?

Klima- und Umweltschutzmaßnahmen haben oberste Priorität. Wenn der Klimawandel gebremst wird, kommt das natürlich auch den Wäldern zugute. Dann sollte man so wenig Holzprodukte wie möglich verbrauchen. Denn was viele nicht wissen: Holz ist kein umweltfreundlicher Rohstoff. Die Forstindustrie gibt vor, dass Holz ein guter Ökorohstoff ist. Das stimmt aber nicht. In Wirklichkeit ist Holz klimaschädlich.

Also sollte man Holz auch nicht mehr zum Verbrennen verwenden?

Wenn man abends mal ein Glas Wein am Kamin genießen möchte, ist das ok. Aber wenn man mit Holz heizen will, dann empfehle ich, eine Wärmepumpe einzubauen. Ökologisch gesehen ist diese Art zu heizen „State of the Art”. Lieber noch Solarkollektoren aufs Dach – dann ist die Sache rund. Das ist das umweltfreundlichste und auch wirtschaftlich das Günstigste.

Und was kann man noch im Alltag tun?

Gedrucktes reduzieren und Papier sparen. Magazine oder Bücher sind ok, aber diese Wegwerfwerbezettel sind unnötig. Einfach einen Aufkleber mit „keine Werbung” auf den Briefkasten kleben. Das alleine spart schon Millionen von Bäumen den Holzeinschlag. I

Für den Alltag kann ich nur empfehlen: Einfach raus in den Wald gehen! Denn der größte Teil des Waldes ist ja öffentlich. Das heißt: Er gehört allen Bürgerinnen und Bürgern. Ich ermutige Leute immer, sich das alles anzugucken. Wenn man viel im Wald draußen ist, dann sieht man, wie mit dem allgemeinen Eigentum umgegangen wird. Aktuell finden in Deutschland die größten Kahlschläge aller Zeiten statt – angeblich wegen Borkenkäfern. Tote Bäume werden sofort beseitigt. Aber die toten Bäume sind super wertvoll für das Ökosystem, für viele Insekten und für Pilzarten. Sie speichern Wasser und werfen Schatten. Wenn man die abgestorbenen Bäume stehen lässt, kommt der neue Wald viel schneller und besser.

Erst wenn man weiß, wie wichtig der Wald für uns alle ist, dann tut man auch etwas. Das ist ein politischer Prozess. Genießen Sie den Wald auf der einen Seite und schauen Sie sich auf der anderen Seite an, was unsere Verwaltung damit macht. Es gibt gute Sachen, da kann man sich daran freuen und es gibt schlechte Sachen, da kann man ja auch mal was sagen.

Wie viele Lebewesen tummeln sich denn da im Wald?

In einer Handvoll Waldboden befinden sich mehr Lebewesen als Menschen auf der Erde leben. Da sind zig Milliarden Lebewesen drinnen. Das meiste sind Bakterien, Pilze und auch Hornmilben.

Bestseller-Bücher, Film, Dokureihe, Waldakademie – was haben Sie noch so alles vor?

Also ein Ziel, das gibt es ja gar nicht. Das hieße ja, dass man fertig ist. Ich möchte mich weiter für den Schutz des Waldes einsetzen – und zwar mit möglichst vielen Menschen. Denn der Wald ist eigentlich der Schlüsselfaktor beim Thema Klimawandel. Einer der Haupttreiber des Klimawandels ist der Fleischkonsum – noch vor Kohle, vor Öl, vor Gas steht das Fleisch. Es stellt den größten Teil des persönlichen Co2-Fußabdruckes des Durchschnittsdeutschen. Wenn jeder weniger Fleisch essen würde – auch ich bin übrigens Vegetarier – könnte man relativ kurzfristig in ein, zwei, drei Jahrzehnten das Ganze wieder in den Griff bekommen.

Dabei spielt Wald eine Schlüsselrolle: Wir haben aktuell 110.000 Quadratkilometer Waldfläche in Deutschland und wir könnten locker 80.000 Quadratkilometer hinzugewinnen. Das würde bedeuten, dass Deutschland wieder kühler werden, und es wieder mehr regnen würde. Einfach nur, weil man etwas weniger Fleisch isst. Das ist die positive Nachricht.

„Einer der Haupttreiber des Klimawandels ist der Fleischkonsum – noch vor Kohle, vor Öl, vor Gas steht das Fleisch. Wenn jeder weniger Fleisch essen würde – auch ich bin übrigens Vegetarier – könnte man relativ kurzfristig in ein, zwei, drei Jahrzehnten das Ganze wieder in den Griff bekommen”

Kann man eine Veränderung innerhalb eines Menschenlebens überhaupt miterleben?

Ja. Denn die Bäume werden größer und der Wald entwickelt sich. Es entseht gerade wieder mehr Wildnis. Das erkennt man daran, dass Wölfe nach Deutschland zurückgekommen sind. Es kehren gerade sehr viele seltene Wildtiere zurück. Man muss dann nicht mehr nach Kanada oder nach Skandinavien reisen, wenn man die Wildnis mal hautnah miterleben will. Das kann man auch in Deutschland. Es sind die oft kleinen Dinge, an denen man eine Veränderung erkennen kann. Jeder, der sein Auto schon mal unter einem Baum geparkt hat, weiß, dass Bäume klimaausgleichend sind. Im Winter friert es unter Bäumen nicht so schnell und im Sommer ist es deutlich kühler als unter Sonnenschirmen. Denn Bäum kühlen aktiv.

Also zählt jeder einzelne Baum?

Jedes einzelne Gramm Kohlendioxid in der Luft weniger zählt. Wir haben bei uns am Forsthaus eine Wetterstation, die unter Bäumen steht. Darunter ist es immer 2 Grad kühler. Das heißt, man kann in seinem eigenen Garten das Thermostat herunterdrehen.

Wie wirkt sich die Pandemie auf unsere Wälder aus?

Momentan gibt es etwas mehr Besucherverkehr in den Wäldern, was ich persönlich schön finde. Ich glaube langfristig wird sich die Wertschätzung für unsere heimischen Ökosysteme ändern. Viele Menschen machen momentan mehr Urlaub in Deutschland. Damit sich Menschen erholen können, brauchen wir schöne Wälder. Denn niemand möchte sich ärgern. Das wiederum erzeugt einen positiven Druck, so dass Wälder vermehrt in Ruhe gelassen werden und mehr Wildnis zugelassen wird. Der Wunsch der Bevölkerung, und die ist ja größtenteils Eigentümerin unserer Waldflächen, nach Erholung im Wald steigt. So wächst auch der Druck, positiver damit umzugehen.

Haben Sie auch einen absoluten Lieblingswald?

Das ist unser Wald in Wershofen. Und zwar deswegen, weil es hier Schutzprojekt gibt. Der Wald ist besser geschützt als viele offizielle Schutzgebiete. Er darf nicht mehr angetastet werden und in den nächsten Jahrzehnten darf definitiv kein Baum mehr rausgesägt werden. Wenn man mit diesem Wissen durch den Wald geht, strahlt das automatisch mehr Frieden aus. Für mich ist das ein befreiendes Gefühl.

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„Das geheime Leben der Bäume” ist eine dokumentarische Entdeckungsreise, in der Peter Wohlleben von den höchst erstaunlichen Fähigkeiten der Bäume berichtet. Hier der Trailer zum Film mit spektakulären Naturaufnahmen:

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Mit der Waldakademie setzen sich Peter Wohlleben und sein Team international für den Erhalt und Schutz der Wälder ein

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