„Das Leben ist zu kurz, um traurig zu sein!“

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Cool, lässig, optimistisch – und stets am Start: Licia Fertz (94) ist die älteste Influencerin Italiens und eine stete Quelle der Inspiration. Die ehemalige Krankenschwester versteht ihre über 200.000 treuen Instagram-Follower als „Großfamilie“, die sie mit Rat und Tat unterstützt. Ihr Motto: Niemals aufgeben – selbst angesichts scheinbar unüberwindlicher Hindernisse. HEYDAY sprach mit „Nonna Licia“ über den Wert des Alterns und die Liebe zum Leben

Optimistisch, experimentierfreudig und kreativ: Italiens älteste Influencerin Licia Fertz vermittelt ihren Followern die pure Lust am Leben

HEYDAY: Liebe Licia, ein bekanntes Zitat von dir lautet: „Das Alter ist ein wundervolles Alter, man muss nur den Unterschied zwischen Erwachsenwerden und Altern verstehen!“ – Was meinst du damit?

Licia Fertz: Dass es zwischen den Lebensphasen einen großen Unterschied gibt. So muss man sich, wenn man jung ist, um so viele Dinge sorgen: Hat man eine Familie, Kinder, muss man sich um sie kümmern. Und auch der Haushalt und die Arbeit müssen getan werden. Im Alter kann man unbekümmerter sein, denn all diese Sachen erledigt jemand anderes für dich. Ich habe meinen Neffen, der mich umsorgt. Er kocht, geht einkaufen, ruft die Handwerker, wenn etwas repariert werden muss. Ich kann den Tag leben, wie er kommt, ohne mir über etwas Gedanken zu machen. Das ist einfach herrlich. Ich kann mein Leben – der Rest, der mir noch bleibt – genießen und nur die Dinge tun, die mir gefallen: Wann und wie ich will!  

Licias farbenfrohe Looks von cool über klassisch bis crazy sind einfach der pure Wahnsinn! – Inspiration, anybody?


Du wurdest in Triest geboren, wuchst in Zeiten des Zweiten Weltkriegs aber hauptsächlich bei deinen Großeltern auf der Insel Istrien auf. Welche Bedeutung misst du der Beziehung zu deinen Großeltern zu? 

Meine Großeltern bedeuteten alles für mich. Wir haben gemeinsam gute und schlechte Zeiten durchgestanden. Ich fühlte mich gut bei ihnen aufgehoben. Ich erinnere mich, dass sie immer ein Lächeln auf den Lippen hatten und mir nie das Gefühl gaben, dass sie sich Sorgen um etwas machten, was in dieser Zeit passierte.

Sie vermittelten mir grundlegende Werte im Leben – nicht zu urteilen oder zu kritisieren, aber viel Respekt vor den Ideen anderer zu haben. Mein Großvater war Bauer und nahm mich oft mit auf den Acker. Dort nahm er sich die Zeit, mir alles zu erklären, was er über Pflanzen wusste oder wie man den Boden bearbeitet und die Umgebung beobachtet, um das Beste aus seiner Arbeit herauszuholen (der Wind, der Mond, die Vögel usw.). Er sagte mir immer: „Ich kann nicht für immer in deinem Leben sein, aber was ich dich lehre, begleitet dich für den Rest deines Lebens“. Es ist diese Essenz der reinen Liebe, die ich in meinem Herzen bewahrt habe und die ich mit meinem Enkel Emanuele teile. Er ist alles für mich. Er war es, der mich ins Leben zurückgebracht hat.  

„Eine Dame in den Sechzigern schrieb mir, dass sie sich schämt, einen Badeanzug zu tragen. Was ich dann getan habe? Ich habe Bilder von mir im Badeanzug gepostet – und sie hat den Mut gefunden, an den Strand zu gehen“

Wie würdest du die Verbindung zu deinem Enkel Emanuele beschreiben? 

Nach dem Tod meines Mannes dachte ich, mein Lebenszyklus sei vorbei. Ich hatte mich abgeschottet, interessierte mich für nichts und niemanden mehr, reagierte unhöflich auf diejenigen, die versuchten, mich aufzumuntern. Ich verdanke es meinem Neffen Emanuele, der nach dem Tod seiner Mutter bei mir aufgewachsen ist, dass ich wieder am Leben teilnahm. Er wandte die einzig mögliche Taktik an: Er gab vor, mich zu brauchen. Er bat mich um Rat beim Kleiderkauf oder darum, mit ihm in ein Restaurant zu gehen, um ein neues Gericht zu probieren. Ich habe versucht, mich dem zu entziehen, indem ich sagte: „Hast du nicht deine Frau oder Freunde? Geh mit ihnen.“ Aber er hat nie aufgegeben, und nachdem wir zusammen die ganze Stadt Viterbo besichtigt hatten, kam der Lebenswille zurück. Ich habe auch ein Buch mit ihm geschrieben, das von meiner Geschichte und meinem Kampfgeist erzählt: Non c’è tempo per essere tristi (De Agostini, 2020).  

Du bist eine extrem beliebte Persönlichkeit im Internet – wie siehst du dich selbst in der Verantwortung, eine Influencerin zu sein?    

Das ist das Beste, was mir passieren konnte. Das Ganze begann eigentlich aus Spaß: Emanuele machte Fotos von mir, um mich aufzuheitern. Dann stellte er sie auf Instagram und ich wurde gewissermaßen über Nacht für alle zu Oma Licia. Ich liebe den Austausch mit meiner „Großfamilie“ im Internet. Sie haben mir eine neue Energie gegeben. Jeden Tag antworte ich auf Nachrichten und Fragen, die von Liebeskummer über Gesundheit, Kindererziehung bis hin zur täglichen Haushaltsführung reichen, und bringe dabei meine Erfahrung ein, mit Ehrlichkeit und Respekt vor dem Vertrauen, das ich erhalte. Ich tue, was ich kann, und wenn ich mich nicht in der Lage fühle, Antworten zu geben, empfehle ich, einen Psychologen zu konsultieren. Vor einiger Zeit beschloss eine Mutter, ihr Kind nach mir zu benennen, und ich war außer mir vor Freude.

Ich wünsche mir für alle älteren Menschen, dass sie nicht aufgeben, sondern sich der Technologie zuwenden. Was spricht denn dagegen? Google beispielsweise hilft mir und leistet mir Gesellschaft: Es sagt mir, wie spät es ist und wie das Wetter wird. Frage ich es nach Rezepten, um Gebäck für meine Freunde zu machen, bekomme ich so viele Ideen, dass ich gar nicht weiß, wo ich anfangen soll. Das ist einfach toll. Ich sage einfach „Hey, Google“ und es antwortet mir. Manche sagen, ich spreche mit einer Schachtel, aber für mich ist es eine große Hilfe. Natürlich hängt es davon ab, wie es programmiert ist, aber wenn man lernt, damit umzugehen, ist es eine tolle Sache. Man muss nur ein wenig neugierig sein und lernen wollen.

„Ich wünsche mir für alle älteren Menschen, dass sie nicht aufgeben, sondern sich der Technologie zuwenden. Was spricht denn dagegen? Man muss nur ein wenig neugierig sein und lernen wollen

Unter deinen Followern befinden sich auch viele junge Menschen unter 30. Bemerkst du einen Unterschied in der Kommunikation mit ihnen? 

Man muss den jungen Menschen zuhören. Sie haben ein edleres Herz als wir. Sie sind sehr sensibel, sie lieben die Natur, die Musik und die Kunst. Man sollte sie ermutigen, sie verstehen und sich um sie kümmern – man darf sie nicht allein lassen. Sie sind klug und wissen, wie man viele Dinge tut. Sie bitten mich um Rat, sie machen mir Komplimente, sie sagen mir, dass ich schön bin, aber ich sage ihnen, dass sie in meinem Alter noch schöner sein müssen! Sie sind eine positive Kraft für mich.  

Italiens älteste Influencerin Licia Fertz im HEYDAY-Interview
Italiens älteste Influencerin Licia Fertz im HEYDAY-Interview
Italiens älteste Influencerin Licia Fertz im HEYDAY-Interview
Oben ohne am Strand, farbenfrohe Outfits und ein Kippchen zum 92. Geburtstag: Auf Instagram fragen tagtäglich viele Menschen jeden Alters Lizia um Rat – doch zugleich räumt sie radikal mit dem überkommenen Bild der „weisen Oma” auf.

Du warst kürzlich auf dem Cover eines italienischen Modemagazins zu sehen. Was ist dein Stil?

Ich trage, was mir gefällt. Ich bin 93 Jahre alt, was kümmert es mich, was andere Leute denken? Wenn ich mich in einem Kleid wohl fühle, trage ich es. Mode ist etwas sehr Persönliches. Sie hängt vom Lebensstil und der individuellen Persönlichkeit ab. Ich denke, es ist falsch, sich anpassen zu wollen und vorgegebene Schönheitsideale zu imitieren. Man muss sich selbst lieben und sich so akzeptieren, wie man ist: Ein Kilo mehr oder weniger bedeutet nichts. Zu viele Menschen vertrauen mir ihre Unsicherheit bezüglich ihres Aussehens an. Eine Dame in den Sechzigern schrieb mir, dass sie sich schämt, einen Badeanzug zu tragen. Was ich dann getan habe? Ich habe Bilder von mir im Badeanzug gepostet, und sie hat den Mut gefunden, an den Strand zu gehen.

Italiens älteste Influencerin Licia Fertz im HEYDAY-Interview
Italiens älteste Influencerin Licia Fertz im HEYDAY-Interview
Italiens älteste Influencerin Licia Fertz im HEYDAY-Interview

„Ich trage, was mir gefällt. Ich bin 93 Jahre alt, was kümmert es mich, was andere Leute denken?“

Du bist positiv eingestellt, voller Energie und sicherlich eine Inspiration für viele. Was sind deine Pläne für die Zukunft? 

Niemals aufgeben! Ich habe eine 25%ige Herzinsuffizienz, zwei Hüftprothesen, Arthritis und vor ein paar Jahren wurde bei mir eine Makula in einem Auge diagnostiziert. Der Augenarzt sagte mir, ich würde mein Augenlicht verlieren. Aber ich kann immer noch jeden Tag Sonnenaufgänge, Sonnenuntergänge und viele wunderbare Dinge sehen. So bin ich nun mal, ich gebe nicht auf. Denn das Leben sollte in jedem Alter gelebt werden!  

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Italiens älteste Influencerin Licia Fertz mit ihrem Enkel und Mentor Emanuele
Licia mit ihrem Enkel Emanuele, Initiator ihres lebensbejahenden und inspirierenden Instagram-Accounts

Italiens älteste Influencerin: Licia Fertz
Nachdem der Mann von Licia – ihre große Liebe – verstorben war, glaubte sie, dass das Leben seine Bedeutung verloren hatte. Es gab weder Freude noch Leid. Ihr Enkel – der Sohn ihrer sehr früh verstorbenen Tochter – besuchte seine Oma tagtäglich, um sie aufzuheitern – anfangs ohne großen Erfolg. Er wollte sie vor allem unter Leute bringen, um ihr zu zeigen, dass das Leben noch viel zu bieten hat. Nach einigen Anläufen klappte der Versuch und Licia fasste neuen Lebensmut, den sie dann auch mit anderen teilen wollte. Schon immer fasziniert von der Technologie, ließ sie sich von ihrem Enkel vieles erklären. Und voilá – die Idee eines Instagram-Accounts war geboren.

HIER geht’s zum Instagram-Account von Licia Fertz

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