„Ich bin ein Spätzünder“

Andrea Kadler

Selbst anpacken und die eigenen Träume wahr werden lassen – die Stylistin Andrea Kadler (57) hat es gewagt, und eine Karriere als Fotografin gestartet. HEYDAY sprach mit ihr über ihre Leidenschaft und darüber, warum negative Erfahrungen eine Rolle bei der positiven Weiterentwicklung der Persönlichkeit spielen können

Fotografin Andrea Kadler
Von der Stylistin zur Fotografin: Andrea Kadler ist ihrer Berufung gefolgt und hat ihre Karriere selbst in die Hand genommen
Fotografin Andrea Kadler im HEYDAY-Interview

HEYDAY: Liebe Andrea, wie und wann hast du deine kreative Ader entdeckt?

Andrea Kadler: Meine erste Konica-Kamera bekam ich mit 12 Jahren. Dazu kam noch eine Super 8 Filmkamera. Von da an gab ich all mein Taschengeld für die Entwicklung von Filmen aus und fotografierte unser Familienleben sowie meine Freunde und inszenierte erste Shootings in der Natur. Dieses Talent wurde aber nie gefördert. Meine Familie sah eine kaufmännische Ausbildung und Karriere für mich vor, der ich auch erst einmal folgte, bis ich mein Studium an der Ruhr-Universität Bochum (RUB) begann und beim Starlight Express arbeitete. Dort traf ich auf Menschen, von denen ich mich gesehen und verstanden fühlte. Mode- und Kostümdesign waren schon immer faszinierende Themen für mich und die italienische Vogue meine Bibel. So kam ich zum Styling.

Was war das Schlüsselerlebnis, das dich dazu brachte, ganz in die Welt der Fotografie einzutauchen?

Ich habe meinen Beruf als Mode-Stylistin geliebt, aber tief in mir immer gespürt, dass etwas fehlt – als wenn ich etwas vergessen hätte. Bis ich diesem Ruf endlich gefolgt bin. Ein tiefer Frieden legte sich auf meine Seele – von dem Moment an, als sich im Oktober 2019 folgendes ereignete: Ich hatte mal wieder eine Produktion für ein Modemagazin vorbereitet, doch die von mir ausgesuchte Fotografin fiel aufgrund von Krankheit am Tag des Shootings aus. Location und Models waren bereits alle von mir gebucht. Also habe ich mir einen Ruck gegeben und beschlossen, einfach mal die Kamera in die Hand zu nehmen und alles selbst umzusetzen – die Motive hatte ich ja bereits im Kopf. Das Feedback war so positiv, dass ich mich bestärkt an meine neue Berufung heranwagte.

Jeder verfügt über ein eigenes Leitsystem, wie er was umsetzt

Ich vergesse alles um mich herum, wenn ich arbeite, vertraue vollkommen auf meine Intuition und mein langjähriges Wissen, das ich in der Branche aufgebaut habe. Wir alle sind aus einem bestimmten Grund auf dieser Welt, jeder von uns hat seine ganz eigene Berufung und verfügt über ein eigenes Leitsystem wie er was umsetzt. So gesehen bin ich eigentlich ein Spätzünder.

Würdest du sagen, dass alles andere in deinem Leben glatt verlaufen ist?

Es gab in meinem Leben viele schwierige Phasen. In meiner Jugend hatte ich große Konflikte mit meinem Vater, einem klassischen Patriarchen, der meine Zukunft als seine Sekretärin im Familienunternehmen sah. Meine beste Freundin starb mit Anfang 30 an Bauchspeicheldrüsenkrebs. Ich lernte sie an der RUB kennen, und als die gebürtige Hamburgerin wieder in ihre Heimatstadt zog, entschloss ich mich, auch in meine Lieblingsstadt zu ziehen, die ich von vielen Reisen bereits kannte. Als wir gerade ein Jahr in Hamburg waren, das Leben in vollen Zügen genossen und unsere Karrieren Fahrt aufnahmen, starb sie.

Dann lernte ich meinen Mann kennen, begann eine Familie zu gründen – und verlor wieder alles, denn mein Ex-Mann ist suchtkrank. Ich konnte damit nicht leben und zog unseren gemeinsamen Sohn allein groß. 2008 starb meine Mutter mit nur 62 Jahren an den Folgen ihrer Brustkrebserkrankung, im selben Jahr wurde ich geschieden und mein Kind eingeschult. Die darauffolgenden Jahre sehe ich als konstante Weiterentwicklung meiner Persönlichkeit.

Wie kann man es schaffen, mit diesen Herausforderungen umzugehen?

Rebecca Campbell schreibt in ihrem Buch Dein Licht steht dir gut: „Ich glaube, deine Tragödien, Verluste, Sorgen und Leiden wurden dir nicht angetan, sondern für dich getan. Und ich segne alles, was dich niedergedrückt, aus der Bahn geworfen und letztendlich aufgeknackt hat, denn die Welt braucht dich ohne schützende Schale und offen.“ Denn erst, wenn wir aufgeknackt sind, kommt durch die Risse das Licht herein. An diesem Punkt in meinem Leben befinde ich mich. Und auch wenn sich das hart anhört und manchmal sehr weh tut – es lohnt sich und ich bin dankbar für die vielen Erfahrungen und Phasen in meinem Leben, die mich wachsen lassen. 

Welche Frauen haben dich inspiriert?

Meine modische Bewunderung galt Jil Sander, ich liebte ihre Mode und bewunderte ihren Werdegang. Auch Peter Lindbergs Supermodels wie Tatjana Patitz, Linda Evangelista und Christy Turlington verkörperten für mich einen selbstbewussten, unabhängigen Frauentypus, ebenso wie Debbie Harry, Madonna, Annie Lennox und Kim Wilde.

Intellektuell prägten mich Simone de Beauvoir und Alice Schwarzer, Frauen, die für ihre Rechte und Enttabuisierungen kämpften, für die Rechte vieler Generationen nach ihnen. Für mich waren sie immer mein Kompass, mein innerlicher Leitfaden, was Freiheit, Gerechtigkeit und Gleichberechtigung angeht. Die aktuelle Lage der Frauenrechte im Iran, das Schicksal von Jina Mahsa Amini – all das betrübt mich sehr, ja es ist eigentlich unvorstellbar aus Sicht unserer modernen globalen westlichen Welt. 

Du hast im Herbst 2022 ein Projekt namens Come as you are! gestartet. Was hat es damit auf sich?

Come as your are! – das ist ein Langzeitprojekt: Sei wie du bist – das bedeutet, dass ich versuche, in meinem Gegenüber beim Fotografieren die authentische Persönlichkeit hervorzulocken. Als ich das Projekt begann, wurde mir bewusst, dass ebendiese Freiheit, Körperlichkeit und Sinnlichkeit zu zeigen und zu leben, für mich eine immense Bedeutung hat. Und die Thematisierung sowie der Umgang damit ist in der heutigen Zeit ja wichtiger denn je. Ich freue mich, auf HEYDAY erste Arbeiten zeigen zu können. Ich habe hier viel mit Lingerie gearbeitet, weil sie für Freiheit steht, und dabei wenig und teilweise gar kein Make-up verwendet. Als Props habe ich Blumen eingesetzt und bat jede Teilnehmerin, sich eine auszusuchen. Es war schön zu sehen, welcher Typ Frau welche Blume wählt.

Bild aus dem Projekt „Come as you are!” von Fotografin Andrea Kadler
Auszug aus Andreas Langzeitprojekt COME AS YOU ARE! Model SWAN

Körperlichkeit und Sinnlichkeit zu zeigen, ist für mich in der heutigen Zeit wichtiger denn je

Lange Abende mit Freunden, gute Gespräche, regelmäßige Ausflüge in die Natur und Meditation gehören für mich zu einem positiven Mindset

Was bedeutet Schönheit für dich und wie gehst du persönlich mit dem Älterwerden um?

Zum Thema Schönheit und Älterwerden denke ich wie Coco Chanel: „Eine Frau kann mit 19 entzückend, mit 29 hinreißend sein, aber erst mit 39 ist sie absolut unwiderstehlich. Und älter als 39 wird keine Frau, die einmal unwiderstehlich war!”

Dieses gewisse Etwas verliert eine Frau nicht so einfach. Wohl aber die Elastizität der Haut. Und da bin ich dankbar für viele kleine Beauty Tipps und tolle Produkte. Ich selbst bin ein Fan der Layer-Methode und verwende drei bis vier aufeinander aufbauende Pflegeprodukte morgens und auch abends. Auch regelmäßiges Peeling und vor allem viel Sauerstoff für die Haut, den man am besten bei einem schönen Spaziergang am Meer bekommt, tun mir gut. Neben der Pflege finde ich ein positives Mindset am wichtigsten. Ich wende dafür Meditationstechniken an. Aber auch gesellige Abende mit engen Freunden, guten Drinks und vor allem inspirierenden Gesprächen machen mich froh.

Limitierte Edition White Roses Collage 2022 auf Acryl, Leinwand oder FineArt Print erhältlich

Deine FineArt-Fotografien sind von der Natur und der Vergänglichkeit inspiriert. Wie kamst du darauf, so dein Portfolio zu erweitern?

Bereits vor meinem Start als Fotografin fotografierte ich Motive aus der Natur. Als Schöngeist faszinieren mich Landschaften und die Pflanzenwelt besonders. Also begann ich Momente einzufangen und künstlerisch zu verarbeiten, die ich heute als Erweiterung meines Portfolios in limitierter und hochwertig produzierter Auflagen anbiete. Einige Motive wie die Serie La-Botanica wurden bereits in Magazinen veröffentlicht. (Anmerkung der Redaktion: Diese kann man HIER erwerben)

Hat sich die Branche seit Corona verändert?

Durchaus, die Kunden sind nicht mehr so stabil und die Unsicherheit lässt sie auch Budgets zurückhalten. Aber ich bleibe mit Herzblut dabei – das macht uns ja als Kreative aus. Wir brauchen eine Message und eine Vision, an der man festhält!

Bild aus dem Projekt „Come as you are!” von Fotografin Andrea Kadler
ROBINE @ MGM Models

Was wünschst du dir für die Zukunft?

Die vergangenen drei Jahre der Pandemie und die Kriegsauswirkungen, die an mir und an uns allen gezehrt haben, steckt man nicht mal eben so weg.

Für die Zukunft wünsche ich mir wieder mehr Leichtigkeit und – ich hätte nie gedacht, dass ich das mal sage – eine friedvollere Welt! 

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Fotografin Andrea Kadler im HEYDAY-Interview
Jetzt auch hinter der Kamera: Fotografin und Stylistin Andrea Kadler

Über Andrea:
Andrea Kadler kam 1965 in Bochum zur Welt, ihre Kindheit und Jugend wurde durch Kunst mütterlicherseits und Automobile väterlicherseits geprägt. Andrea studierte zunächst Sinologie und Anglistik an der Ruhr-Universität Bochum, und arbeitete im Costume Department des Musicals Starlight Express. Es folgte eine Assistenz in Düsseldorf bei der renommierten Stylistin Karin van Noort. 1993 begann ihre internationale Styling-Laufbahn für Modekunden und Magazine. 2019 nahm sie offiziell die Kamera selbst in die Hand – seither ist sie jeden Tag dankbar, sich mit der Fotografie ausdrücken zu können. Ihre Arbeiten erscheinen weltweit in Magazinen, für April 2023 ist eine Ausstellung geplant. Andrea lebt heute mit ihrem Sohn in ihrer Lieblingsstadt Hamburg.

HIER geht’s zum Instagram-Account von Andrea, ihre Homepage mit Online-Shop findet ihr HIER. Für HEYDAY hat sie bereits eine Beauty-Produktion und ein Modeportrait umgesetzt.

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