Hereinspaziert: Art-Direktorin Dagmar Sucrow-Barthel empfängt uns in ihrer Atelierwohnung in Berlin. Sie gehört zu Deutschlands Kreativen der alten Garde, arbeitete für renommierte Werbeagenturen und Magazine, entwickelte visuelle Konzepte für internationale Marken und kreierte prämierte Anzeigenkampagnen. An den Ruhestand denkt die 75-Jährige noch lange nicht.
HEYDAY besuchte Dagmar in ihrer originell gestalteten Atelierwohnung in Berlin – in jeder Ecke und an jeder Wand sind hier die Spuren eines langen, kreativen Lebens zu finden. Ein großer Tisch im zentralen Raum dient als „Werkstatt“ – hier fertigt die Art-Direktorin Konzept-Skizzen an, schiebt Bilder und Fotos hin und her, oder arrangiert schöne Dinge als Inspiration für die visuelle Umsetzung von Ideen. Während der Fotoaufnahmen für unsere Homestory sprachen wir über Dagmars Lebenserfahrung, das Älterwerden – und darüber, was die Zukunft bringt.
HEYDAY: Nach einer langen Karriere als Art-Direktorin für große Marken und führende Magazine bist du heute immer noch am Ball, entwickelst visuelle Konzepte für Merchandising, Journale und Lookbooks. Nach welchen Kriterien wählst Du heute deine Jobs aus?
Dagmar Sucrow-Barthel: Ich schaue mir heute meine Kunden genauer an. Oft gab es in der Vergangenheit bei der Zusammenarbeit, vor allem mit anderen Frauen, Situationen von Neid oder Stutenbissigkeit – das brauche ich heute nicht mehr. Durch Zufall bin ich unlängst auf das junge Modelabel Richert Beil gestoßen, das kreative Unterstützung suchte. Die beiden Designer Jale Richert und Michele Beil waren mir auf Anhieb sympathisch und zeigten sich vor allem sehr offen. Wenn ich auf Menschen treffe, die meine Erfahrung wertschätzen ist das für mich eine Herzensangelegenheit – da geht es mir nicht ums Geld. Ohne langen Vorlauf habe ich zusammen mit dem Berliner Label Einladungen und ihre Image-Kampagne für Frühling/Sommer 2019/2020 für Frauen und Männer kreiert.
Haben sich Deine Einstellungen und Ansichten im Laufe der Zeit verändert?
Leider bin ich heute nicht mehr so spontan und offen wie einst, wenn ich mit Leuten kommuniziere. Ich bin vorsichtiger damit, was ich sage. Es wird viel getratscht, da erzählt‘s der eine dem anderen. Letztendlich entstehen dadurch völlig neue Geschichten mit viel Eingeninterpretation. Das hat mir in der Vergangenheit oft arg zugesetzt. Daher bin ich heute erst einmal vorsichtig. Aber wenn ich nicht ehrlich zu jemandem sein kann, ist die Person für mich auch nicht interessant.
Wie lange bist Du mit Deinem Mann schon zusammen? Was ist das Geheimnis deiner langen Beziehung?
Puh, das sind schon 25 Jahre … oder gar 43? (lacht). Die Zahl interessiert mich eigentlich nicht. Wir sind ein Team, aber jeder hat auch seine eigenen Freiheiten. Wir führen keine typische Ehe und dadurch funktioniert unser Zusammenleben.
Was ist positiv oder sogar angenehm am Älterwerden?
Das Angenehme ist, dass man schon alles mögliche durchgemacht, und viele Erfahrungen gesammelt hat. So kann man heute einige Dinge viel entspannter und klarer sehen – und entsprechend handeln. Man muss auch nicht mehr alles mitmachen.
Du bist heute 75 Jahre alt. Hast Du für die Dir verbleibende Zeit einen Gestaltungsplan?
Reisen will ich weiterhin, vor allem gerne einmal nach Tokio. Ich möchte auch weiter arbeiten, neue Leute kennenlernen. Ich geniesse einfach die Zeit. Wichtig ist natürlich, dass der Kopf noch mitmacht und Kreativität und Gesundheit erhalten bleiben.
Du hast vorhin von offenen, jungen Designern geschwärmt. Umgibst Du dich auch mit Menschen Deines Alters?
Durchaus, denn das eigene Umfeld schafft man sich selbst. Mit „Stehengebliebenen“ will man ja nichts machen. Mein Umfeld spornt mich natürlich auch an und das ist gut so. Wenn die Leute in deinem Umfeld auf der selben Wellenlänge und auch kreativ sind, und sich die Möglichkeit zu einer Kolloboration ergibt, dann bin ich auf alle Fälle dabei …
Ein Feuerwerk an Ideen im Dienst der Ästhetik
– die Geschichte einer langen Karriere
Unsere Geschichte beginnt im letzten Jahrhundert: Damals wie heute war und ist das Leben von Künstlern und Kreativen ein Balanceakt zwischen dem Freiheitsdrang der Seele und der Notwendigkeit finanzieller Absicherung. Doch es gab Zeiten, da lastete zusätzlich der Druck gesellschaftlicher Konventionen auf den Mitgliedern der Boheme. Stets aber verstanden es Menschen mit kreativer Ader, trotz aller Widrigkeiten für sich selbst und andere ganz neue Welten zu erschaffen. Denn sie sind Träumer, Visionäre und ein steter Springquell zündender Ideen.
Dagmar ist eine von ihnen. Die gebürtige Berlinerin startet ihre Karriere von 1969-1977 bei der renommierten Agentur Dorland in Berlin. 1977 zieht sie mit Klaus nach Stuttgart, weil er dort seine erst Anstellung nach dem Studium annimmt. Als junge Kreative arbeitet Dagmar in jener Zeit in Schwaben für große Werbeagenturen, wie RAC und GGK. Da das „in wilder Ehe“ lebende Paar damals keine Wohnung bekommt, heiraten sie kurzerhand, um das Problem zu lösen. „Das passierte aus der Not heraus“, erzählt Dagmar, „ansonsten wären wir bis heute nicht verheiratet. Die Institution der Eheschliessung fand und finde ich immer noch total spießig.”
„Ich umgebe mich gerne mit schönen Dingen und mag es auch, sie zu berühren“
Der nächste Umzug führt nach München. Dort werden Dagmar und Klaus sesshaft. Dagmar arbeitet frei als Art-Direktorin für namhafte Magazine wie Cosmopolitan und Elle. 1980 kommt sie zur deutschen Vogue – dem tonangebenden Magazin für Stil, Kultur, Lebensfreude und Genuss. Hier kreiert sie in der Promotion-Abteilung innovative Layouts, Anzeigen und Modestrecken, die sie mit internationalen Fotografen realisiert. 1997 eröffnet sie in der Münchner Amalienstraße ihr eigenes Atelier, welches schnell Anlaufpunkt für viele kreative Projekte wird.
Als sie den österreichischen Designer Helmut Lang kennenlernt, entwirft sie sein gesamtes Firmenimage – von Visitenkarten bis hin zu großen Anzeigen-Konzepten. 1998 erhält sie für eine Helmut-Lang-Kampagne den LeadAward – für Kreative eine der größten Auszeichnungen in Deutschland. Für das angesagte Label, das den Zeitgeist der Neunzigerjahre perfekt widerspiegelt, kreiert Dagmar ausserdem das Design für die legendären Parfums des Designers.
„Die Institution der Ehe fand und finde ich immer noch total spießig”
Als 1997 der erste Luxus-Concept-Store Departmentstore im Quartier 206 in Berlin eröffnet, ist Dagmar für den Look der Corporate Identity und das Advertising, sowie des Journals Departmentstore Quartier 206 verantworlich. Der exklusive China Club im Berliner Hotel Adlon und Modehäuser wie Loden Frey, Theresa, Mohrmann und Kadewe folgen. Außerdem unterstützt sie als Kreative die Porzellan Manufaktur Nymphenburg. Für Juwelier Wempe entwirft sie Konzepte für die Umsetzung der hauseigenen Journale. Auch heute noch realisiert sie Lookbooks für Schmuck-, Mode- und Lifestylekunden.
Ihrer Arbeitsweise bleibt sie trotz Digitalisierung treu. Sie liebt es mit Materialien, Formen und Schriften zu spielen. Papiere und andere Werkstoffe in der Hand spüren, damit arbeiten und Collagen anfertigen – Tätigkeiten wie diese stehen bei Dagmar bis heute an oberster Stelle. Für Projekte, die nur digital erstellt werden, holt sich Dagmar eine Assistenz, die ihre Anweisungen am Computer umsetzt. Privat besitzt sie ein iPhone und ein handliches iPad mit dem sie im Netz recherieren kann. Inspirationen holt sie ich sich aber bis heute lieber im echten Leben – auf Reisen lässt sie Städte und Kulturen auf sich wirken.
Unser Fazit, kurz gesagt: Dagmar ist mit 75 Jahren kein bisschen altersmüde. Ganz im Gegenteil! Schön zu lesen war diesbezüglich im Rahmen eines Interviews im Tagesspiegel mit dem aufstrebenden jungen Berliner Designer-Duo Richert Beil ein Kommentar der beiden über Dagmar: „In Dagmar Sucrow-Barthel, die als Art-Direktorin Helmut Lang mit aufgebaut hat, hat das Label Richert Beil eine Förderin: ,Dagmar ist nach unserer ersten Show gekommen und nie mehr gegangen.‘ Die Modeveteranin motiviert Richert und Beil, wenn ihnen mal die Puste auszugehen droht. ,Ich würde jetzt nicht sitzen‘, sagt sie den beiden dann. ,Vom Sitzen wird man müde.‘“
Hinter den Kulissen
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