Die Französin Marie-Lise Jonak (56) hat ein Näschen für das Besondere: Gemeinsam mit ihrem Sohn Baptiste führt sie das Parfum-Label ORMAIE, dessen Düfte aus rein natürlichen Ingredienzen bestehen und in kunstvolle Flakons gefüllt sind. Wie abwechslungsreich ihre Arbeit ist, und warum man mit Einfühlungsvermögen im Beruf und auch im Leben weiterkommt, verrät Marie-Lise im Interview mit HEYDAY
Jeder Duft-Flacon von ORMAIE ist ein Kunstwerk, und zudem nachhaltig – die kleinen Hingucker werden aus recyceltem Glas und französischem Buchenholz hergestellt
HEYDAY: Liebe Marie-Lise, du bist seit mehr als 25 Jahren in der Parfümindustrie tätig und hast als Consultant und Kreativdirektorin für große Dufthäuser gearbeitet. Andere denken ab einem gewissen Alter ans Kürzertreten. Du hast stattdessen mit deinem Sohn Baptiste 2018 ein eigenes Duftlabel gegründet…
Marie-Lise Jonak: Tatsächlich war es Baptiste, der mich in dieses Abenteuer verwickelt hat. Damals arbeitete er noch bei Louis Vuitton und fragte mich eines Tages, ob ich einen hundertprozentig natürlichen Duft entwickeln könnte. Ich war mir nicht sicher, ob wir die Parfümeure überhaupt überzeugen können, diese Idee in die Tat umzusetzen. Es ist schon eine Herausforderung, komplett auf synthetische Duftstoffe zu verzichten. Aber nachdem Baptiste seinen Job aufgegeben hatte, war klar, dass wir auf jeden Fall etwas Gemeinsames starten würden.
Die Düfte von ORMAIE bestehen aus natürlichen Rohstoffen, die ethisch verantwortungsvoll und umweltfreundlich beschafft werden. Die Flakons sind aus recyceltem Glas gefertigt, die Verschlüsse aus französischem Buchenholz. Jeder Flakon ist ein kleines Kunstwerk. Wie wichtig ist für dich die Verbindung von Nachhaltigkeit und Ästhetik?
Dieser Bezug war entscheidend bei unserer Arbeit. Wir wollten keine Kompromisse eingehen. Deshalb haben wir auch lange gebraucht, um die richtigen Duftstoffe und die Hersteller für jeden einzelnen Bestandteil unseres Produkts zu finden. Erst nach drei Jahren waren wir wirklich zufrieden mit dem Resultat.
„Normalerweise beginnen Baptiste und ich mit einer Idee für einen Ort, eine Stimmung oder eine Erinnerung. Ich versuche mir die verschiedenen Gerüche vorzustellen, die diese Erinnerung hervorruft, und baue sie Schicht für Schicht auf“
Woher kommt deine Leidenschaft für Parfüms?
Das war reiner Zufall. Ich wollte schon immer in einem kreativen Bereich arbeiten. Aber ich hätte nie gedacht, dass es sich dabei um Parfum drehen würde. Die Welt der Düfte lernte ich zuerst bei Colgate Palmolive kennen, einem Seifen- und Waschmittelhersteller. Dort habe mein Faible für die Duftherstellung entdeckt. Ich habe gemerkt, wie viel Kreativität in diesem Prozess steckt. Ich hatte schon immer eine Vorliebe für Düfte. Bei diesem Job wurde mir klar, dass ich damit Karriere machen könnte.
Wie sieht deine Arbeit als Creative Director bei ORMAIE aus?
Meine Tage sind sehr arbeitsintensiv – und das nicht nur, wenn es ums Kreative geht. Ich bin ständig auf der Suche nach neuen Ideen und Inspirationen. Von den Parfümeuren, mit denen wir zusammenarbeiten, bekomme ich viele Duftvorschläge. Auch wenn gerade nicht das Passende dabei ist, bewahre jeden einzelnen auf. Sie dienen mir oft als eine Inspirationsquelle für andere Projekte. Wenn ich plötzlich ich einen ganz bestimmten Duft im Kopf habe, um damit eine ganz bestimmte Stimmung auszudrücken, kann ich auf meine Sammlung zurückgreifen.
Wie genau gehst du bei der Kreation eines Duftes vor?
Normalerweise beginnen Baptiste und ich mit einer Idee für einen Ort, eine Stimmung oder eine Erinnerung. Ich versuche mir die verschiedenen Gerüche vorzustellen, die diese Erinnerung hervorruft, und baue sie Schicht für Schicht auf. Dann ziehe ich die Parfümeure hinzu und wir wählen gemeinsam die natürlichen Inhaltsstoffe aus, die dieses Geruchsprofil erzeugen sollen. Das ist der schwierige Teil. Es ist nicht leicht, mit den natürlichen Inhaltsstoffen zu arbeiten und vor allem das richtige Gleichgewicht zwischen ihnen zu finden. Wir probieren meist 30 bis 50 Rezepturen aus – oder so viele wie eben nötig – um die Richtige zu finden. Wir testen sie jedes Mal an verschiedenen Hauttypen. Was wir dabei lernen, nutzen wir, um den Duft in jedem Schritt zu verbessern.
„Ich bin in der Tat emotional. Aber in der Kreativbranche ist es auch wichtig, Emotionen und Sensibilität zu zeigen“
Hast du ein Beispiel für einen deiner eigenen Düfte?
Einmal wollten wir die Erinnerung an einen Abend in der Oper oder im Ballett nachempfinden: den Geruch der Holzbretter, der teuren Vorhangstoffe, des Schuhwachses. Der Name des Duftes ist Toï, Toï, Toï. Es ist der Satz, den der Ballettmeister benutzt, um den Tänzern „viel Glück“ zu wünschen.
Wie bereits erwähnt, hast du ORMAIE zusammen mit deinem Sohn Baptiste gegründet. Welche Vor- und Nachteile hat ein familiengeführtes Unternehmen?
Es kann manchmal schwierig sein, Kritik zu äußern, ohne dass die Diskussion als Mutter-Sohn-Konflikt aufgefasst wird. Dabei ist es ja in Wirklichkeit nur eine Meinungsverschiedenheit zwischen zwei Kollegen. Dessen muss man sich bewusst sein. Aber abgesehen davon, gibt es nur Positives zu berichten. Wenn, wie in unseren Fall, die Talente und die Rollen im Familienunternehmen unterschiedlich sind, dann ist es sehr einfach, dieses Abenteuer mit Leichtigkeit und Freude zu bestehen. Baptiste und ich haben zwei Charaktere, die sehr gut zusammenpassen.
Frauen wird oft vorgeworfen, dass sie in der Arbeitswelt zu emotional handeln und schneller nachgeben, als Männer. Wie schaffst du es, dich durchzusetzen?
Ich bin in der Tat emotional, aber in der Kreativbranche ist es auch wichtig, Emotionen und Sensibilität zu zeigen. Kreative Menschen möchten sich frei ausdrücken können, ohne beurteilt zu werden. Und wenn Frauen emotional sind, dann sind sie meist auch einfühlsam. Ich denke, gerade das ist wichtig in der heutigen Zeit.
„Wenn man wie ich mit Düften arbeitet, tendiert man dazu, sich unter der Woche nicht zu parfümieren“
Welche Eigenschaften machen deiner Meinung nach eine gute Führungskraft aus?
Man braucht eine Vision, eine Strategie und auch die Fähigkeit, die richtigen Personen für ein gut funktionierendes Team zu rekrutieren. Man muss Ziele setzen und seinen Mitarbeitern helfen, ihre Ziele zu erreichen. Empathie ist für mich die beste Eigenschaft, die man haben kann, um in dieser Rolle erfolgreich zu sein.
Zurück zum Thema Düfte: Welches war dein erstes Parfüm? Und bevorzugst du heute andere Düfte als in jüngeren Jahren?
Mein erstes Parfüm war YSatis von Givenchy, weil meine Mutter es mir zu Weihnachten geschenkt hatte, aber mein Herz schlug bald darauf für Pour femme von Boucheron und Samsara von Guerlain. Lange habe ich auch Aqua Universalis von Francis Kurdjian getragen, ein frischer Moschusduft. Er war so etwas wie mein Erkennungsmerkmal. Aber der Geschmack für Düfte entwickelt sich weiter und hängt, wie bei der Mode, auch von den Trends ab. Wenn man wie ich mit Düften arbeitet, tendiert man dazu, sich unter der Woche nicht zu parfümieren. Man möchte schließlich alles um sich herum klar riechen und testet permanent, wie sich die Düfte auf der Haut entwickeln.
Suchst du deine Düfte je nach Anlass aus oder trägst du zum Business Meeting den gleichen Duft wie zum Dinner mit Freunden?
Als ich jünger war, habe ich das so gemacht. Seit ich in der Parfümindustrie arbeite, trage ich in der Regel tagsüber den Duft, den ich gerade entwickle. Und wenn ich ihn auch am Abend verwende, bedeutet das, dass nur noch ein paar winzige Details fehlen und der Duft fast fertig ist.
Du hast einen tollen Kleidungsstil. Wie würdest du ihn beschreiben und worauf legst du besonderes Augenmerk?
Lange Zeit bestand mein Outfit meistens aus einer blauen, gerade geschnittenen Hose und einem weißen Hemd von Anne Fontaine. Der Look passte zu jeder Gelegenheit. Damit konnte ich nichts falsch machen. Je nach Anlass habe ich dazu noch Accessoires, etwa ein Collier, große Ringe, Haarschmuck oder besondere Schuhe kombiniert – immer ein Teil, das den klassischen Stil bricht. Auch auf Reisen war und ist das sehr praktisch, da man nicht viel Gepäck mitnehmen muss. Seit es ORMAIE gibt, bin ich aber kreativer geworden und lasse mich von verschiedenen Looks verführen. Vielleicht ist es das Alter oder einfach das Gefühl, frei und nicht an einen bestimmten Status gebunden zu sein. Wenn man für einen großen Konzern arbeitet, muss man häufig Stil-Codes einhalten.
Du hast als junge Frau an der Wahl zur Miss France teilgenommen und den zweiten Platz belegt. Was denkst du heute über Misswahlen? Würdest du noch mal mitmachen?
Die Teilnahme am Wettbewerb war für mich der Beweis, dass man etwas erreichen kann, wenn man es will. Als ich jung war, war ich schüchtern und habe sehr unter meiner schrecklichen Teenager-Phase gelitten. Ich hatte Pickel, eine Brille, gesundheitliche Probleme – und wurde dafür gehänselt. Kinder können wirklich grausam zueinander sein. Ich wollte der Welt damals beweisen, dass nichts in Stein gemeißelt ist und dass man sich vom hässlichen Entlein in eine Prinzessin verwandeln kann. Und ja, heute würde ich wieder mitmachen. Der Contest hat mir die Welt der Fashion und Beauty eröffnet. Ich habe viel gelernt, als ich in Vorbereitung für das Event wochenlang Zeit mit den anderen Mädchen verbracht habe. Da ich bereits wusste, wie es sich anfühlt, beurteilt und kritisiert zu werden, konnte ich mich gut in die hineinversetzen, denen es schwerfiel, das alles zu ertragen. In dieser Zeit hat sich vermutlich mein Sinn für Empathie entwickelt.
„Mein Traum ist, dass wir die Blumen für unsere Duftproduktion eines Tages selbst anbauen“
Wie wichtig ist dir dein Äußeres heute und wie gehst du mit dem Thema Altern um? Französinnen werden ja gern besondere Beauty-Geheimnisse zugeschrieben. Verrätst du uns deine?
Ich achte auf meinen Körper und mich. Schon immer. Ich habe beispielsweise noch nie geraucht oder Alkohol getrunken und ich versuche mein Gewicht zu halten. Seit meinem 14. Lebensjahr creme ich jeden Morgen meinen ganzen Körper ein. Ich mache regelmäßig Gesichtspeelings und benutze morgens und abends eine Creme. Neuerdings ist noch ein Serum hinzugekommen. Einmal pro Woche lege ich eine Kollagen-Maske auf. Und ich bevorzuge ein natürliches Make-up. Besonders wichtig ist mir, dass meine Haare immer tadellos sitzen. Das verleiht direkt eine elegantere Erscheinung.
Zu guter Letzt: Gibt es etwas, das du zusammen mit deinem Sohn Baptiste erleben oder unternehmen möchtest?
Ich würde ORMAIE gern auf das nächste Level heben. Mein Traum ist, dass wir eigene Boutiquen eröffnen und die Blumen für unsere Duftproduktion selbst anbauen.
Mehr über Ormaie Paris
Die französische Duftmarke Ormaie wurde vom Mutter-Sohn-Duo Marie-Lise Jonak und Baptiste Bouygues gegründet. Baptiste, der in der Kommunikation und PR für Brands wie Louis Vuitton und Givenchy gearbeitet hat, hatte die Idee, ein völlig natürliches Parfüm ohne synthetische Inhaltsstoffe zu kreieren. Seine Mutter, die in der Parfümindustrie durch ihre Rolle als Beraterin keine Unbekannte war, nahm die Herausforderung an. Nach zwei Jahren Entwicklung waren sie 2018 soweit und gründeten ihr gemeinsames Label Ormaie. Schnell fanden die unverwechselbaren Düfte und die von Brâncuși inspirierten Flakons Anklang bei Parfümkennern- und -Liebhabern – denn die Kreationen sind nicht nur in der Note, sondern auch im Design außergewöhnlich.