Romys Welt #8 – raus aus dem Altersghetto!

Luca Lancieri

Warum junge Frauen sich für ältere Frauen interessieren sollten – und umgekehrt: HEYDAY-Kolumnistin Romy Stangl (48) glaubt daran, dass zwischen den Generationen eine natürliche Verbindung besteht. So hat Romy jüngeren Frauen viel an Lebenserfahrung zu bieten – und sie lernt auch eine Menge von ihnen…

Inniger Austausch zwischen den Generationen: Kolumnistin Romy Stangl (re.) mit Maria Chiara, die sie im Rahmen der Shooting-Reihe #thebeautiesinthebeauty von Fotograf Luca Lancieri kennenlernte

„Ganz ohne Scham spricht man heute vom Inzest bis zur Inhaftierung, vom Masochismus bis zur Masturbation, von der Sucht bis zum Missbrauch“

In den letzten Jahren ist mir etwas aufgefallen, das mich zum Lächeln bringt, während ich darüber schreibe. Wohin ich auch reise und wohin ich auch gehe, öffnen sich mir oft jüngere Frauen und vertrauen mir an, was in ihrem Leben vor sich geht. Manchmal genügt eine Frage wie: „Wie läuft das Leben für dich?“ Und die Antwort ist persönlich, echt und wunderbar intim. Die Tür ist offen für ein authentisches Gespräch.

Ich denke an die Zeit zurück, als ich jünger war. Es gab viele Bereiche meines Lebens, die ich nicht im Traum mit meiner Mutter besprochen hätte. Aber manchmal ergab es sich, dass ich mit älteren Frauen sprach, die mir auf meinem Lebensweg begegneten – seien es Lehrerinnen, Betreuerinnen in der Ausbildung oder Mütter von Schulkamerad:innen, denen ich vertrauen konnte. Sie hatten keine Absichten. Sie waren nicht missbilligend. Sie wussten, wie man zuhört. Aber natürlich gab es viele Dinge, die ich auch mit ihnen nicht besprechen konnte.

„Junge Frauen wollen sich nicht nur Luft machen. Sie wünschen sich von älteren Frauen Feedback, neuen Input und Ratschläge“

Doch diese Zeiten haben sich geändert. Heute ist alles offenkundig, und man kann die intimsten Details aus dem Leben von Frauen lesen, die sie mit Hunderten, Tausenden oder Millionen von Lesern in diversen Medien teilen. Nichts ist zu privat. Es scheint eine heilende Wirkung zu haben, wenn es keine versteckten Ecken mehr im eigenen Leben gibt, wenn man den Würgegriff der Scham durchbricht. Frauen sprechen und schreiben über alles – vom Inzest bis zur Inhaftierung, vom Masochismus bis zur Masturbation, von der Sucht bis zum Missbrauch. Sie nehmen uns mit ins Schlafzimmer und in den Sitzungssaal. Sie sind oft stolz darauf, so zu sein, wie sie sind, ohne ein geheimes Leben führen zu müssen, oder sich für ihre Fantasien und Gefühle zu schämen. Sie kommen aus sich heraus und finden überall Freundinnen…

Aber ich spreche hier von etwas anderem. Von stillen Momenten zwischen einer Frau, die am Anfang ihres Lebens steht, und einer, die schon Jahrzehnte des Lebens hinter sich hat. Die jungen Frauen sind wunderbar ehrlich, und sie sprechen über Details ihrer Beziehungen, über ihre Schmerzen und Ängste, die sie in der Öffentlichkeit nicht aussprechen wollen. Sie wollen sich nicht nur Luft machen. Sie wünschen sich Feedback, Ideen, neuen Input. Sie erwarten Ratschläge. Sie wollen mit einer Person sprechen, die nichts mit ihrem Leben zu tun hat – die aber weiß, wie es ist, eine Frau zu sein. Sie entscheiden sehr schnell, ob sie mir vertrauen können – und ich lächle, weil ich ihr Vertrauen niemals missbrauchen würde.

„Es ist spannend zu sehen, wie Frauen Tabus, mit denen ich aufgewachsen bin, durchbrechen und zur Schau stellen“

Als Frau nahe der goldenen 50 fühle ich mich den jüngeren Frauen sehr nahe – und vielleicht haben einige der Prüfungen und Schmerzen, die ich im Leben durchgemacht habe, einen Zweck erfüllt: Sie helfen mir dabei, die Frauen und das, was sie durchmachen, zu verstehen. Es kommt selten vor, dass ich Dinge höre, die mir nicht bekannt sind – Situationen, die ich selbst durchlebt habe, oder in die Frauen in meinem Umfeld geraten sind.

Häufig geht es um:

  • Ängste, eine romantische Beziehung abzubrechen oder in einer Beziehung zu bleiben, die nicht funktioniert
  • Die Sehnsucht, einen geliebten Menschen zu treffen
  • Schuldgefühle aufgrund früherer Verhaltensweisen
  • Das Gefühl, in der Arbeitswelt gefangen zu sein, und die Angst, dass man, wenn man einen unbefriedigenden Job aufgibt, nichts anderes findet – und am Ende mit nichts dasteht
  • Unzulänglichkeitsgefühle
  • Kämpfe mit psychischen und physischen Krankheiten
  • Gemischte Gefühle in Bezug auf die Mutterschaft
  • Der Schrecken, von jemandem betrogen zu werden, der einem nahesteht

Ich finde, die beste Art zu reagieren, ist zuzuhören – wirklich zuzuhören, und dann meine Wahrheit zu sagen. Meine Wahrheit ist nicht immer einfach, und manchmal wollen die jungen Frauen sie nicht unbedingt hören oder stimmen ihr nicht zu. Aber ich denke, meine Aufgabe ist es nicht, nur zu beschwichtigen und dem zuzustimmen, was ich höre. Sie haben Freundinnen, die das tun können. Ich bin eine neue Freundin, vielleicht eine vorübergehende Freundin, die ihnen am besten dienen kann, indem sie ehrlich ist. Und diese Ehrlichkeit führt zu mehr Intimität. Intimität ist für mich eine der größten Freuden im Leben.

Miteinander reden – und vor allem aufmerksam zuhören: Romy Stangl und Model Uli Hoefle. Foto: Luca Lancieri

„Ich bedaure die Altersghettos, in denen viele von uns leben. Leider neigen wir dazu, uns nur mit Menschen unseres Alters zu umgeben, die unsere Werte teilen.“

Ich lerne viel von den jüngeren Frauen, die ich treffe. Die Gefühle, die sie haben, sind mir vertraut, aber die Fakten ihres Lebens sind anders als meine. Ich lerne über neue Arten zu leben, zu arbeiten und Beziehungen zu führen. Es ist spannend zu sehen, wie Frauen die Tabus, mit denen ich aufgewachsen bin, durchbrechen und zur Schau stellen. Ich lerne ihre kreativen Wege kennen, die es ihnen ermöglichen, ihren Lebensunterhalt mit dem zu verdienen, was sie lieben. Ich erfahre, dass ihr Leben fließend ist, dass es schillernd und befreiend ist. Ich stelle ihnen Fragen über Dinge, von denen ich nichts weiß. Und sie stellen mir Fragen über Dinge, über die sie nichts wissen. Wir begegnen uns auf Augenhöhe, aber in dem Bewusstsein, dass wir uns in unterschiedlichen Lebensphasen befinden.

Ich bedaure die Altersghettos, in denen viele von uns leben. Wir neigen dazu, uns mit Menschen unseres Alters zu umgeben, die unsere Werte teilen. Aber ich liebe es, mit Menschen unterschiedlichen Alters zusammen zu sein, die nicht so sind wie ich. Ich genieße es sehr, wenn ich mit jemandem essen gehe, der Jahrzehnte jünger oder älter ist als ich. Da gibt es keine Unbeholfenheit oder Ungleichheit. Wir treffen uns an einem Ort des Vertrauens und der Zuversicht, und wir erweitern unser Verständnis der Welt, wenn wir Zeit miteinander verbringen.

„Ich genieße das Zusammensein mit jemandem, der Jahrzehnte jünger oder älter ist als ich. Da gibt es keine Unbeholfenheit oder Ungleichheit. Wir treffen uns an einem Ort des Vertrauens und der Zuversicht, und wir erweitern unser Verständnis der Welt.“

Zugegeben, es ist eine gewisse Bequemlichkeit, sich mit Menschen in unserem Alter zu umgeben. Wir teilen ähnliche Freuden und Beschwerden. Aber es gibt auch die Möglichkeit, viel zu lernen, sich zu trösten und sich mit Menschen zu verbinden, vor allem mit Frauen, die verwandte Seelen sind –, auch wenn sich ihr Leben radikal von unserem unterscheidet.

Es ist gut für jüngere und ältere Frauen, über den Tellerrand zu schauen. Ich glaube, wir alle brauchen mehr Luft und Raum und Ausdehnung in unseren Beziehungen, ob sie nun eine Stunde, ein Jahr oder ein ganzes Leben dauern.

Romy mit Lara Lancieri (hinten) und Marina (re.) Foto: Luca Lancieri

Eine Kurzbiographie sowie alle HEYDAY-Beiträge von Romy findet ihr HIER, auf Instagram inspiriert sie HIER!

weitere Beiträge

zuück weiter