„Scham löst sich in Nichts auf, wenn man sich ihr stellt“

privat

Obwohl Katinka Kulens Feistl (50) erfolgreich als Regisseurin arbeitete und ihr bestes gab, lauerte da immer etwas: Scham. Die Scham über Misserfolge, den eigenen Körper, die Herkunft und das ewige Gefühl, nicht gut genug zu sein. Bis sie sich entschloss diesen Gefühlen auf den Grund zu gehen und ein Buch darüber zu schreiben. Auf HEYDAY erzählt sie uns, wie sie es geschafft hat, ihre Schamgefühle in Stärke zu verwandeln

Autorin und Storytelling-Entrepreneurin Katinka Kulens Feistl auf HEYDAY
Selbstliebe statt Scham: Bei der Beschäftigung mit den peinlichen Erlebnissen ihres Lebens hat Katinka wertvolle Erkenntnisse gewonnen…

Eines Tages hatte die Regisseurin, Drehbuch-Autorin und Storytellerin Katinka Kulens Feistl die Nase gestrichen voll! Sie wollte sich nicht mehr diktieren lassen, welche Geschichten sie erzählen sollte. Konsequent kehrte sie der Filmbranche den Rücken, gründete ein Storytelling-Start-up und schrieb zudem ein Buch über ihr Lieblingsthema: die Scham. Hier verrät sie uns, wie sie es schaffte, ihre Scham als Antrieb zu nutzen und zugleich liebe- und verständnisvoller mit sich selbst umzugehen.

Das „Ich bin nicht gut genug“-Syndrom

Mit Mitte 40 fand ich mich in einem Arbeitsalltag wieder, in dem ich gefühlt im Teufelskreis steckte, immer mehr powern und investieren, kaum noch Zeit für mich, immer weniger Geld und nur noch in Vorleistung gehen. Ständig wurde alles kritisiert und bewertet. Ich ließ es zu, weil ich dachte, dass ich durch Kritik besser werden würde. Meinem Wunschziel kam ich trotzdem keinen Schritt näher. Was mich antrieb? Das bohrende Gefühl, noch nicht gut genug zu sein, nur noch der eine Kurs, das Coaching, jenes Zertifikat – dann vielleicht endlich…

Ich sehnte mich danach, die wilden, eigenwilligen Geschichten erzählen zu können, die ich um mich herum erlebte. Empowernde und verrückte Geschichten. Angeboten wurden mir stattdessen Filme über Frauen Anfang 40, die unbedingt geheiratet werden wollten”

Brave Mädchen kommen nirgendwohin

Ich arbeitete seit vielen Jahren als Regisseurin und Drehbuch-Autorin für das öffentlich-rechtliche deutsche Fernsehen. Jahrelang hatte ich, brav und lieb wie ich war, Auftragsregie ausgeübt, in der Hoffnung, irgendwann endlich die wilden, eigenwilligen Geschichten erzählen zu dürfen, die ich um mich herum erlebte. Empowernde und verrückte Geschichten. Angeboten wurden mir Filme von Frauen Anfang 40, die unbedingt geheiratet werden wollten. Und was tat ich? Ich machte mich selbst dafür verantwortlich. Unfähig zu begreifen, dass dahinter ein System steckte. Sogar als ich den wichtigsten Drehbuchpreis für eine Geschichte bekam, ließ ich mir vier Jahre lang hineinreden, bis das Drehbuch allen Charme und alle Magie verloren hatte.

Fuck you: Meine Inhalte bestimme ich!

Nach zwei weiteren unerfreulichen Fernsehfilmen, jeder Menge Mobbing und übler Nachrede, schlug ich ganz unten auf. Ich wusste, so konnte es nicht noch 25 Jahre weitergehen. „Du bist eine traurige Regisseurin geworden“, sagte mein Mann zu mir und er hatte recht. Meine Erzählstimme hatte ich vor lauter Kompromissen und „Anderen-nach-dem-Mund-reden“ längst verloren. Also, Sabbatical, redete ich mir ein.  Ich ahnte, dass es ein „point of no return“ sein würde. 

Die Kraft wahrer Geschichten

Ich gründete mein Startup „Use your Story“. Meine neue Mission: Menschen zu unterstützen und ihre unvergesslichen, faszinierenden Geschichten in die Welt zu bringen. Ich schickte alle fiktionalen, heuchlerischen und verlogenen Storys zum Teufel und entdeckte mit meinen Klient:innen die Kraft wahrer Geschichten. Es war eine wahnsinnige Herausforderung: Ohne Vorwissen in den Bereichen Marketing, Social Media, Online-Business war ich plötzlich Gründerin und Unternehmerin. Aber: Ich bestimmte endlich meine Inhalte und Geschichten selbst. 

„Peinliche Eltern, falscher Ehemann, kinderlos, dann Spätgebärende, neuer Ehemann aus dem Internet – der perfekt angehäufte Stoff für mein Buchprojekt über Scham“

Ich akzeptiere kein NEIN als Antwort

Am Tag des ersten Corona-Lockdowns erlebte ich einen unfassbaren Energieschub, der fast zwei Jahre lang anhielt. Während die ganze Welt herunterfuhr, war die Zeit für mein Herzensprojekt gekommen: Ich würde ein Buch mit 13 wahren Geschichten schreiben. Der rote Faden sollte Scham sein. My lovely Shame.

Meine Scham über all die vielen Kleinigkeiten im Leben – nicht gut genug, nicht schön und erfolgreich genug zu sein. Peinliche Eltern, falscher Ehemann, kinderlos, dann Spätgebärende, neuer Ehemann aus dem Internet – soviel Scham hatte sich angehäuft in meinem Leben. Wie eine Handbremse hatte dieses Gefühl mein Leben blockiert und mich klein gehalten. Mit dem Schreiben wollte ich diese Blockade auflösen.

Autorin und Storytelling-Entrepreneurin Katinka Kulens Feistl auf HEYDAY
Endlich selbstbestimmt und ohne Selbstzweifel arbeiten: Storys in jeglicher Form sind Katinkas Lebenselixier.

„Es gibt nie einen Grund, sich zu schämen. Die Scham löst sich in Nichts auf, wenn man sich ihr stellt“

„Endlich kann ich mein Herz wieder auf der Zunge tragen. Ich könnte weinen, weil es sich so gut anfühlt. Und ich denke: Kathrin, das hast du gut gemacht. Die letzten Jahre, die Zweifel, die Suche, dies alles hast du gut gemacht. Mensch, warst du tapfer! Ja, es hat sich manchmal einsam angefühlt. Aber du bist da durch. Du weißt jetzt, wer du bist, was dich ausmacht” (Auszug aus: My lovely Shame)

Katinkas persönliche Tipps, mit denen du deine Scham in Stärke umwandeln kannst:

Die Kunst besteht immer darin, in die Selbstliebe zu kommen. Dazu ist es wichtig, dir auch die Ereignisse anzuschauen, vor denen du die Augen schließen möchtest. Dort liegt dein größtes Potential. Wenn du hinschaust, passiert die Selbstliebe von allein. Diese Übung wird dir helfen, liebevoller mit dir umzugehen und Verständnis zu haben für den Menschen, der du einmal warst und der es nicht besser wusste.

  1. Erstelle eine Story-Liste von allen Ereignissen in deinem Leben, auf die du stolz bist, Ereignisse, bei denen du erfolgreich gehandelt oder entschieden hast. Erzähle dir selbst, wie du das geschafft hast.
  2. Erstelle eine Liste über Dinge, die du nicht bewältigt hast, womit du haderst oder dir selber einen Vorwurf machst. Schreib es einfach auf.
  3. Überlege zu jedem dieser Ereignisse, wer du damals warst. Welche Träume, Wünsche und Ängste hattest du? Was hat dich damals angetrieben? 


Katinkas Tipps, mit denen du dich davor schützen kannst, klein gemacht zu werden:

Die Kunst besteht immer darin, in die Selbstliebe zu kommen. Dazu ist es wichtig, dir auch die Ereignisse anzuschauen, vor denen du die Augen schließen möchtest. Dort liegt dein größtes Potential. Wenn du hinschaust, passiert die Selbstliebe von allein. Diese Übung wird dir helfen, liebevoller mit dir umzugehen und Verständnis zu haben für den Menschen, der du einmal warst und der es nicht besser wusste.

  1. Bleib deinen eigenen Ideen treu, wenn du sie wirklich liebst.
  2. Wenn du merkst, dass jemand dir deine Ideen kleinreden will, jage ihn zum Teufel.
  3. Umgebe dich nur mit Menschen, die konstruktiv Feedback geben können.
Autorin und Storytelling-Entrepreneurin Katinka Kulens Feistl auf HEYDAY

 „My lovely Shame“ – wie kann es sein, dass ich ein liebevolles Verhältnis zu meiner Scham habe?

Sie hat mir gezeigt, dass in ihr eine große Kraft steckt. Indem ich hingeschaut habe, hat sich die Scham aufgelöst, ich konnte über sie lachen und mich selbst viel mehr lieben. Meine Scham war auch der Motor, der mich angetrieben und  ermutigt hat. Wieviel habe ich erlebt und gemeistert, weil ich sie loswerden wollte.  Am besten lebe ich mit ihr, wenn ich sie mir bewusst mache und jedes Mal hinschaue, wenn sie sich meldet. Dann weiß ich: Es ist wieder einmal Zeit, aufzuräumen. Rückblickend kann ich mein Leben annehmen, so wie es ist. Ich hadere nur noch ganz selten. Heute konzentriere ich mich auf das Wesentliche: unterhaltsame und befreiende Geschichten in die Welt zu bringen. 

Ja, es stimmt! Diese Wunder ereigneten sich an Tiefpunkten meines Lebens:

Die Scham hat es mir selbst gesagt: „Nur wenn du hinschaust, habe ich keine Macht über dich.“ Oft hatte ich weggeschaut und alles unter den Teppich gekehrt, hatte mich meinen Schamgefühlen, Ängsten und Zweifeln ausgeliefert. Erst, als ich lernte hinzuschauen, bemerkte ich, dass es viel mehr Schönheit und Humor, Liebe und Vergebung in meinem Leben gab, als ich gedacht hatte. Und dann passierte das:

  1. Ich verliebte mich neu in mein Leben.
  2. Ich gewann meine innere Kraft und Energie zurück.
  3. Ich fand meine Erzählstimme wieder, die ich verloren hatte.
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Autorin und Storytelling-Entrepreneurin Katinka Kulens Feistl auf HEYDAY
My lovely Shame ist Katinkas erster autobiografisch-belletristischer Roman, den sie in Anlehnung an wahre Begebenheiten geschrieben hat.

Über Katinka Kulens Feistl

Katinka führte bei rund 20 Spielfilmen die Regie und ist mehrfache Preisträgerin für Drehbuch und Regie. Mit My lovely Shame hat sie jetzt ihr erstes Buch geschrieben: In 13 wahren Geschichten berichtet sie mit viel Humor über die peinlichsten Erlebnisse ihres Lebens und die Wunder, die sie dahinter gefunden hat. Mit 45 erfand sie sich zudem einen neuen Beruf: Mit ihrem Storytelling-Start-up unterstützt sie Menschen dabei, ihre berührendsten Geschichten in die Welt zu bringen. Katinka lebt mit Mann, Sohn, Hund und Katze in Frankfurt am Main.

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☞ Das Buch My lovely Shame ist im gut sortierten Handel erhältlich und kann HIER direkt online bestellt werden.

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