Großer Applaus für Mona Neubaur: Die einzige Spitzenkandidatin der im NRW-Landtag vertretenen Parteien und Landesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen hat ein Rekordergebnis für ihre Partei eingefahren! In unserem Interview, das wir kurz vor der Landtagswahl in NRW geführt haben, spricht sie über ihre politische Weltsicht und wie es ihr gelingt, stets Optimistin zu bleiben
HEYDAY: Liebe Mona, wie schaffst du es, in unserer Zeit eine Optimistin zu bleiben?
Mona Neubaur: Es stimmt – wir leben gerade nicht in Zeiten, in denen Optimismus naheliegt. Vielleicht kann ich den Optimismus mit meiner Kindheit begründen: Ich hatte einen großen Bruder und mir wurde nicht gesagt „klettere da nicht hoch“, weil ich ein Mädchen bin. Im Gegenteil: Mir wurden Dinge einfach zugetraut – ich dachte lange, ich sei Ronja Räubertochter. So entwickelte ich eine mutige Persönlichkeit. Ich habe immer wieder die Erfahrungen gemacht, dass man aus Niederlagen lernen kann. Dabei hilft ein Grundvertrauen in sich selbst, ebenso wie die Fähigkeit der Selbstreflexion. So kann ich mit Optimismus in eine Welt blicken, die es ja nötig hat, dass nicht alle die Schultern hängen lassen. Man sollte sich auch von Kleinigkeiten begeistern lassen – denn Begeisterung steckt an.
Wofür begeisterst du dich privat?
Fußball! Immer, wenn ich z. B. hier in Düsseldorf mit dem Fahrrad unterwegs bin und irgendwelchen Fußball-Freizeitmannschaften kicken sehe, dann muss ich einfach anhalten und zugucken. Außerdem begeistern mich kleine Mädchen, weil das einfach alles Weltraumforscherinnen sind. Sie sind so klein und so taff! Ich liebe es, sie zu beobachten. Denn ja, es ist möglich, dass sich Vierjährige zugleich trotzig und elegant in der Eisdiele benehmen! Wenn ich so etwas beobachte, will ich ihnen sofort ein „high five“ zuwerfen!
Kannst du dich daran erinnern, was dein Berufswunsch als kleines Mädchen war?
Pilotin. Ein Freund meines Vaters hatte einen Freizeitpilotenschein – er hat uns ab und zu mitgenommen und ich durfte meine kleinen Händchen auch mal ans Steuer legen. Das machen zu können, was Vögel machen, fand ich super!
In deinem heutigen Beruf musst du regelmäßig die Vogelperspektive einnehmen, um Entscheidungen zu treffen. Wie gelingt dir das?
Am besten gelingt mir das, wenn ich auf den Rhein gucken kann. Da versuche ich einfach klarzukommen und reflektiere, was gerade passiert und wo darin meine Rolle liegt. Was mir auch wahnsinnig hilft, ist Musik der unterschiedlichsten Genres – das geht, je nach Stimmung, von Bach bis zu den Ramones. Musik hilft mir, mich klar zu kriegen und so zu mir zu kommen, um den Blick dafür zu haben, was noch zu tun ist. Eine dritte Strategie: Mit mir als Politikerin kommunizieren viele Menschen sehr berechnend, daher lege ich großen Wert darauf, von einem engen Kreis von Freund:innen oder Familienmitgliedern Feedback zu bekommen. Erkennen sie mich noch in meinen Entscheidungen? Bin ich noch Mona in dem, was ich tue?
„Mit mir als Politikerin kommunizieren viele Menschen sehr berechnend, daher lege ich großen Wert darauf, von einem engen Kreis von Freund:innen oder Familienmitgliedern Feedback zu bekommen. Erkennen sie mich noch in meinen Entscheidungen? Bin ich noch Mona in dem, was ich tue?”
Wie schaffst du es, dich selbst immer wieder aus der Komfortzone zu locken?
Ich bin ausgeprägt neugierig. Außerdem habe ich nicht die Selbstwahrnehmung, dass das, was ich mache und wie ich es mache, sich nicht mehr weiterentwickelt. Ich verstehe mein Leben als einen permanenten Prozess, der nur dann ein Prozess bleiben kann, wenn er immer wieder neuen Input bekommt. Mit heute 44 Jahren habe ich überhaupt nicht die Sehnsucht danach zu sagen, ich hätte mich in meiner aktuellen Karriere schön eingerichtet. Ich habe inzwischen eine gewisse Bodenständigkeit, die ich mit Abenteuerlust verbinde.
Hast du klare Ziele in deinem Leben, die du abhaken willst, oder lässt du diesen Prozess einfach auf dich zukommen?
Ich mache stets das, was ich gerade mache – so gut ich kann! Ich habe keine Lebensplanung, auch nicht beruflich, in der ich bestimmte Schritte festlege, die ich bis zur Rente noch erreichen will. Das, was ich gerade machen kann, nämlich eine wahnsinnig sinnstiftende Aufgabe wahrzunehmen, das wird mich mein ganzes Leben lang begleiten. So viel ist klar. Das ist aber nicht an bestimmte Positionen geknüpft. Ich habe schließlich nicht beschlossen, mich bei den Grünen zu engagieren, damit ich irgendwann mal Spitzenkandidatin werde, sondern weil ich mich in die Realität einmischen wollte. Diese Tatsache treibt mich bis heute an.
Hast du dafür Vorbilder?
Eine Mischung aus Michelle Obama und Jürgen Klopp. Michelle Obama, weil sie eine moderne, feinfühlige und kluge Frau ist. Sie war keine First Lady, die sich damit zufriedengegeben hat, einfach karitativ in der Welt unterwegs zu sein. Außerdem lebt sie in einer Partnerschaft, in der ihr ein sehr progressiver Mann viel Raum lässt. Jürgen Klopp, weil ich ihm, obwohl er so ein herausragend guter Trainer ist, abnehme, dass er im Umgang mit all den Menschen, mit denen er arbeitet, nicht arrogant ist. Ich bin mir sicher, Jürgen Klopp geht mit dem Platzwart genauso gut um, wie mit dem Chef-Finanzier des FC Liverpool. Er hat es geschafft, in allen Vereinen, in denen er Trainer war, das Team zum Performen zu bringen.
Genau das ist es ja: Klopp versteht sich als primus inter pares, und am Ende geht es darum, dass wir das in Führungspositionen zeigen – gerade als Frauen. Es sitzt keine auf dem Pavianhügel, die versucht, die anderen wegzutreten. Sondern eine, die stellvertretend für alle anderen mit Mut vorne wegläuft – aber nur so gut ist, wie ihr Team, das mit ihr zusammen unterwegs ist. So sehe auch ich mich in meiner Führungsrolle und habe den Anspruch, Inspiration an eine Gesellschaft weiterzugeben, die sagt: Bei aller Individualisierung, mit Ellbogen werden wir es nicht gut hinkriegen! Lasst uns zusammen die beste Aufstellung suchen, um am Ende immer ein Tor mehr als der Gegner zu schießen.
Du bist die einzige Spitzenkandidatin der im NRW-Landtag vertretenen Parteien…
Diese Realität muss sich dringend ändern! Frauen, die wie ich in NRW so eine Position innehaben, sind die Ausnahme! Dass ich die einzige weibliche Spitzenkandidatin der im Landtag vertretenden demokratischen Parteien bin, ist sinnbildlich! Ich habe viele Termine, bei denen ich die einzige Frau bin, die mit am Tisch sitzen darf, und nicht nur den Kaffee einschenkt.
Das gilt nicht nur klischeehaft für die Wirtschaft, sondern auch für viele Verbände aus unterschiedlichsten Sektoren. Und deshalb muss man klug zusammenarbeiten – vor allem wir Frauen. Bildet Banden! Davon dürfen wir nicht nur reden, sondern müssen das auch wirklich machen, einander wirklich unterstützen und nicht mit Missgunst aufeinander blicken, wenn Frauen sich trauen Ehrgeiz zu zeigen. Das ist ein Problem, das wir Frauen miteinander haben und wir müssen es überwinden.
Dafür brauchen wir die Allianz mit den Männern in der Gesellschaft, die verstanden haben, dass unser aller Leben in einer gleichberechtigten Gesellschaft besser wird – für Frauen UND für Männer! Nehmen wir den Fall der Betreuung von Kindern: Natürlich wird es leichter für fortschrittliche Männer, dem Betreuungsanspruch gerecht zu werden, wenn immer mehr Männer diesen als Teil ihres Selbstverständnisses sehen. Das ist dann ein Gewinn für alle Beteiligten und nicht nur ein Gewinn für Frauen.
Du bezeichnest dich als „Unterwegs-Politikerin“. Was meinst du damit?
Damit meine ich, dass ich die ganze Zeit unterwegs bin. Ich finde es wichtig, inhaltliche Dinge immer wieder einem Realitätscheck zu unterziehen. Das bedeutet, immer wieder in den öffentlichen Diskurs zu gehen, dem Gegenüber zuzuhören – mit dem Anspruch, deren Argumente verstehen zu wollen. Man muss nicht immer für alles Verständnis haben, aber mindestens den Anspruch haben, zu verstehen! Ich glaube, dass das ein wichtiger Teil ist, gerade für Politiker:innen, die sich um gesellschaftliche Relevanz bemühen. Und dafür muss man unterwegs sein und kann sich nicht nur in Sitzungssäle oder Gremien zurückziehen.
„Ich habe die tiefe Überzeugung, dass Demokratie die beste Staatsform ist, für die ich alles tun werde. Dafür müssen wir das, was in den Menschen steckt, zusammenzuführen, mit Wissenschaft und Forschung sowie mit den unterschiedlichen Branchen in der Wirtschaft. Dann kann daraus ein neuer Politikstil wachsen”
Das ständige Unterwegssein klingt sehr anstrengend. Wie kommst du zur Ruhe?
Das passiert ja nicht von heute auf morgen. Ich saß nicht heute den ganzen Tag im Büro und habe ab morgen plötzlich sieben Termine quer durch NRW wahrgenommen. Das entwickelt sich. Im Laufe dieser Entwicklung erlernt man dann schnelle Entspannungstechniken. Und wenn es nur das ist, dass man sich im Regionalexpress dazu zwingt, nicht über die mobilen Endgeräte permanent alles abzuarbeiten, sondern sich während der Fahrt die Zeit nimmt, auch einfach mal aus dem Fenster zu gucken. Außerdem, und das ist für mich ganz essenziell: Zeit für einen Kaffee zu haben! Ich bin Kaffeetrinkerin, und zwar in einem großen Ausmaß.
Liegt die beste Zeit noch vor uns?
In meinen Gesprächen mit den Menschen wurde eigentlich nie zurückgemeldet, dass alles super sei, wie es ist. Vielmehr wurden Zukunftswünsche an mich herangetragen, wie z. B. unabhängig von einem eigenen Auto auf dem Land leben zu können. Das sind in der Regel sehr positive Zukunftswünsche und ich bin der festen Überzeugung, dass wir das politisch verbessern können. Dafür braucht es aber ein neues Zusammenspiel zwischen Politik und Gesellschaft! Wir haben das große Glück, in einer Demokratie zu leben. In einer Demokratie, die nicht statisch ist, sondern ein dynamischer Prozess, in dem immer wieder neue Aushandlungsprozesse stattfinden, immer wieder neue Kompromisse geschlossen werden müssen.
Weil wir in einer Welt leben, in der sich die Ereignisse überschlagen, kann diese Tatsache in Teilen verunsichern. Nehmen wir als Beispiel die aktuelle Lage: Putins Krieg gegen die Menschen in der Ukraine. Ein Krieg, gegen genau diese Werte. Gegen eine Demokratie, die lernfähig ist. Ich habe die tiefe Überzeugung, dass Demokratie die beste Staatsform ist, für die ich alles tun werde. Dafür müssen wir das, was in den Menschen steckt, zusammenzuführen, mit Wissenschaft und Forschung sowie mit den unterschiedlichen Branchen in der Wirtschaft. Dann kann daraus ein neuer Politikstil wachsen, der nach folgender Logik kommuniziert: Unsere Idee ist ein Staat, der sagt, was er macht – und macht, was er sagt. Ein Staat, der eben nicht nur am Kabinettstisch berät und anschließend eine Pressemitteilung rausgibt, sondern der dafür sorgt, dass wir diese Aushandlungsprozesse führen, die notwendig dafür sind, dass die beste Zeit immer vor uns liegen wird. Wir werden nichts ungeschehen lassen, um die Zukunft derer, die jetzt noch ganz klein sind, so gut wie möglich zu gestalten – in der Verantwortung für die folgenden Generationen und für den Zusammenhalt in der Gesellschaft.
Gerade ist es furchtbar schwer zuversichtlich in die Zukunft zu blicken: Klimakatastrophen, Corona, jetzt auch noch Putins Krieg! Hast du Tipps dafür, wie man es schafft, sich zu informieren, ohne sich zu überfordern?
Akzeptieren, dass das so ist! Das ist das Allerwichtigste! Zu akzeptieren, dass jede und jeder eine eigene Strategie hat. Dafür gibt es kein Muster und auch kein mustergültiges Verhalten. Sich dessen bewusst machen, daraus eine Selbstwirksamkeit entwickeln und dann die Wege nutzen, die es dafür gibt. Ich komme mit Sicherheit ganz anders mit Problemen klar, als du! Aber es ist total okay, wie auch immer man damit umgeht. Punkt. Mir persönlich gibt es in diesem Moment besonderen Halt, an Solidaritätsbekundungen teilzunehmen, weil ich mich dort unter gleichgesinnten Demokrat:innen wiederfinde. Mit anderen über die eigene Überforderung zu reden, ist ebenso wichtig.
Liebe Mona, wir danken dir für dieses inspirierende Gespräch.
Wenn ich vielleicht noch eine Sache sagen darf: Der 8. März liegt ja noch nicht lange zurück, und vielleicht leben wir heute in einer Zeit, in der es wichtiger denn je ist, den Frauentag als mehr zu verstehen, als einen Jahrestag. Also uns bewusst zu machen, dass Frauenrechte Freiheitsrechte und Menschenrechte sind. Auch der Zustand einer Demokratie lässt sich darüber definieren, wie gleichberechtigt eine Gesellschaft ist. Werden hier Frauen unterdrückt? Wird ihnen im schlimmsten aller Fälle Gewalt angetan?
Das ist ein Gradmesser und etwas, was uns auf eine abstrakte, aber doch auch bestärkende Weise weltweit verbindet. Weil es jetzt gerade ganz akut in unserer täglichen, bzw. stündlichen Öffentlichkeit Frauen in der Ukraine trifft, Frauen, die auf der Flucht sind. Aber auch weltweit befinden sich Frauen in schlechten Situationen. Daher ist es wichtig, sich im Frausein bewusst zu sein, was uns alle verbindet.
Über Mona Neubaur
Im ländlichen Bayern geboren, zog es die heute 44-Jährige nach dem Abitur nach Düsseldorf. Dort studierte sie an der Heinrich-Heine-Universität Pädagogik, Psychologie und Soziologie. Nach dem Studium arbeitete Mona in der Energiewirtschaft bei einem alternativen Energieversorger. Von 2010 bis 2014 war sie Geschäftsführerin der Heinrich-Böll-Stiftung NRW und übernahm 2014 den Landesvorsitz von Bündnis 90/Die Grünen NRW. Bei der Landtagswahl in NRW am 15.05.2022 erreichte sie als Spitzenkandidatin für Bündnis 90/Die Grünen ein Rekordergebnis von 18,2 Prozent – damit gilt sie bei den derzeit laufenden Koalitionsverhandlungen als Königsmacherin.