„Mich kann nichts mehr erschüttern”

Sammy Hart

Innerhalb eines Jahres verlor die Berliner Radiomoderatorin und rbb-Musikchefin Anja Caspary (56) sowohl ihre Brüste als auch ihre große Liebe an den Krebs. Auch fünf Jahre danach ist die Trauer immer da – das heißt aber nicht, dass Anja Caspary ihr Leben nicht genießen kann

Früher hatte Anja Caspary vor vielen Dingen Angst. Dass ihrer Familie etwas zustößt, dass eins ihrer beiden Kinder oder ihr Mann vor ihr stirbt. Heute ist sie gelassener – nachdem das Furchtbare eingetreten ist. Zweimal. 2015 wurden bei einer Routineuntersuchung in ihren Brüsten Tumore entdeckt. Sie ließ beide entfernen, ohne Wiederaufbau. Wenige Monate später bekam ihr Mann Hagen Liebing – Musikjournalist und ehemaliger Bassist bei den „Ärzten“ – ebenfalls eine Krebsdiagnose: Ein bösartiger, mehrteiliger Tumor wuchs in seinem Hirn. Anja Caspary verlor ihre Brüste und ihre große Liebe an den Krebs. Innerhalb eines Jahres. Darüber hat sie das Buch In meinem Herzen steckt ein Speer (Ullstein) geschrieben, das direkt auf der Bestsellerliste landete. In unserem Interview spricht Anja darüber, wie sie es geschafft hat, mit diesen Verlusten umzugehen – und im Leben trotz allem noch Freude zu empfinden.

Anja Caspary

HEYDAY: Liebe Anja, erst die Diagnose Brustkrebs, dann der Hirntumor und Tod deines Mannes Hagen, alles innerhalb eines Jahres. Hast Du dich gefragt, womit Du das verdient hast?

Anja Caspary: Ja, nach der Brustkrebs-Diagnose habe ich mich an der Frage abgearbeitet. Warum ich? Werde ich für etwas bestraft? Habe ich irgendwas nicht richtig verarbeitet, was nun in mir gärt? Aber ich bin zu dem Schluss gekommen, dass dieser Krankheit keine Botschaft inneliegt. Wer sie bekommt, hat einfach nur Pech gehabt.

Wie hat dieses Jahr der Schicksalsschläge Dich verändert?

Ich fühle mich wie eine weise alte Frau, die freundlich nickt und alles betrachtet. Mich kann nichts mehr erschüttern. Früher habe ich manchmal Probleme mit ins Bett genommen, gegrübelt. Heute weiß ich: Alles ist lösbar. Und ich tue nur noch das, was mir guttut. Ich habe konventionelle Regeln immer hinterfragt, jetzt scheiße ich komplett drauf. Das Stück im Theater gefällt mir nicht? Dann stehe ich auf und gehe. Was aber auch verschwunden ist, ist eine gewisse Sorglosigkeit, die ich mit Hagen hatte. Wir haben die Arbeit, die zu Hause anfiel, immer 50/50 geteilt. Er hat eingekauft, Schulbrote für die Kinder geschmiert, sich um die Rechnungen gekümmert. Manchmal fühle ich mich wie so ein Mann, weil ich jetzt alles machen muss, weil ich keine Brüste mehr habe und mehr Muskeln.

Wie hast Du den Verlust Deiner Brüste erlebt?

Nach der Diagnose war ich erstmal wie betäubt. Es gab einen extremen Druck, auch von den Ärzten. Zehn Tage später hatte ich schon einen OP-Termin! Heute denke ich, es hätte vielleicht andere, alternative Methoden gegeben, die Tumore loszuwerden. Letztendich habe ich mich dazu entschlossen, beide Brüste abnehmen zu lassen. Ich wollte das Rückfallrisiko minimieren, kein Silikon im Körper, keine Bestrahlung. Meine Gesundheit stand im Vordergrund. Trotzdem habe ich tagelang geweint. Es war ein schwerer Abschied. Danach bin ich zweimal mit so einem Prothesen-BH ins Büro gegangen. Aber das hat sich falsch angefühlt. Warum sollte ich etwas faken, das nicht mehr da ist? So tun, als ob, war doch noch nie mein Ding. Viel wichtiger als die Optik war mir, dass die Tumore nicht gestreut hatten. Ich brauchte keine Bestrahlung und keine Chemotherapie.

Kurz nachdem Du Deine Krebserkrankung überstanden hattest, wurde dein Mann Hagen krank…

Erste Anzeichen gab es wahrscheinlich schon im Jahr vor meiner Brustkrebsdiagnose. Manchmal war alles in Ordnung, er machte Scherze, wir lachten. Dann war er wie ausgewechselt, still und in sich gekehrt. Immer wenn ich gefragt habe ‚Was ist denn?‘ hat er völlig überzeugend versichert, es sei alles gut, er hätte gar nicht gemerkt, dass er nichts gesagt hat. Manchmal dachte ich: Vielleicht ist es Alzheimer? In seiner Familie war Demenz sehr verbreitet, seine Mutter hatte Alzheimer.

Wie habt ihr erfahren, dass es Krebs ist?

Als ich eines Tages von der Arbeit nach Hause kam, hing sein linker Mundwinkel runter, seine linke Hand konnte nicht mehr richtig greifen. Anzeichen für einen Schlaganfall. Wir fuhren ins Krankenhaus. Es stellte sich heraus, dass in seinem Gehirn ein bösartiger, unheilbarer Tumor wuchs. Fünf Monate später, am 25. September 2016, ist Hagen gestorben. Mit 55 Jahren. Aber ich bin froh darüber, dass er im Kreise seiner Familie krank geworden und gestorben ist. Das ist schöner als im Krankenhaus, umringt von Maschinen, wenn alle deine Freunde und Verwandten schon tot sind.

„Ich habe mich in sein Bett gelegt und ihm weinend alles gesagt, was ich ihm noch sagen wollte…”

Anja Caspary

Konntet ihr euch verabschieden?

Nicht so, wie man sich von jemandem verabschiedet, der ans andere Ende der Welt zieht. Wir konnten keinen Sex mehr miteinander haben, wir konnten uns die alten Fotos nicht zusammen angucken, wir konnten uns nicht mal mehr richtig in die Augen schauen, so groß war die Trauer. Wir haben versucht, so normal zu sein wie möglich. Wir haben das Grauen ausgespart. Es gab aber eine Nacht, in der ich mich zu ihm ins Zimmer ins Hospiz geschlichen habe. Ich habe mich in sein Bett gelegt und ihm weinend alles gesagt, was ich ihm noch sagen wollte – dass ich ihn liebe, dass mir alles so leid tut, dass ich nicht ohne ihn sein will. Das war für mich eine Art Abschied.

Hagen und Du, ihr wart 25 Jahre zusammen. Warum war er „the one“?

Als ich ihn 1991 bei der Eröffnung des Hard Rock Cafés in Berlin sah, war das Liebe auf den ersten Blick. Aber ehrlich gesagt ist mir das vorher auch schon ein paar Mal mit anderen Männern passiert. Ich glaube, es gibt auf der Welt nicht den einen einzigen. Aber bei den anderen habe ich immer schnell gemerkt, nee, das ist es nicht, und habe nach spätestens sechs Wochen Schluss gemacht. Mal war es sein Gang, mal seine Art zu essen, sein Geruch, die Rammelei beim Sex, die Angeberei, fehlende Unterstützung, Neid, der Versuch, mich kleinzumachen… Bei Hagen gab es diese magnetische Anziehungskraft. Und dann hat sich gezeigt, dass wir in unserer Grundeinstellung so viel gemeinsam haben. Außerdem wollten wir es beide wirklich, wir haben bedingungslos „Ja“ zueinander gesagt.

Anja Caspary
Anja Caspary

Eigentlich hattest du geplant, mit Hagen alt zu werden. Wie siehst Du jetzt Deine Zukunft?

Ich blicke nicht in die Zukunft, genauso wenig wie ich versuche, in der Vergangenheit zu leben. Ich würde immer irgendetwas vermissen, meine Brüste, Hagen… Natürlich würde ich mich über Enkel freuen, aber ich will meine Kinder nicht unter Druck setzen.

Haben Dir eure beiden Kinder geholfen, die schweren Zeiten zu überstehen?

Ja, ich musste für sie stark sein. Durch sie bin ich nicht in Selbstmitleid versunken. Ich wollte sie trösten, nicht umgekehrt, das war mir wichtig.

„Wenn ich in den Bergen bin, merke ich, wie klein und unwichtig alles verglichen mit dieser Mächtigkeit ist”

Welche Gedanken trösten Dich?

Ich glaube, dass Hagens Seele nicht verschwunden ist. Ich habe einmal Ayahuasca genommen, da hat er sich mir gezeigt. Der Gedanke, dass es ihn noch irgendwo gibt, hat mir viel Trost gegeben. Ich habe keine Angst mehr vor dem Tod. Er ist für mich jetzt wie ein Freund, er gehört dazu. Dieser Zyklus ist so natürlich, nichts bleibt, wie es ist. Ich freue mich, noch am Leben zu sein und Dinge sehen und erleben zu können. Ich bin dankbar für die Natur, beobachte gerne Vögel an der Wassertränke, mache Waldspaziergänge bei Vollmond und freue mich, wenn ich die Eicheln fallen höre. Wenn ich in den Bergen bin, merke ich, wie klein und unwichtig alles verglichen mit dieser Mächtigkeit ist. Oft denke ich „Das hätte Hagen auch gefallen.“ Die Trauer um ihn ist immer da. Immer, wenn es um Hagen geht, muss ich weinen. Aber ich will über ihn sprechen, denn so bleibt er in der Welt.

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Anja Caspary Interview Annette Apel
Anja Caspary – inszeniert von Annette Apel, Foto: Ullstein Verlag

ÜBER ANJA

Anja Caspary Buchvover in meinem Herzen steckt ein Speer
Foto: Ullstein Verlag

Anja Caspary ist langjährige Moderatorin von radioeins (rbb) und seit August 2015 Musikchefin des Programms. Mit ihrem verstorbenen Mann, dem Musiker (ehemals Die Ärzte) und Musikredakteur (Tip) Hagen Liebing, hat sie zwei Kinder. Ihr Buch In meinem Herzen steckt ein Speer: Das Jahr, das alles veränderte, in der sie sehr persönlich über ihre Schicksalsschläge schreibt, erschien 2020 bei Ullstein und wurde sofort ein Bestseller.

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