„Kein Alkohol ist auch keine Lösung“ sagt der Volksmund. Oder doch?

Instagram/ Nuechtern.berlin

Seit Anfang August 2020 lebt die Berliner Journalistin Bettina Homann ohne. Im Tagebuch auf ihrem persönlichem Blog Happster dokumentiert sie den Selbstversuch, gewährt Einblick in tägliche Versuchungen und Symptomverschiebungen und erzählt vom Willen, nach dem ersten Etappenziel auch weiterhin auf Alkohol zu verzichten…

Autorin Bettina Homann führt alkoholfreies Tagebuch

Ich bin seit 200 Tagen trocken. Ich habe aufgehört Alkohol zu trinken, weil ich ein Problem damit hatte. Mal ehrlich, welche Assoziationen habt Ihr zu diesem Satz? Tägliche Abstürze, Wodka zum Frühstück, Leben unter der Brücke? Das ist so ungefähr das Szenario, das sich die meisten unter Alkoholproblem vorstellen. Ich habe abends zwei Gläser Weißwein getrunken, selten mehr. Und doch hatte ich immer öfter diese kleine Stimme in mir gehört, die mir sagte: „Du hast ein Problem.”

Seit vielen Jahren arbeite ich durch allerlei Techniken daran, mein Bewusstsein zu schärfen und die Selbsterkenntnis zu verbessern. Der Nachteil daran ist: Ich habe mein Bewusstsein geschärft und meine Selbsterkenntnis verbessert. Das bedeutet, dass das In-die-Tasche-Lügen immer schwieriger geworden ist. Und ich musste mir eingestehen, dass ich zwar selten mehr als zwei Gläser getrunken habe, darauf aber sehr sehr ungerne verzichten wollte. Immer wieder nahm ich es mir vor, nur um den Vorsatz abends doch wieder über den Haufen zu werfen.

„Warum ist jeder Mensch, der Zigaretten konsumiert (egal aus welchem Grund) ein Raucher, aber nicht jeder, der Alkohol konsumiert ein Trinker?”

Alkoholfreies Tagebuch von Bettina Homann

Bange stellte ich mir die Frage: Bin ich Alkoholikerin? Das ist gar nicht so leicht zu ermitteln. Warum man trinkt, so heißt es in diversen Selbsttests, ist entscheidend. Wer trinkt, um sich nach einem stressigen Erlebnis zu entspannen, hat ein Problem, wer sein Glas edlen Whiskey hingegen kultiviert genießt, nicht. Mich überzeugt diese Unterscheidung nicht. Schließlich wirkt Ethanol in jedem Gehirn gleich – und zwar hochgradig suchterregend. Warum ist jeder Mensch, der Zigaretten konsumiert (egal aus welchem Grund) ein Raucher, aber nicht jeder, der Alkohol konsumiert ein Trinker?

Alkohol ist aus unserer Gesellschaft nicht wegzudenken. Er steht für Genuss, Lebensfreude, Kultur. Wer in einer alkoholfixierten Welt nicht mittrinkt, dem wird ein Problem unterstellt. Das ist für alle anderen einfacher, als über den eigenen Konsum nachzudenken. Als normal gilt, wer in „vernünftigem” Maß Alkohol konsumiert. Was vernünftig ist, wird recht großzügig ausgelegt, regelmäßiger Kater einkalkuliert. Und so reifte in mir der Entschluss, wirklich einmal aufzuhören. Ich meldete mich für eine 90-Tage-Challenge bei OYNB (One year no beer) an, eine in England gegründete Organisation, die mir auf Facebook ständig angezeigt wurde. Für 109 Pfund gibt es täglich motivierende Botschaften und informative Kurzvideos, außerdem Zugang zur Facebook-Gruppe, in der Erfahrungen ausgetauscht werden.

Nachdem ich den Start noch einmal zwei Tage verschoben habe, ziehe ich es tatsächlich durch. Ich decke mich mit alkoholfreiem Sekt und San Bitter ein, um das abendliche Verlangen nach einem Drink einigermaßen zu stillen, das klappt ganz gut. Fazit nach dem ersten Monat: Das Nichttrinken fällt mir nicht schwer. Ich kann abends komplexe Bücher lesen und bin morgens frischer. 

Ich stelle allerdings fest, dass mein Verhalten in anderen Bereichen irgendwie obsessiver wird. Das ständige Bedürfnis, durch Instagram zu scrollen, immer noch ein bisschen weiter zu klicken, hatte ich so früher nicht. Auch die Shoppinglust eskaliert ein wenig. Handelt es sich hierbei um eine Symptomverschiebung? 
Jedenfalls kann ich die von Abstinenzlern beschriebenen Segnungen nicht unbedingt feststellen: Ich schlafe nicht besser, ich nehme nicht ab. Nach sechs Wochen scheint mir sogar so, als wäre ich ohne Alkohol verletzlicher, labiler geworden. Alle möglichen unangenehmen Gefühle, die das Trinken wohl in Schach gehalten hat, kommen an die Oberfläche. Und doch habe ich ganz klar das Gefühl auf dem richtigen Weg zu sein. Auf einmal, so scheint es, habe ich vollen Zugang zu mir selbst. Zu allem, das ich bin. 

Alkoholfreies Tagebuch von Bettina Homann

„Meine Shoppinglust eskaliert ein wenig. Handelt es sich hierbei gar um eine Symptomverschiebung?”

Von OYNB bekomme ich den Hinweis: “There is something really powerful about dealing with life’s traumas without the crutch of alcohol.” Und so beschließe ich, als die Drei-Monats-Challenge geschafft ist, weiter zu machen. Was mein ganzes Erwachsenenleben undenkbar schien, fühlt sich inzwischen recht normal an und auch Familie und Freunde haben sich daran gewöhnt: Ich trinke keinen Alkohol. Immer noch kommt gelegentlich, oft ganz unvermittelt, das Bedürfnis in mir hoch. Das hat weniger damit zu tun, dass andere um mich herum trinken – was ja eigentlich immer der Fall ist – sondern meist damit, dass mich etwas emotional sehr aufwühlt. Die jahrzehntelange Gewohnheit, meine Gefühle mit Alkohol zu regulieren, sitzt wohl tief.

Ich freue mich jedenfalls, dass das frustrierende Ringen um einen „mäßigen” Alkoholkonsum ein Ende hat. Ich habe mir eingestanden, dass gelegentlich mal ein Glas genießen für mich nicht funktioniert. Wenn ich ein Glas trinke, will ich noch eines und am nächsten Tag wieder. „Sobriety is not a limitation, it’s a superpower!“ verkünden die Veteranen der Nüchternheitsbewegung. Ich bleibe neugierig.

Das Alkohol-Frei-Tagebuch von Bettina Homann, dokumentiert von Tag 1 am 8. August 2020 bis heute, kann man auf HIER auf ihrem persönlichem Blog Happster lesen

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TRINKEN OHNE KATER

Heutzutage gibt es zahlreiche alkoholfreie Alternativen – deutschlandweit zu bestellen etwa beim alkoholfreien Getränkeshop Nüchtern.berlin. HEYDAY durfte die Produkte testen und stellt hier fünf Lieblinge vor…

Auch HEYDAY-Mitbegründer Thorsten Osterberger hatte es sich 2018 auf die Fahne geschrieben, ein Jahr lang auf Alkohol zu verzichten – es wurden dann sogar ganze 14 Monate. Alkoholfreier Genuß heißt heute zum Glück, nicht nur auf Limonaden und Softgetränke zurückgreifen zu müssen. Ganz ähnlich wie beim Fleischverzicht, bei dem heute leckere vegane Varianten im Angebot sind, gibt es mittlerweile zahlreiche gesündere Alternativen zum Alkohol, die geschmacklich sehr nah an die Originale herankommen – darunter herbe Kräutertexturen zum Mixen „echter” Cocktails, süffiger Ersatz für Gin, Rum, Wein und Bier sowie Blubblerwasser zum Anstoßen, das nicht nur nach Apfelsaft oder gar Essig schmeckt.

Das junge Berliner Start-up Nüchtern.berlin der Gründerinnen Katja Kauf und Isabella Steiner bietet im Onlineshop ein Sortiment aus sogenannten Non-Alcoholics, wie z.B. alkoholfreie Gin-Alternativen, Botanicals, alkoholfreien Sekt und Bier. Thorsten Osterberger hat einiges getestet und verrät fünf seiner liebsten Fläschchen, bei denen man ganz getrost auch mal ein Gläschen mehr trinken kann…

Bester alkoholfreier Sekt von Kolonne/Null

Ich habe schon verschiedenste Gin-Alternativen ausprobiert – die meisten schmecken einfach nur nach Gurken- oder Kräuterwasser. Der Siegfrid Gin von Wonderleaf hat irgendwie mehr Wumms! Mittlerweile verzichte ich auf das Tonic Water. Mein Tipp: Frisch gepressten Zitronensaft dazugeben und mit Soda aufgießen!

Siegfried Wonderleaf Gin Alternative Alkoholfrei, ca 20 Euro

Auf der Suche nach alkoholfreier Blubberbrause folgte ich zuerst zahlreichen Empfehlungen meiner hiesigen Weinhandlungen. Nach vielen geschmacklichen Enttäuschungen mit Getränken, die entweder nach Apfelsaft schmeckten, oder auf Teebasis hergestellt wurden, bin zufällig auf das Weingut Leitz gestoßen. Der EINS-ZWEI-ZERO Sparkling Rosé überzeugt mit seiner belebenden Perlage, und schmeckt dank einem nur leichten Aroma von Himbeere nicht nach Kindersekt. Unbedingt eiskalt servieren!

EINS-ZWEI-ZERO Sparkling Rosé von Leitz, ca 10 Euro

Mit der Wein-Schmiede Kolonne Null kam ich auf einem Berliner Event zum ersten Mal in Berührung. Um ehrlich zu sein, haben mich die Weine damals nicht wirklich überzeugt. Als ich dann im letzten Jahr mit meinem Mann unser Restaurant Osterberger eröffnete, war ich auf der Suche nach alkoholfreien Alternativen, testete die Neuheiten des Berliner Start-ups, und fand einen Favoriten: Der alkoholfreie Sekt Cuvée Blanc Prickelnd NO 01, der geschmacklich an die Flaschengärung eines trockenen Winzersekts rankommt, hat einen Platz in unserem Sortiment verdient.

Cuvée Blanc NO.01 prickelnd von Kollonne/Null, ca 13 Euro


Der Seedlip (Saatkorb), den ich zum ersten Mal im KaDeWe aufgespürt habe, wird aus verschiedenen Botanicals wie Grapefruit, Zitronenschalen, Eichenrinde, Kaskarillarinde, Kardamom und Piment hergestellt. Obwohl hier kein Wacholder verwendet wurde, sagt der Hersteller, dass man den Seedlip unter der Kategorie Gin einordnen könnte. Geschmacklich fand ich die Komposition, die auf einer Rezeptur aus dem 17. Jahrhundert beruht, unglaublich spannend und anregend. Bei einem genüsslichen Abend mit Freunden ging gleich eine ganze Flasche drauf – beim stolzen Preis von fast 30 Euro sind solcherlei Gelage allerdings nicht alltagstauglich.

Seedlip Garden 108 alkoholfreie Spirituose,
ca. 30 Euro

Generell finde ich sprudelnde Alternativen ohne Dröhnung angenehmer als alkoholfreie Weine. Bei meinen Tastings war ich entsetzt darüber, was der Markt da so her gibt – denn wer hat schon Lust auf Saft oder Essig? Der erste 0,0 Wein, den ich öfters bestellt habe, war der EINS-ZWEI-ZERO Riesling, der nicht ganz trocken ist, aber zumindest als feinherber Ersatz mit Noten von Rhabarber und Apfel ein angenehmer Begleiter für einen schönen geselligen Abend sein kann.

EINS-ZWEI-ZERO Riesling alkoholfrei von Leitz, ca. 8 Euro


Prost, darauf trinken wir: Isabella Steiner und Katja Kauf, die Gründerinnen des alkohlfreien Onlineshops Nüchtern.berlin

Nüchtern.berlin ist ein Onlineshop für alkoholfreien Genuss der deutschlandweit liefert. Im Sortiment: Über 200 alkoholfreie Getränkealternativen – von Gin, über Whiskey, Rum und Aperitifs bis hin zu Tequila, Wodka & Co. Auch alkoholfreier Weißwein, Rotwein und Schaumwein sowie ausgewählte Biere finden sich im Angebot..

Extra-Tipp für unsere Berliner Leserinnen: In Kreuzberg haben die Gründerinnen Isabella Steiner und Katja Kauf im Februar 2021 den ersten alkoholfreien Späti Deutschlands eröffnet. Schaut doch einfach mal vorbei im Null Prozent (Bergmannkiez, Solmsstraße 30, Mi-Sa 12-20 Uhr)

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