„Wir müssen lernen, Hilfe einfach annehmen zu dürfen“

Anne Seliger

Kerstin Lüking ist Hebamme aus Leidenschaft und aktiv als Autorin, Podcasterin, Beraterin und Dozentin. Zudem managt sie als siebenfache Mutter auch noch ihre Großfamilie. Mit 40 wollte sie noch einmal einen ganz neuen Weg einschlagen – sie hat mit der Naturkosmetikfirma Charlotte Meentzen aus Dresden die Pflege-Linie TUJU für Mutter und Kind entwickelt und auf den Markt gebracht. Wir sprachen mit dem Multitalent über Krisenmanagement, Unternehmertum und Self-Care

Hebamme Kerstin Lüking im Interview mit Heyday Magazine
Strahlend schön mit 48: Die engagierte Hebamme, Produktentwicklerin und siebenfache Mutter Kerstin Lüking ist ein wahres Powerhouse. Ihr Tipp für ein gesundes Leben: viel trinken, wenig Süßes, und regelmäßige Bewegung an der frischen Luft.

HEYDAY: Liebe Kerstin, was die meisten Eltern gerade jetzt in Krisenzeiten wie der Pandemie besonders interessiert: Wenn alles zusammenbricht, was machst du dann?

Kerstin Lüking: Diese Frage wird mir natürlich sehr häufig gestellt. Ich bin ja nicht von heute auf morgen siebenfache Mutter geworden, sondern bin mit der Zeit in diese Rolle hineingewachsen. Man sollte in Krisenzeiten immer einen Plan B zur Hand haben. Ein verlässliches Netzwerk ist hier essentiell.

Zunächst sind bei mir die Großeltern eingesprungen. Doch die kann ich heute aus Altersgründen nicht mehr so einspannen. Deshalb habe ich mich mit anderen Müttern zusammengeschlossen, mit denen mich mittlerweile auch eine Freundschaft verbindet. Natürlich mache ich mir hier auch die Vorzüge der Großfamilie zu Nutzen und dann passt eben die große Schwester auch mal auf die kleineren Geschwister auf. Das hat uns insbesondere durch die herausfordernden Corona-Zeiten gebracht. Natürlich war das Home-Schooling anstrengend, aber es war keine wirkliche Katastrophe, weil hier letztendlich die großen Geschwister eine Verantwortung für die kleinen Geschwister übernommen haben.

Das ist das Schöne an einer Großfamilie: Wir sind alle füreinander da und sind mittlerweile ein eingespieltes Team. Das klappt einfach und das, obwohl mein Mann unter der Woche gar nicht da ist und ich sozusagen alleinerziehend bin. Man darf sich als Frau und Mutter nicht für alles verantwortlich fühlen, sondern sollte Verantwortung auch abgeben können.

Wie können wir uns das Netzwerk mit den anderen Eltern konkret vorstellen?

Wir sitzen als Eltern doch alle im gleichen Boot. Wir dürfen einander vertrauen, auch mal Hilfe annehmen oder sie anderen anbieten, wenn wir merken, dass da eine Mutter in unserem Umfeld ist, der es vielleicht nicht so gut geht. Wir sollten einfach offener untereinander werden und einander mehr unterstützen.

Mein Netzwerk und ich haben uns ein super System zusammengebastelt. Das sind zwei Mütter, die alleinerziehend sind und jeweils Einzelkinder haben. Sie haben unter der Woche die Beschulung für zwei meiner jüngeren Kinder übernommen und so sind die Einzelkinder auch während des Lockdowns nicht vereinsamt. Am Wochenende habe ich dann die Kinder betreut, damit sich die anderen Mütter erholen konnten. Und so konnte ich relativ gut weiterarbeiten. Eine klassische Win Win-Situation, in der wir uns alle gegenseitig gestärkt haben.

Das ist aber auch etwas, was ich erstmal lernen musste, dass man die Hilfe eines Netzwerkes einfach annehmen darf. Es gab Phasen, in denen es mir nicht gut ging, ich war geschwächt durch die Schwangerschaft. Man hat ja eigentlich immer sofort das Bedürfnis, für eine Hilfeleistung durch andere auch eine Gegenleistung anzubieten – davon muss man sich befreien! Irgendwann kann man sich bestimmt revanchieren. Einfach Hilfe annehmen dürfen – das finde ich wichtig.

„Mütter müssen lernen, sich selbst an erste Stelle zu setzen. Nur wenn man sich selbst wohl und stark fühlt, kann man auch für andere da sein”

Die Kinderschar von Hebamme Kerstin Lüking
Großfamilie im Urlaub: Kerstin Lükings Kinderschar am Strand der Costa Brava
Foto: Kerstin Lüking

Auch mit dem Beruf als Hebamme hilfst du Müttern beim Start in die Elternschaft. Steckt dahinter eine Berufung und wann wusstest du, dass du diesen Weg einschlagen willst?

Die Hebammerei ist tatsächlich eine Berufung. Ich habe erstmal Jura studiert und dann nach drei Jahren festgestellt, dass ich dafür nicht wirklich brenne. Die Hebammerei hat mich tatsächlich schon sehr früh begleitet, schlichtweg aufgrund der Tatsache, dass ich bereits mit 20 Jahren Mutter geworden bin. Der Beruf hat mich damals einfach total fasziniert. Der medizinische Aspekt hat mich interessiert, außerdem kann man sehr selbstbestimmt arbeiten – entweder freiberuflich wie ich, oder man lässt sich in einer Klinik anstellen. Müttern und Familien einen guten Start ins Familienleben zu ermöglichen, ist für mich einfach immer wieder unglaublich sinnstiftend.

Wie hat sich die Pandemie auf deinen Berufsstand ausgewirkt und auf welche neuen Bedürfnisse musst du heute eingehen?

Zu Beginn der Pandemie wussten wir ja alle erstmal gar nicht, wo die Reise hingeht. Wir hatten natürlich auch selbst Angst um unsere eigene Gesundheit. Wenn man einen Hausbesuch bei einer infizierten Familie hatte, dann war natürlich die Wahrscheinlichkeit groß, dass man sich selbst ansteckt. Und man wusste ja nicht, wie der Körper darauf reagiert, wie der Verlauf sein würde.

Das waren zunächst einmal viele, viele Fragezeichen und natürlich auch eine große Umstellung auf die neue Situation. Wenn wir einen Hausbesuch gemacht haben, mussten wir neue Hygiene-Vorschriften berücksichtigen, uns auf Telemedizin umstellen, Kurse sind weggebrochen. In den letzten zwei Jahren konnten wir uns aber gut an die neuen Gegebenheiten anpassen und haben uns damit arrangiert. Letztendlich glaube ich aber, dass insbesondere die Kolleg:innen, die in der Klinik arbeiten, besonders harten Bedingungen ausgesetzt, und von den letzten zwei Jahren sehr mitgenommen und geschlaucht sind. Es herrscht mittlerweile ein ganz anderer Ton und alle sind nur noch genervt. Also es wird Zeit, dass das aufhört.

Der Berufsstand der Hebamme steckte aber auch schon vor der Pandemie in der Krise. Immer weniger Menschen wollen diesen Beruf heute noch ausüben. Woran liegt das?

Der Beruf befindet sich gerade im Wandel und daraus ist mittlerweile ein Universitäts-Studium geworden. Das hat Vorteile und Nachteile. Es ist schön, dass Hebammen jetzt auch wissenschaftlich arbeiten. Aber ich sag es mal so, wir sind eigentlich Handwerker:innen und im Studium geht so ein bisschen das alte Wissen verloren. Natürlich spielt auch eine unbefriedigende Gebührenordnung, die seit gefühlt 100 Jahren nicht angepasst wurde, eine große Rolle für den Nachwuchsschwund. Dass wir extrem hohe Auflagen und extrem hohe Auslagen haben, macht den Beruf nicht gerade einfacher und attraktiver.

Trotzdem muss ich hier mal mit aller Klarheit sagen, dass Hebammen nicht unbedingt ein Grundverständnis vom Wirtschaften mitgegeben wird. Tatsächlich kann man als Hebamme durchaus viel Geld verdienen. Man muss einfach nur wissen, wie. Ich merke das immer an meinen Studenten:innen, die ich unterrichte. Wenn ich denen erzähle, was dieser Beruf eigentlich für Möglichkeiten bietet, Geld zu verdienen, dann staunen sie erst mal.

Neben deinem Beruf als Hebamme bist du Buchautorin, Journalistin, hast einen Podcast und eine Beratungsagentur. Meinst du das mit den lukrativen Möglichkeiten?

Ganz genau das meine ich. Es muss natürlich nicht jede Hebamme auch gleich Buchautorin werden, aber sie muss einfach lernen, ein Preisschild an ihre Leistungen zu hängen. Ich sehe das insbesondere an meinen Student:innen, die etwa für eine Akupunktur-Sitzung nicht das veranschlagen, was sie auch wirklich wert ist. Es ist so, als dürften unsere Leistungen nichts kosten. Das ist ein Berufs-Ethos, den ich einfach nicht nachvollziehen kann. Jeder Arzt schreibt bei jedem Telefonat schon eine Rechnung und Hebammen lassen das gerne mal unter den Tisch fallen. Und wenn man sich einfach mal die Mühe macht, die Preisschilder an seine Leistungen zu hängen, merkt man, dass man doch gar nicht so schlecht verdient. Und das ist ein Bewusstsein, das ich auch immer wieder stärken möchte, gerade bei meinen jungen Kolleg:innen, die jetzt gerade erst anfangen.

Hebamme Kerstin Lüking im Interview mit Heyday Magazine
Foto: Anne Seliger

Du bist Co-Autorin des Buches Love yourself, Mama. Fehlt modernen Müttern heute oft die Selbstfürsorge und wenn ja, woran liegt das?

Ja, auf jeden Fall fehlt ihnen die Selbstliebe. Das ist zumindest das, was wir beobachtet haben – ich habe das Buch gemeinsam mit einer Journalistin und einer Ärztin geschrieben. Viele Mütter beklagen sich darüber, dass es ihnen nicht gut geht. Aber gleichzeitig stellen sie sich auch immer wieder hinten an. Sie fühlen sich oft in ihrem Körper nicht wohl, weil sie durch die Schwangerschaft zugenommen haben. Hakt man nach und fragt, was sie denn für sich machen, dann wird oft mangelnde Zeit vorgeschoben und immer hat etwas anderes Vorrang, insbesondere die Kinder.

So funktioniert es nur leider nicht. Mütter müssen lernen, sich selbst an erste Stelle zu setzen. Nur wenn man sich selbst wohl und stark fühlt, kann man auch für andere da sein. Natürlich sind wir nicht dogmatisch und verlangen, dass Frauen und Mütter all das machen, was wir empfehlen.  Schon kleine Veränderungen helfen. Und in den meisten Fällen ist auch Zeit da. Wir haben beobachtet, dass wir alle sehr viel Zeit in den sozialen Medien verbringen und diese Zeit kann man vielleicht auch sinnvoller investieren, indem man mal eine halbe Stunde am Tag zum Sport geht.

Wie schaffst du es, dir ein Zeitfenster für Self-Care einzuräumen?

Ich habe tatsächlich feste Zeitfenster reserviert, die ich nur für mich nutze, ich bin dann auch für niemanden zu sprechen. Ich habe den Sport für mich wiederentdeckt, und dazu gehört natürlich eine gewisse Selbstdisziplin – es gibt Tage, da muss ich mich wirklich überwinden. Ich versuche, mich nicht selbst zu beschummeln. Wenn ich morgens meine Kinder alle aus der Haustür geschoben habe, mache ich mich auf den Weg zum Sport. Ich mache da keine große Wellness-Aktion draus, sondern ziehe mein Ding durch. Nach dem Sport fühle ich mich immer sehr gut, und dann fange ich an zu arbeiten. Aber diese Zeit des Tages ist nur für mich bestimmt. Das macht mich total zufrieden und ich schaffe dadurch auch viel mehr als sonst.

Außerdem habe ich aufgehört, unwichtigen Dingen zu viel Bedeutung beizumessen. Ich war früher sehr perfektionistisch und alles musste immer top dekoriert sein. Heute ist es auch schön bei mir, aber ich bin nicht mehr so bekloppt und mache mich zum Sklaven meines eigenen Haushalts. Meine Kinder helfen auch mit. Es ist ganz klar, dass ich nicht das Hausmädchen für alle spiele. Ich habe gelernt, dass es sich mit einer gewissen Gelassenheit einfach viel leichter leben lässt.

Foto: Anne Seliger

„Mit meiner Pflegelinie will ich Frauen ein Bewusstsein dafür geben, wie wichtig die Zeit für Selfcare ist, und dass wir uns um unseren Körper kümmern müssen“

Du hast Anfang Februar mit der Firma Carlotte Meentzen eine Pflege-Linie auf Naturbasis für die ganze Familie herausgebracht. Aus welchem Bedürfnis ist diese Linie entstanden?

Dazu müssen wir acht Jahre zurückgehen. Da war ich Anfang 40, ein Alter, in dem man nochmal Bilanz zieht und sein Leben überdenkt. Ich habe mich damals gefragt, was ich die nächsten 20 Jahre machen will und bin zu dem Schluss gekommen, dass ich nochmal eine neue Richtung einschlagen möchte. Ich wollte etwas machen, das mir Spaß macht und bei dem ich noch mal mein ganzes Wissen einbringen kann.

Ich habe dann damals eine Box fürs Wochenbett entwickelt, mit Produkten, die auf die Genesung nach der Schwangerschaft ausgerichtet waren. Das ist super angelaufen und wurde auch total gut angenommen, ist dann aber letztendlich an der Industrialisierung gescheitert.

Dann bin ich auf die Firma Charlotte Meentzen gestoßen. Die gleichnamige Gründerin hatte mit ihrem Unternehmen in Dresden bereits vor 75 Jahren einen ähnlichen Ansatz wie ich – sie hat Produkte für Frauen kreiert, damit sie sich besser fühlen können. Ich bin dann einfach mit meiner Idee an das Unternehmen herangetreten. Daraus ist dann nach unzähligen Entwicklungsrunden eine Pflege-Linie für Mutter und Kind auf Basis von natürlichen Inhaltsstoffen entstanden. Damit will ich Frauen ein Bewusstsein dafür geben, wie wichtig die Zeit für Self-Care ist, und dass wir uns um unseren Körper kümmern müssen.

Inwieweit warst du selbst in der Kreation der Pflege-Linie involviert?

Ich habe mich sehr viel mit den Chemiker:innen ausgetauscht. In einem langen Prozess mit vielen Testphasen ist dann TUJU entstanden – für die Schwangerschaft, das Wochenbett und die Zeit danach. Das Schöne daran ist, dass ich meine Expertise als Hebamme sehr stark einbringen konnte, da wir großen Wert auf Content legen und die Eltern zusätzlich zur Kosmetik mit viel Wissen ausstatten wollen. 

Du strahlst mit deinen 48 Jahren. Hast du ein Beauty-Ritual, an dem du festhältst?

Viel trinken hilft. Süßigkeiten nur in Maßen. Außerdem ist eine regelmäßige Beauty-Routine wichtig. Ich bin nie zu müde dafür, mir abends vor dem Schlafen gehen das Gesicht zu reinigen. Meine Geheimwaffe gegen trockene Haut ist auf jeden Fall Aloe Vera. Sport ist wichtig und viel Bewegung an der frischen Luft. Und natürlich eine gewisse Grundzufriedenheit. Glück sieht man einfach jedem Menschen an, dieses Strahlen bekommt man nicht nur allein von Aloe Vera.

Was wünschst du dir für den Beruf der Hebamme für die Zukunft?

Ich wünsche mir einfach für die Kolleg:innen, dass wieder eine Zufriedenheit einkehrt. Dass wir uns, abgesehen von den Missständen, die es sicherlich gibt, auch wieder darauf besinnen, was das eigentlich für ein schöner, sinnstiftender Beruf ist, den man durchaus auch wieder mehr bewerben sollte, um junge Frauen dafür zu begeistern. Denn eine Geburt ohne eine Hebamme wäre doch unvorstellbar.

Tuju, die neue Pflegelinie von Kerstin Lüking
Die langjährige Erfahrung von Hebamme Kerstin Lüking floss in die Produktion der TUJU-Pflegeserie von Charlotte Meentzen ein. So entstanden gut durchdachte Naturprodukte für die Gesundheit und das Wohlbefinden von Müttern und Babys. Zu bestellen HIER.

Foto: Heyday Creative Studio
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Über Kerstin Lüking:

Die gebürtige Berlinerin studierte nach dem Abitur an der Freien Universität Berlin Rechtswissenschaften und Psychologie. 1999 absolvierte sie ihr Hebammen-Examen und arbeitet seitdem freiberuflich. Mittlerweile ist sie als Journalistin zugelassen, schreibt Bücher und für Magazine. Sie podcastet mit der TV-Journalistin Dorothee Dahinden und schreibt zudem für den Blog Mutterkutter. Sie lebt mit ihrem Mann, fünf Töchtern und zwei Söhnen in Berlin.

HIER geht es zu Kerstins Webseite, die von ihr mitentwickelten Produkte der Pflege-Linie TUJU von Charlotte Meentzen sind HIER erhältlich

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