„Vorleben ist nachhaltiger als predigen“

Den Fortschritt denken, nachhaltige Projekte anstoßen, kommende Generationen unterrichten: Als Expertin in den Bereichen Design, Ethik und Innovation fühlt Donia Hamdami den Puls unserer Zeit – und arbeitet daran, eine bessere Zukunft zu gestalten. HEYDAY sprach mit der Professorin und Künstlerin über die Themen, die unser Morgen prägen werden …


Eine Frau mit Visionen: Donia Hamdami
Foto: Axl Jansen

Unsere Zukunft wird auch ihre Handschrift tragen: Die vielseitige deutsch-Iranerin Donia Hamdami ist Professorin im Fachbereich Architektur, Innenarchitektur und Stadtplanung an der Technischen Hochschule Ostwestfalen-Lippe und verfügt über Diplome in den Bereichen Industrie- und Produktionsdesign, Filmszenographie und Gestaltung neuer Medien. Die kunstsinnige Innovatorin arbeitet international, forciert weltweit nachhaltige Projekte und lehrt an diversen Hochschulen, darunter auch am renommierten Hasso-Plattner-Institut. HEYDAY fragte sie nach ihrem Werdegang und ihrer Expertise in Sachen Zukunft …

HEYDAY: Hallo Donia, wir staunen über Deine Vielseitigkeit! Wie verlief Deine Reise von der kreativen Arbeit beim Film hin zu einer Professur an einer Technischen Hochschule? Wolltest Du schon immer unterrichten?

Ja, als naiv romantische Vision! Ich habe an zwei Hochschulen studiert – erst Industrial Design, dann Film-Szenografie, jeweils in kleinen Semestern mit wunderbaren Werkstätten bzw. Studios. Eine intensive künstlerisch-experimentelle Zeit. Ich kam aus zerrütteten Familienverhältnissen und fühlte mich befreit. Ich hatte das Glück Professoren zu haben, die an mich glaubten und mich mit Fragen konfrontierten, die mich enorm stimulierten. Ich wollte das Gute, das mir entgegengebracht wurde, eines Tages an die Gesellschaft zurück geben. Dankbarkeit ist ein starker Antreiber.

Schon während meines Filmstudiums arbeitete ich parallel als Production Designerin. Im Laufe der langjährigen Tätigkeit identifizierte ich spezifische Lücken des Studiums. Körperlich war die Filmarbeit oft hart, aber meine Leidenschaft für Bildkunst, Architektur, Storytelling, Reisen und Arbeiten im Team fand vollste Erfüllung. Als ich mit Anfang 40 sesshafter wurde (und die Materialverschwendung beim Film-Setbau kaum mehr zu ertragen war), zog ich mich zunächst temporär vom Film zurück, um für meine Familie ein Haus zu bauen und im Anschluss Seminare für gestalterische Studiengänge zu entwerfen.

Seit 2013 lehre ich an Hochschulen, vorrangig Design Thinking (Innovationsprozess) am Hasso- Plattner-Institut. Außerdem entwickle ich mit meinen Kollegen Workshops im Bereich Life Centered Design. Das sind im Prinzip Future Classes in Organisationen mit Methodologie und Inspirationen für kreative Lösungen z.B. bei ökologischen und sozialen Problemen.

2018 hast Du die Professur Hochschuldidaktik an der TH OWL im Fachbereich Architektur, Innenarchitektur und Stadtplanung übernommen. Was genau sind Deine Schwerpunkte? Was sind die Ziele? 

Hochschuldidaktik ist „die Lehre der Lehre“. Schwerpunkt: Lernen lernen durch Fragen fragen und die Synergie von Teamarbeit und Kreativität – auch zwischen Professoren und Studierenden sowie Projekt-Partnern. Dazu sind Kommunikations- und Moderationsfähigkeiten nötig, besonders in den Kunst und Technik geprägten Fachbereichen. Die Auseinandersetzung damit gibt den Studierenden eine gesunde Selbstsicherheit, ihre Ideen überzeugend zu präsentieren und Stakeholder darauf aufbauen zu lassen. Vice versa gilt dies auch für die Hochschullehrenden. Ziel: die Verständlichkeit der Kernaussage.

Was gefällt Dir an Deiner Arbeit am meisten?

So viel … z.B. Studierenden Vertrauen in ihre ureigene Gestaltung zu geben. Ich motiviere und hinterfrage. Zu meiner Studienzeit konnte man sich noch nicht – so wie heute – digital in anderen Welten verlieren. Wir Designstudenten hatten eine klare Identität als Künstler*innen. Das fehlt heute.

Innenarchitektur studieren meist junge Frauen, manchmal gerade erst 18 Jahre alt. Die sind auf der Suche nach weiblichen Vorbildern, einer Mentorin. In solchen Fällen konzentriere ich mich auf die Vermittlung von Freiheit und fordere auf, alle künstlerische Ausdrucksmöglichkeiten auszuschöpfen. Auch Schauspiel, Dichtung, Satire – Hemmungen durch Mut und Humor schlagen! Bildung ist politisch.

Du bist an vielen ökologischen Projekten beteiligt, wie z. B. dem Flussbad Berlin und der Eco City. Wie schätzt Du das ökologische Verständnis unserer Gesellschaft und speziell der jüngeren Generation ein? 

Positiv. Ich bin umgeben von jungen Menschen, die klare ökologische und soziale Werte haben und diese auch vertreten. Im großen Kontext geht es jedoch schleppend voran. Weltweit sind die Einstellungen diverser denn je. Extremisten an beiden Polen. In diesem Spannungsfeld wächst die jüngere Generation auf. 

Welche Erfahrungen hast Du in Sachen Umweltschutz und Nachhaltigkeit gemacht? 

Vorleben ist nachhaltiger als predigen. Nicht aufhören, immer weiter machen, nicht überfordern, sich unbedingt auch mal etwas gönnen und fünfe gerade sein lassen. Es ist heute einfach, in Projekte einzusteigen. Besonders Frauen engagieren sich ehrenamtlich und scheinen intuitive Erdverbundenheit, Ressourcenbewußtsein und Offenheit für neue Routinen zu besitzen.

Es entsteht da aber auch die Gefahr der Ausbeutung: Gehälter müssen in dieser existenziellen Tätigkeit Usus werden. Die Politik ist zu zaghaft, zu bürokratisch und investiert falsch. Gleichzeitig haben Regierung und große Unternehmen Angst davor Chancen zu verpassen, nicht schnell genug die zündende ökologische Idee zu finden. Mitarbeiter werden in Ökologie und Innovation geschult, aber die Spitze entscheidet nach kurzfristigem Wachstum. Ich bewundere erlebbare Projekte, wie z.B. Cradle to Cradle, Flussbad Berlin und die Eco City Wünsdorf für ihr Durchhaltevermögen und ihre partizipativen Ansätze. Solche Projekte müssten bedingungslos unterstützt und Deutschlands Exportschlager werden!

„Vorleben ist nachhaltiger als predigen.“

Donia Hamdami
Die Kunst, die Zukunft zu gestalten: Donias Selbstportrait zeigt, was sie beschäftigt

Donia bei einem Foto-Projekt für das nachhaltige Modelabel Rubin&Chapelle
Foto: Claudia Cassagrande

Wie siehst Du die Zukunft in unseren Städten? Welche Lösungsansätze hast Du?

Von der Natur lernen, ihre Entfaltung unterstützen und erfinden. Alte Traditionen, wie z. B. Terra Preta mit Hightech Bionik neu denken. Ein Beispiel ist das sanfte und lehrreiche Konzept der Eco City Wünsdorf. Denn Ballungszentren ohne Natur und die Beschäftigung mit ihr sind kranke Städte. Spannend sind auch die Materialforschungen des MIT Media Lab geleitet von Neri Oxman. Und dieser Erfindergeist, kombiniert mit einem weiteren radikalen Lösungsansatz, ist mein Favorit: Die Erde nicht mehr anzapfen – nur noch mit den Ressourcen leben, die schon auf der Erdoberfläche vorhanden sind! Jede Bewegung in Energie umwandeln! Gebäudeflächen, die Energie erzeugen, vertikal und dachbegrünt! Giftfreie zirkuläre Material-Kreisläufe! Leihen statt besitzen – Dienstleistungen und Werkzeuge zur gegenseitigen Unterstützung organisiert durch modernste UX Systeme. Kurz: Life Centered Design. Das bedeutet, dass im Zentrum der Gestaltung alle Lebensformen stehen: Mensch, Tier und Pflanze.

Stichwort Frauenquote in Führungspositionen. Wie siehst Du das Thema? 

Die alten Seilschaften sind heutzutage nur durch Quote zu regulieren.


Die Filmbranche, die Wissenschaft, Architektur, Stadtplanung – Du bewegst Dich beruflich in Männer-Domainen. Welche Erfahrungen hast Du dort gemacht? Spielt Dein Geschlecht bei Deiner Arbeit überhaupt eine Rolle? 

Mir wird reflektiert, dass meine Solidarität und Offenheit sowie mein Humor sehr geschätzt werden. Ich glaube, dass diese Eigenschaften geschlechtsunspezifisch sind und mir geholfen haben. In gestalterischen Gebieten kommt es auf eine individuelle Handschrift und Ingeniosität an. Das habe ich. In der Wissenschaft bin ich überzeugt, dass mir die Quote zugute gekommen ist. In den Ausschreibungen steht üblicherweise, dass Frauen mit gleicher Qualifikation bevorzugt werden.

Welchen Herausforderungen musstest Du Dich als Frau im Berufsleben immer wieder stellen? 

Da ich Expertin auf meinem Gebiet bin und über eine beruhigende Erfahrung verfüge, ist für mich das Gender-Thema weniger fühlbar. In der Berufswelt testen Männer gerne das Gegenüber aus. Ich lasse mich nicht auf Spielchen ein und bleibe fachlich fokussiert und kollegial. Ich überzeuge durch meine Leidenschaft in meinen Tätigkeiten und die Aufmerksamkeit, die ich meinen Arbeitspartnern schenke. Als ich jung war und noch nicht den Erfahrungsbonus hatte, machte ich es ähnlich: gut zuhören und Fragen stellen. Damals habe ich klar gesagt: „Ich bin jung und habe wenig Erfahrung, aber ich bin motiviert und will lernen. Bitte unterstützen Sie mich, wenn es schwer wird.“ Das war authentisch.

Meine persönliche Herausforderung ist mein Gesundheitszustand. Der beidseitige Verlust meiner Gleichgewichtsorgane seit fünf Jahren. Damit kämpfe ich mich regelrecht durchs Leben und habe noch nicht den Dreh gefunden, dies im Beruf gelassen anzunehmen. Meine Belastung ist für andere unsichtbar. Es ist nicht einfach, den richtigen Moment zu finden, mich mitzuteilen, bzw. zu entscheiden, ob es notwendig ist. Ich versuche es als experimentelle Phase zu betrachten und bin jeden Tag dankbar für meine unfassbar freundlichen und klugen KollegInnen …

Wie schaffst Du es, in heiklen Situationen einen kühlen Kopf zu bewahren?  

Ich bewahre keinen kühlen Kopf.

Alltags-Sexismus, Übergriffe, sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz. Hast Du jemals derartige #MeToo-Erfahrungen gemacht?

Gibt es eine Frau, die das im Alltag noch nicht erlebt hat – im Park, in den öffentlichen Verkehrsmitteln oder in der sozialen Netzwerken? Von Kolleginnen und Freundinnen wurde ich um Unterstützung gebeten. Nicht selten verlieren die Betroffenen auf dem Weg der Aufklärung den Mut, das Vorgefallene zu enthüllen. Manche verbünden sich sogar stillschweigend mit ihrem Peiniger, aus Angst, oder weil sie sich einen Vorteil erhoffen – und gehen dann auf Abstand zu der Person, der sie die Sache anvertraut haben. Die Vertraute kommt dadurch in einen Loyalitätskonflikt und bietet unter Umständen zukünftig keine Hilfe mehr an. Das ist tragisch. Es geht eben um Macht.

Ein langer, erfolgreicher Weg: Donia Hamdami beweist, wie weit man es mit stetiger Neugier und Leidenschaft bringen kann
Foto: Axl Jansen
Donia als Szenenbildnerin beim Film
Als Tochter einer deutschen Mutter und eines iranischen Vaters besitzt Donia zwei Staatsbürgerschaften: hier ihr iranischer Pass

Wie siehst Du die aktuelle Feminismus-Entwicklung in unserer Gesellschaft? 

Ich betrachte den Feminismus als in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Aktuell erfahren wir durch Männerwelten, #BlackLivesMatter und die Renaissance des Chauvinismus politischer Akteure große Aufmerksamkeit. Feminismus ist kein geschützter Begriff und ändert sich mit den Aufgaben. Stichwort Intersektionalität. Es geht um Gleichberechtigung, ein gutes selbstbestimmtes Leben in Freiheit für alle Menschen jeglichen Geschlechts, und gegen Sexismus und Machtmissbrauch. In meinem Leben wurde ich Zeugin von sehr viel Leid und Ungerechtigkeit gegen Frauen und Rassismus. Auch von Frauen gegen Frauen. Es berührt mich stark, welche Solidarität sich zwischen Frauen entwickelt hat.

Der intersektionale Feminismus der Gegenwart hat verstanden, dass es ohne Solidarität nicht möglich ist, Ungerechtigkeit zu beenden. Feminismus ist notwendig!

Was sind Deiner Meinung nach die größten Herausforderungen unserer Zeit? Und was können wir tun bzw. müssen wir ändern? 

Missbrauch. In jeder Hinsicht. Ich fordere sofortigen und sicheren Schutz vor Repressalien für Enthüller und Opfer.

Wo siehst Du Dich in 20-30 Jahren? 

Hm … ich irritiere zwar meinen Mann mit den verrücktesten Szenarien, aber eigentlich habe ich keine Ahnung. Ich lebe im Hier und Jetzt und liebe Überraschungen …


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Foto: Axl Jansen

Über Donia Hamdami

Donia Hamdami ist deutsch-Iranerin, Mentorin, Lecturer und Creative Expert in den Bereichen Design/ Education/ Ethics & Innovation sowie Diplom Industrial Designerin (Berg. Universität Wuppertal). 2018 übernahm sie die Professur Hochschuldidaktik an der TH OWL im Fachbereich Architektur, Innenarchitektur und Stadtplanung, an der d.school und HPI Academy lehrt sie seit 2013.

Ihre Leidenschaft für Bildkunst, Raum und Storytelling führten zu einem weiteren Diplom in Filmszenografie und Gestaltung neuer Medien/ Production Design an der Filmuniversität Babelsberg. Ihr Debut Spielfilm Planet Alex lief auf internationalen Festivals und sogar im Museum of Modern Art in New York. Donia Hamdami entwickelte in internationalen Kampagnen die Umsetzung psychosozialer Trigger in eine künstlerische Bildsprache. 

Design Thinking nutzt Sie als didaktisches Werkzeug für kreatives und ökologisches Empowerment und zur multidisziplinären Teamverständigung. Als Cradle to Cradle-Botschafterin unterstützt sie das „ökoeffektive Konzept“ der „nächsten industriellen Revolution“. Seit 2005 ist Sie Gesellschafterin der FC Magnet Mitte GmbH, seit 2014 Fördermitglied der Internationalen Campus-Eco-City Wünsdorf und des Flussbad Berlin, dem nationalen Projekt des Städtebaus vom Bund Stadtentwicklung und Umwelt zur ökologischen Säuberung des Berliner Spreekanals und Nutzung als Flussbad.


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