„Sex ist Leben”

Erica Jong – die Ikone der feministischen Literatur avancierte in den Siebzigern mit ihrem ersten Roman über Nacht zum Weltstar. Heute kämpft sie mit 80 noch immer meinungsstark und wortgewandt für die Selbstverwirklichung der Frau. Eine Hommage …

Mit ihrem ersten Roman Angst vorm Fliegen schlug die New Yorkerin Erica Jong 1973 hohe Wellen in den puritanisch gepägten USA. Freizügig und ganz selbstverständlich schildert sie weibliche Sexualität – ein veritabler Skandal für manche, zumindest kontrovers für viele. Die Literatur-Dozentin erzählt autobiographisch und schonungslos von einer außerehelichen Affäre ihrer Protagonistin Isodora Wing, und benutzt dabei ungeniert Begriffe wie „Spontanfick“, „Schwanz“ und „Möse“ – in Jongs Augen eine wortgewordene sexuelle Befreiung der Frauen.

Das Buch wurde zum internationalen Bestseller, löste eine kleine sexuelle Revolution aus, fügte sich nahtlos ein in den Geist der damals anlaufenden „Zweiten Welle“ des Feminismus und gilt bis heute als Kultbuch der Bewegung. Keine Frau hatte zuvor so ehrlich und offen über ihre Gedanken und Phantasien geschrieben wie Erica Jong – die Folge war ein Aufschrei, den wir heute wohl als Shitstorm bezeichen würden: „Ich wurde als Hure und Schlampe beschimpft.“

Und obwohl der Erfolg des Romanes schon 50 Jahre her ist, sind die Themen, die dieser einst aufwarf, noch immer relevant. Denn die Frage, wie wir heute mit sexueller Selbstbestimmung und den stereotypen Bildern von Frau und Mann umgehen, ist gerade in Zeiten von Diskussionen über Frauenquoten, Lohngleichheit, Misogynie und #MeToo so aktuell wie ehedem.

„Ich sehe nicht ein, warum man nicht Feministin sein, und gleichzeitig Männer lieben kann”

Erica Jong ließ sich nie einschüchtern und veröffentlichte munter weiter Romane und Essays, in denen es um die Selbstverwirklichung von Frauen und ihren Platz in der Gesellschaft geht. Zuletzt erschien 2016 mit Keine Angst vorm Sterben ihr aktuellster Roman. Hier beschäftigt sie sich nach wie vor mit dem Frausein und vor allem auch wieder mit Sex – nur ist nun der Tod hinzu gekommen. Die eigene Endlichkeit nimmt neben der sexuellen Erfüllung im Alter eine zentrale Rolle ein, und zwischen den Zeilen schwingt stets ein Fünkchen wunderbarer Humor mit.

Über die sexuellen Bedürfnisse von Frauen im Alter sagte Jong in einem Interview : „Ohne physische Verbindung verdorren wir und sterben. Wenn ich mir all diese älteren Frauen ansehe, die nicht mehr berührt werden, finde ich das unfassbar traurig.”
Auch zum Thema Schönheits-OPs hat Erica Jong etwas beizutragen: Während ihre Protagonistin in Keine Angst vorm Sterben die plastische Chirurgie als „genauso obligatorisch wie das Wachsen der Beine” ansieht, erzäht Jong, dass sie persönlich nur ein einziges Facelifting hatte. „Ich würde es nicht noch einmal machen wollen. Das Anästhetikum machte mich monatelang depressiv. Außerdem wird in New York außer Schauspielerinnen niemand mehr operiert. Es ist vorbei. Jeder hat jetzt Injektionen, wie Botox und Voluma, die das Gewebe auffüllen. Das habe ich nie machen lassen.“
Zu der deutschen Feministin und Bestsellerautorin Charlotte Roche (Feuchtgebiete) und darüber, dass diese sich unbedingt Achselhaare wachsen lassen wollte, es am Ende aber kaum über sich brachte, meint Jong: „Das war nie ein großes Thema für mich. Ich bin blond, ich habe nicht so viele Haare. Aber ich bin schockiert darüber, wie wenig Fortschritte wir Frauen gemacht haben. Wir müssten längst viel weiter sein.”

„Du kannst auf millionenfache Weise Liebe machen. Was ist das wichtigste Organ für Sex im menschlichen Körper? Das Gehirn. Die Vorstellungskraft. Ich glaube nicht, dass Frauen zum Orgasmus kommen, wenn sie nicht phantasieren können”

Mittlerweile gilt Erica Jong, die in New York und Connecticut wohnt, in den USA als beliebte Gesellschaftskritikerin, deren Stimme landesweit Gehör findet. 2016 sagte sie beispielsweise in einem Interview: „Wir brauchen ein Quotensystem, wenn wir wirklich etwas ändern wollen. Quoten in der Bildung, in der Wirtschaft, in der Politik. Dass im amerikanischen Kongress nur 20 Prozent Frauen sind – obwohl wir 52 Prozent der Bevölkerung darstellen –, ist ein Skandal.“ – Dem können wir nur rückhaltlos zustimmen.

Schriftstellerin Erica Jong
Schriftstellerin Erica Jong, Foto: Instagram
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Tipp: Als heutiges literarisches Pendant zu Erica Jongs Angst vorm Fliegen könnte man vielleicht das Buch Sie hat Bock von Katja Lewina bezeichnen. Ein starkes, schonungsloses und ehrliches Buch über Frauen, ihre Sexualität und Selbstakzeptanz – und Katja Lewina nimmt das F-Wort genauso gerne in den Mund wie einst Erica Jong…

Fotos: Thalia
Foto: Thalia

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