„Man soll den Menschen sehen – und nicht den Krebspatienten“

Krebs ist auch heute noch ein Tabuthema, über das häufig nur ganz leise und hinter vorgehaltener Hand gesprochen wird – wenn überhaupt. Dabei macht jeder zweite Mensch im Laufe seines Lebens auf irgendeine Weise Erfahrungen mit Krebs – so auch Alexandra von Korff. Die heute 49-jährige Mutter von zwei Kindern war an Brustkrebs erkrankt. Doch anstatt sich zurückzuziehen, ging sie mit ihrer Krankheit in die Offensive

Autorin und Podcasterin Alexandra von Korff im Interview mit Heyday Magazine
Negativen Erlebnissen mit positivem Engagement begegnen – das hat Alexandra von Korff geschafft

Foto: Peter Müller

HEYDAY: Liebe Alexandra, du gehst sehr offen mit deiner Brustkrebs-Erkrankung um – wann und wie wurde die Erkrankung festgestellt?

Alexandra von Korff: Das war 2017. Ich stand unter der Dusche und beim Einseifen bemerkte ich einen Knubbel, der mir vorher noch nie aufgefallen war.

Du hast es also selbst entdeckt?

Ja, das war absoluter Zufall. Ich hatte mir vorher noch nie die Brust abgetastet. Wahrscheinlich aus so einer diffusen Angst heraus, dass ich tatsächlich mal was finden könnte – lieber wegschauen, dann wird da schon nichts sein. Ich gehe doch einmal im Jahr zur Frauenärztin, das wird schon ausreichen.

So eine Diagnose kommt ja immer überraschend. Hattest du dich jemals vorher mit der Thematik auseinandergesetzt?

Nicht wirklich. Meine Oma hatte zwar in höherem Alter Brustkrebs und musste sich eine Brust abnehmen lassen, dann war das aber auch gut. Aber ansonsten… Das Thema war mir nur durch die Moderatorin Miriam Pielhau und durch Angelina Jolie etwas präsent. Ich war derart vor den Kopf gestoßen, ich kam mir viel zu jung vor, ich war ja erst 43, mit zwei kleinen Kindern, gerade mal ein und zwei Jahre alt.

Obwohl ich immer dachte, ich kenne niemanden, der Krebs hat oder hatte, hat sich herausgestellt, dass ich durchaus ein paar solcher Leute kannte – es war mir nur nicht bewusst. Eine Kollegin hatte Eierstockkrebs und ist auch Mutter von zwei kleinen Kindern. Die habe ich sofort angerufen, um mir Tipps zu holen, wie man das so händeln kann.

Ansonsten war ich absolut null in diesem Thema und ich kam mir total allein vor, wie in einem schlechten Film. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass mir sowas passiert. Ich war vorher Marathons gelaufen, hatte mich immer gut ernährt und war davon überzeugt einen sehr gesunden Lebensstil zu haben. Da kann doch eigentlich nichts passieren…

„Immer wenn ich an meine Kinder dachte, habe ich nur noch geheult, weil ich nicht wusste, ob ich überhaupt noch erleben würde, wie sie in die Schule kommen“

Was hat die Diagnose mit dir gemacht?

Das Schlimmste waren die Tage von dem Moment an, als ich den Knoten gefühlt hatte, bis hin zur Diagnose. Immer wenn ich an meine Kinder dachte, habe ich nur noch geheult, weil ich nicht wusste, ob ich überhaupt noch erleben würde, wie sie in die Schule kommen.

An einem Samstag hatte ich ihn bemerkt. Am Montag war ich bei der Ärztin. Als die dann so komisch reagiert hatte, dachte ich schon, okay, das ist etwas Ernsteres. Dienstag war ich schließlich bei einer Spezialistin, um eine Biopsie machen zu lassen. Die sagte mir dann schon ganz konkret, dass sie davon ausgeht, dass es Brustkrebs ist. Donnerstag kam die endgültige Diagnose. Die Zeit von Montag bis Donnerstag war am allerschlimmsten. Donnerstag wusste ich zumindest Bescheid, und wusste auch, dass der Krebs als zu 80 Prozent heilbar eingestuft wurde,

Danach musste ich eine weitere Woche warten, bis die endgültigen Ergebnisse des Pathologen da waren und sicher war, dass der Krebs nicht gestreut hatte. Ab dieser endgültigen Diagnose war ich erst total happy, dass es „nur“ Brustkrebs war und zudem super behandelbar. Ich war total positiv gestimmt und bin sogar noch zum Yoga-Wochenende gefahren. Den darauffolgenden Montag ging es los mit den ganzen Untersuchungen. Mittlerweile weiß ich, dass es „nur“ Brustkrebs nicht gibt und dass jede Krebsart richtig fies ist und ohne Regeln spielt. Du kannst eine noch so tolle Diagnose haben und trotzdem bist du ein Jahr später tot. Aber das habe ich vermutlich erst einmal nicht wahrhaben wollen.

„Ich hatte eine der aggressivsten Formen von Krebs – und trotzdem blieb ich positiv. Ich hatte jetzt ein Projekt, dass es anzugehen galt – nach jedem getanen Schritt ein Häkchen auf der Todo-Liste machen“

Bei Brustkrebs gibt es unterschiedliche Arten, auch sehr aggressive.

Ja genau, und ich hatte eine der aggressivsten Formen. Trotzdem war ich total positiv. Ich hatte eine Wachstumsrate von etwa 80 Prozent, was schon heftig ist, aber irgendwie war mir das nicht so bewusst. Ich hatte jetzt ein Projekt, dass es anzugehen galt – nach jedem getanen Schritt ein Häkchen auf der Todo-Liste machen.

Wie ist deine Familie mit der Diagnose umgegangen und habt ihr den Kindern, sofern das möglich war, gleich gesagt was los ist?

Wir haben den Kindern tatsächlich gleich gesagt, dass ich krank bin, mir die Haare ausfallen werden und ich Medizin nehmen muss. Von einer Freundin aus München hatte ich ein ganz tolles Buch bekommen: Warum trägt Mama im Sommer eine Mütze. Dieses Buch haben wir hoch und runter gelesen und viel darüber gesprochen.

Nach der ersten Chemo war ich beim Frisör und habe mir erst einmal einen Pixie schneiden lassen. Als die Haare dann büschelweise ausfielen, habe ich mir die restlichen Haare von einer Freundin wegrasieren lassen und meine Kinder durften mithelfen. Es war mir wichtig, dass die Kinder nicht plötzlich eine Mama mit Glatze haben, sondern dass sie den Weg dorthin schrittweise mitbekommen, damit sie das Gefühl haben, dass es normal ist und jetzt eben in unserer Familie dazu gehört. Ich bin auch mit der Glatze im Kindergarten gewesen und habe das den Kindern dort erklärt.

Du hast also gar nicht erst versucht, das irgendwie zu verstecken, sondern bist ganz offensiv damit umgegangen?

Ja. Meine Chemo hat im September angefangen, es wurde also sowieso immer kälter, sodass es nicht weiter aufgefallen ist, wenn ich draußen mit Mütze herumgelaufen bin. Wenn ich irgendwo reingegangen bin, habe ich immer vorgewarnt: „Achtung nicht erschrecken, ich habe Brustkrebs und keine Haare mehr“.

Meistens hatten eher die Erwachsenen Probleme damit, nicht die Kinder. Es gab eine Situation in der Kita, dass ein Kind, das mit seiner Mutter nur Italienisch spricht, sie gefragt hat, warum ich keine Haare habe. Woraufhin die Mutter meinte „sag lieber nichts“. Da ich eine Zeit lang in Italien gelebt hatte, konnte ich das Gespräch verstehen und habe gleich gefragt, ob ich das erklären dürfte und dann war das auch okay.

Die Kinder im Kindergarten haben dann immer geschaut, ob mir wieder Haare wachsen und gefragt ob sie mal anfassen dürfen. Ich fand das total schön, auch für meine Kinder. Ich wollte auf keinen Fall, dass hinter ihrem Rücken geredet wird. Es gab auch immer wieder Eltern, die meine Kinder zum Playdate eingeladen haben, wenn sie wussten, ich muss wieder zur Chemo. Das war echt toll.

Krebsbloggerin und Podcasterin Alexandra von Korff
Offensive ist die beste Defensive – Alexandra hat sich nicht während ihrer Krankheit nicht versteckt

Foto: Fotostudio Balsereit

Wie sind die Leute allgemein mit dir umgegangen?

So und so. Es gibt ja leider immer noch eine große Hemmschwelle. Die Leute fragen sich oft: Möchte die überhaupt darauf angesprochen werden? Das kenn ich auch von mir selber. Diese Krankheit ist mit so viel Angst verbunden, dass es einen selber auch treffen könnte.

Hättest du dir von den Menschen in deinem Umfeld einen anderen Umgang mit dir gewünscht?

Gute Frage… Ich denke, Offensive ist die beste Defensive. Deswegen habe ich die Tatsache, dass ich erkrankt bin, wirklich jedem auf die Nase gebunden. Ich habe es in allen WhatsApp-Gruppen erwähnt, mit der Bitte mich ruhig anzusprechen. Ich dachte, wenn ich direkt dazu aufrufe, mich anzusprechen, dann ist das für alle am einfachsten. Wenn das einigen zu viel war, tut es mir leid – man muss ja auch nicht mit mir reden.

In solchen Situationen trennt sich dann, wie man so schön sagt, die Spreu vom Weizen.

Ja so ist es. Es gab Leute, von denen ich eigentlich dachte, das sind gute Freunde, aber ich habe nichts von ihnen gehört. Andere, von denen ich glaubte, das seien eher Bekannte, sind plötzlich zur Höchstform aufgelaufen und haben tolle Sachen für mich gemacht – da dachte ich oft: Wo kommt das denn her? Da zeigt sich einfach nochmal eine andere Seite von Menschen. Mein Freundeskreis hat sich dadurch ein bisschen gemischt, bzw. anders aufgestellt.

Wie wichtig sind in so einer Situation andere Menschen überhaupt?

Es kommt darauf an. Es gibt Phasen, da willst du einfach nur alleine sein. Früher hatten wir immer Open House, jeder konnte kommen und gehen. Das konnte ich dann nicht mehr so gut verkraften, ich hatte nicht mehr so gerne Besuch. Es war ja so: Eben ging es mir vielleicht noch gut und im nächsten Augenblick ging gar nichts mehr. Mir war der Gedanke so unangenehm, einen Besuch rausschmeißen zu müssen, bzw. ich bin einfach zu höflich, um zu sagen, dass es mir nicht gut geht. Ich habe dann die Zähne zusammengebissen und durchgehalten – aber das wollte ich nicht mehr. Deswegen war es für mich am einfachsten, mich woanders mit den Leuten zu treffen und wenn es mir nicht gut ging einfach nach Hause fahren zu können. Ich trete Leuten ungern auf die Füße, ich will immer, dass sich jeder wohlfühlt.

Wie wurdest du behandelt und wie hast du die Behandlungen verkraftet?

Ich hatte unheimliches Glück. Ich habe 16 Chemos bekommen, danach bin ich operiert worden und abschließend wurde ich bestrahlt. Bei der OP wurde festgestellt, dass da noch aktive Krebszellen waren, obwohl die Chemo eigentlich gut angeschlagen hatte. Normalerweise bekommt man nach der OP eine pathologische Komplettremission (pCR), um als krebsfrei zu gelten. Das ist bei mir nicht passiert. Das heißt nach der Bestrahlung musste ich nochmal eine fünfmonatige Tabletten-Chemo machen, falls da irgendwo noch was schlummert. Seit der Diagnose sind jetzt vier Jahre vergangen und bis jetzt ist alles gut. Aber eine Garantie gibt es leider nie.

Ich habe die Chemos jedoch relativ gut vertragen. Ich hatte gute Blutwerte und musste nur einmal für zehn Tage ins Krankenhaus, da ich eine Lungenentzündung hatte. In der Zeit musste ich die Therapie aussetzen. Die Nebenwirkungen der Chemo waren bei mir längst nicht so schlimm, wie man es aus dem Fernsehen kennt.

„Einmal bin ich nach einer Chemo Tanzen gegangen und ich war stolz wie Bolle“

Sind die Chemos heutzutage besser verträglich als früher?

Ich glaube, die Medikationen, die die Nebenwirkungen minimieren, sind besser. Da hat sich sehr viel getan. Ich habe so viel Medikation neben der Chemo bekommen, mir war schon auch mal übel, aber ich musste mich nicht einmal übergeben. Selbst die vier großen Chemos habe ich gut vertragen. Die habe ich donnerstags bekommen, freitags musste ich zur Infusion, samstags war ich etwas schlapp, aber ab Montag ging es dann eigentlich wieder. Einmal bin ich danach sogar tanzen gegangen. Da war ich stolz wie Bolle. Aber ich hatte großes Glück. Ich kenne Leute, die sind super Sportler und waren immer fit, haben die Chemo aber ganz schlecht vertragen.

Du sagtest vorhin, bei dir hat die Chemo gut angeschlagen – was, wenn sie das nicht tut?

Normalerweise bleibt der Tumor erstmal drin, damit man während der Chemo sehen kann, ob er sich verkleinert, also ob die Chemo anschlägt. Bei einer Freundin hat die Chemo nicht angeschlagen, da wuchs der Tumor einfach weiter. Also wurde erst der Tumor operiert und dann eine andere Chemo probiert. Trotzdem ist er weiter gewachsen. Schließlich haben sie es mit einer Kombi von Tabletten-Chemo und Bestrahlung versucht – und Gott sei Dank ist der Krebs bis jetzt nicht zurückgekommen.

Das gibt es leider immer wieder, dass die Chemo nicht anschlägt. Ich habe deswegen gerade eine Freundin verloren, in ihrem Fall ist einfach die Schulmedizin an ihr Ende gekommen, obwohl die Ärzte alles ausprobiert hatten – Operationen, Chemos, Therapien, Hyperthermie, Misteltherapie etc. Krebs ist einfach eine Arschlochkrankheit, sorry, aber ich kann kein anderes Wort dafür finden. So unberechenbar. Du hast einfach Glück oder Pech. Selbst wenn jemand beste Aussichtschancen hat, kann der- oder diejenige im nächsten Jahr schon tot sein. Umgekehrt gilt das allerdings genauso.

Hast du eigentlich noch Nachwirkungen von den Therapien?

Ich habe eine Krebs-Fatigue. Das ist relativ nervig, aber das ist Jammern auf hohem Niveau. Eigentlich geht es mir ganz gut, aber die Fatigue beschwert meinen Alltag schon sehr. Jeden Morgen, wenn ich aufstehe, bin ich erschöpft und müde, als hätte ich nicht geschlafen. Es ist auch ganz egal wie viel ich schlafe, das wird nicht besser. Jeden Morgen quäle ich mich aus dem Bett und durch den Tag. Um auf die Frage zurückzukommen: Die Erkrankung und die Behandlungen haben mein Leben komplett verändert. Ich kann beispielsweise meinen Job nicht mehr machen, weil ich totale Konzentrationsprobleme habe.

Autorin und Podcasterin Alexandra von Korff im Interview mit Heyday Magazine

Kommt das von der Krankheit oder von der Medikation?

Vermutlich eine Kombination aus beidem. Wenn ich das richtig verstanden habe, ist es so, dass der Körper eine Art Burnout bekommt. Das hat bei mir mit der Bestrahlung angefangen, was ganz normal ist. Außerdem wurde ich in die künstlichen Wechseljahre versetzt. Da ich jetzt 48 bin, gehe ich sozusagen nahtlos in die normalen Wechseljahre über, die ähnliche Symptome haben. Ernährung und Sport helfen ein wenig. Es gibt wohl auch eine App, die ganz toll sein soll, die werde ich mal ausprobieren.

Wie groß ist eigentlich die Angst, dass der Krebs wieder kommt? Ist der Gedanke daran allgegenwärtig?

Ich würde sagen, er ist nicht allgegenwärtig, aber das Ganze hat mir eine gewisse Unbeschwertheit genommen. Wenn es mich irgendwo zwickt, ist da immer auch der Gedanke, es könnte möglicherweise Krebs sein. Ist der Nacken jetzt nur verspannt und mir tut deswegen der Kopf weh, oder ist es doch eine Hirn-Metastase? Es ist allerdings nicht so, dass ich ständig in Angst lebe, aber irgendwie schwingt es schon immer mit.

Wenn ich dann auch noch Freunde an den Krebs verliere, trifft mich das besonders hart, weil ich zum einen trauere und gleichzeitig daran denke, das könnte genauso gut auch ich sein. Und ich weiß ja nicht, ob der Krebs nicht irgendwann wieder kommt. Deswegen muss man das Leben so sehr nutzen, wie es nur irgend geht.

„Ich denke lieber an das Leben und nicht an den Tod, das ist mir momentan wichtiger“

Inwiefern hat der Krebs dein Leben verändert, bzw. auch die Beziehung zum Tod?

Total! Der Tod ist für mich persönlich allerdings ein Tabuthema, wie Krebs an sich eigentlich auch, und ich denke das ist bei ganz vielen Leuten so. Ich habe diesbezüglich immer noch sehr mit mir zu kämpfen, obwohl ich natürlich sehr viel mit dem Tod konfrontiert wurde. Das macht mir immer noch unheimlich Angst. Ich habe mich dem Thema allerdings angenähert. 2019 habe ich zum ersten Mal einen toten Menschen gesehen. Ich hatte so viel Angst, bevor ich da rein gegangen bin. Trotzdem habe ich es gemacht und das war irgendwie okay, es hatte etwas sehr Friedliches. Ich habe ein wenig meinen Frieden damit schließen können. Ich denke lieber an das Leben und nicht an den Tod, das ist mir momentan wichtiger.

Was hast du vorher beruflich gemacht?

Ich war bei einem Anbieter von Geschäftsreisen im strategischen Business Management. Das heißt ich habe mit dem Travelmanagement großer Firmen zusammengearbeitet und diese beraten, wie sie ihre Reisebudgets am besten einsetzen, bzw. am besten sparen können.

Wolltest du wieder in deinen alten Beruf zurückzukehren?

Also, ich habe es versucht und gemerkt, dass es nicht geht. Dann habe ich nochmal ein Jahr Elternzeit genommen und mich letztendlich dazu entschieden, dass das keine Zukunft hat. Es ist auch nicht nur, weil ich es körperlich nicht mehr schaffe, sondern auch, weil ich den Sinn in dem Ganzen nicht mehr sehe. Ich habe mich gefragt: Mache ich da wirklich etwas Sinnvolles? Und ich konnte diese Frage leider nicht mit Ja beantworten. Früher hat es mir Spaß bereitet, aber ich habe niemanden damit glücklich gemacht. Jetzt war es mir ein Bedürfnis, irgendetwas Sinnvolles zu machen. Ich möchte Aufklärungsarbeit leisten, weil es meiner Meinung nach einen erheblichen Mangel an Aufklärung gibt, was Krebs betrifft. Und wenn sich durch meine Aktivitäten auch nur eine Frau mehr die Brüste abgetastet hat, dann hat sich das schon gelohnt, dann habe ich wirklich etwas Sinnvolles getan.

Dein Job ist es also, diese Aufklärungsarbeit zu leisten?

Ja schon. Ich bin inzwischen bei yeswecan!cer in der Geschäftsführung. Das ist eine Gemeinwohl-orientierte Organisation, die an Krebs erkrankte Menschen unterstützen und die Kommunikation von Betroffenen untereinander fördern will. Nebenher mache ich einen Podcast, blogge und sitze als Patientenvertreterin in mehreren Beiräten. Dabei dreht sich alles um das Thema Krebs, das ist mein Weg.

Wie lernt man angst- und tabufrei mit dem Thema Krebs umzugehen?

Ich glaube, das ist eine Sache des persönlichen Typs. Ich bin ja ab dem Tag der Diagnose wie eine Litfaßsäule rumgelaufen. Andere machen die Tür zu und wollen nicht, dass jemand von ihrer Erkrankung weiß. Ich finde, das Wichtigste ist, dass jede:r auf sein/ihr Bauchgefühl hört und es so macht, wie es sich richtig anfühlt.

Wie bist du darauf gekommen einen Blog zu machen?

Es haben mir so viele Leute Hilfe angeboten, dass ich mir dachte, ich starte eine WhatsApp-Gruppe für diejenigen, die mir Hilfe angeboten hatten – wenn ich wirklich Unterstützung brauchte, habe ich das da rein geschrieben. In dieser Gruppe habe ich die Leute auf dem Laufenden gehalten. Ich hatte mit meiner Offenheit ziemlich große Resonanz bekommen, sodass mir der Gedanke kam, darüber öffentlich reden zu müssen. Mein Bruder, eine Freundin und auch mein Exfreund meinten dann, ich solle doch einen Blog machen. Mein erster Gedanke war: Da muss ich so viel schreiben und ich weiß gar nicht, wie es mir während der Therapie gehen wird, und ob ich das überhaupt schaffe. Mein Exfreund hat mir diese Angst genommen, als er sagte, „du kannst jeden Tag ein Foto posten und wenn es dir gut geht, schreibst du ein bisschen mehr darunter und wenn es dir schlecht geht, dann eben nur einen Satz“. Da dachte ich mir: Okay, das schaffe ich. Dann habe ich das in einer Hauruckaktion in Angriff genommen, mich voll reingestürzt – und plötzlich hatte ich ein Projekt.

War das für dich auch eine Art Selbsttherapie?

Total! Das Schreiben tut unheimlich gut. Zum einen, weil ich damit versuche etwas Gutes zu tun, indem ich alle Leute in meinem Umfeld darüber informiere, wie es mir geht und über das Thema aufkläre. Zum anderen therapiere ich mich auch noch selbst, und außerdem bin ich ohnehin Tagebuchschreiberin. Der Blog ist wie ein Online-Tagebuch aufgebaut.

Derzeit liegt mein Schwerpunkt aber eher auf dem Podcast. Die Idee dazu hatte ich in der Reha. Ich habe selber viele Podcasts gehört und dachte mir, das ist eigentlich genau das Richtige. Zuerst recherchierte ich und erarbeitete ein Konzept für 24 Folgen. Schließlich habe ich noch meine Busenfreundin Paula mit ins Boot geholt und seitdem sprechen wir alle zwei Wochen im Podcast 2 Frauen, 2 Brüste über verschiedene Aspekte eines Lebens mit und nach dem Brustkrebs.

2 Frauen 2 Brüste – der Podcast Paulina Ellerbrock und Alexandra von Korff
Zwei Frauen mit dem gleichen Schicksal: Alexandra von Korff und Paulina Ellerbrock

Foto: ANITA Dr. Helbig

Paula war auch an Brustkrebs erkrankt. Wie hast du sie kennengelernt?

Meine Babysitterin meinte, ich solle meinen Blog doch auf Instagram posten. Eine Freundin machte mich schließlich darauf aufmerksam, dass da noch andere Frauen unterwegs sind, die ebenfalls an Krebs erkrankt sind. Diese Frauen habe ich dann gesucht. So kam eins zum anderen und plötzlich war ich mit anderen Mädels verbunden, mit denen ich mich täglich ausgetauscht habe. Paula war eine davon. Sie war tatsächlich auch die Erste, die mir in den Sinn kam, als ich die Idee zum Podcast hatte. Paula fand die Idee super und hat sofort zugesagt, ohne das Konzept vorher gesehen zu haben. Zwei Wochen später haben wir schon den Trailer aufgenommen.

Nach welchen Kriterien sucht ihr die Themen und die Frauen für euren Podcast aus?

Wir hatten ja Stoff für 24 Folgen, die ich bereits konzipiert hatte und haben zusammen überlegt, was noch interessant sein könnte. Außerdem haben wir eine Umfrage gestartet, was die Leute interessieren würde. Schließlich hatten wir eine riesige Liste an Themen. Da  ging es erstmal über die Erkrankung an sich, die Diagnose und die Behandlung. Dann wurden die Themen immer breiter gefächert: Was ist Brustrekonstruktion? Wie funktioniert das mit Kleinkindern? Wie ist das mit den administrativen Sachen, um die ich mich kümmern muss? Wie ist es mit Beziehung und Sexualität? Was ist mit finanziellen Geschichten, was mit Freundschaften und mit Krebsfreundschaften?

Zunächst haben wir den Podcast noch alleine bestritten, also haben uns einfach über bestimmte Themen unterhalten. Später fingen wir irgendwann an Leute zu interviewen, weil es auf dem Gebiet einige Themen gibt, über die wir beide nicht Bescheid wussten – und so haben wir Frauen eingeladen, mit denen wir über solche Sachen reden konnten. Wir laden immer wieder Menschen ein, darunter auch Ärzte, die uns in speziellen Bereichen Informationen geben können.

Und es geht in eurem Podcast nur um Brustkrebs?

Es geht ausschließlich um Brustkrebs, ja. Wobei, wenn ich beispielsweise über Fatigue rede, betrifft das natürlich alle Krebsarten. Ich würde sagen, man kann bei uns durchaus gut reinhören, selbst wenn man keinen Brustkrebs hat. Mir hat beispielsweise eine Frau geschrieben, die glaube ich Darmkrebs hat, und sie erzählte, dass es ihr sehr geholfen hat, zu hören, wie wir mit unserer Erkrankung umgegangen sind. Das finde ich toll. Wir haben auch Angehörige, die gerne reinhören. Dabei fällt mir ein Mann ein, der gesagt hat: „Nun verstehe ich meine Frau, jetzt weiß ich endlich was in ihr vorgeht“. Das ist so schön. Es gibt auch Mediziner, die erzählen, dass sie jetzt endlich wissen, was bei den Patienten passiert, wenn sie die Praxis verlassen.

2 Frauen 2 Brüste – der Podcast Paulina Ellerbrock und Alexandra von Korff
Der Podcast 2 Frauen 2 Brüste von Alexandra von Korff und Paulina Ellerbrock informiert und berührt – einfach mal reinhören!

Du hattest vorher schon erwähnt, dass du in der Geschäftsführung von yeswecan!cer bist. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?

yeswecan!cer wurde 2018 gegründet und die Mitgründerin Simone Adelsbach, die Frau von Gründer Jörg A. Hoppe, hat mich damals gefragt, ob ich nicht mitwirken möchte. Ich fand das toll. Ich mochte diese laute Art, das Tabubrechen daran, mit coolen T-Shirts deren Logo an das der Sex Pistols erinnert. Es war mir sofort klar, da möchte ich mitwirken. Ich habe dann ein paar Aktionen unterstützt. Ein Jahr später hat Jörg Hoppe Paula und mich gefragt, ob wir bei der YES!CON, einer Krebs-Convention für Betroffene und Experten aus Medizin, Forschung und Wissenschaft, mitmachen wollen. Das haben wir natürlich gemacht. Das war 2020. Wir sind zwar nur ein kleines Team, aber es ist echt schön zu sehen, was wir da bewegen konnten, um das Thema Krebs präsenter zu machen.

Wie ist diese Convention abgelaufen?

Wir hatten sie schon 2019 geplant. Und obwohl da noch nichts mit Covid war, mussten wir uns überlegen, wie wir auch denen, die vielleicht zu krank sind, die Teilnahme ermöglichen können – schließlich handelt es sich um Krebspatienten, und unser Hashtag lautet „du bist nicht allein“. Also hatten wir uns schon vorher um eine Online-Lösung bemüht.

Bei der ersten YES!CON musste man sich noch über eine Plattform anmelden. Das war in diesem Jahr nicht mehr so. Man konnte einfach zu uns auf die Seite kommen und wer aktiv mitchatten wollte, konnte dies über unsere YES!APP tun. Das ist eine App, mit der sich Krebspatienten und Angehörige vernetzen können, und über diese App konnte man dann live die Talks kommentieren.

Dieses Jahr fand die YES!CON zum zweiten Mal statt. Was war da geboten?

Wir sind wie ein kleiner Jahrmarkt. Es gab eine große Bühne, auf der verschiedene Gesprächsrunden stattfanden, zudem hatten wir ein Panel zum Thema Impfen gegen Krebs. Es gab nicht nur medizinische Themen, sondern auch vielfältiges wie Krebs und Dating, Bewegung und Krebs oder Krebs bei Kindern.

In einer zweiten Location, der Church of Hope, haben wir kleinere Gespräche geführt, z.B. mit Tanja Wedhorn, die im ZDF eine Krebspatientin gespielt hat. Tim Oliver Schulz von der Fernsehserie Club der roten Bänder war da und hat sich mit Alex Böhmer, der sein Bein durch Krebs verloren hat, unterhalten. Unser Gründer Jörg A. Hoppe hat mit Nepomuk, einem krebskranken YouTuber, gesprochen, der seinem Krebs ausgerechnet den Namen Jörg gegeben hat. Rainer Langhans hat mit uns meditiert, ebenso wie Laura Melina Seiler. Wir hatten einen Musikworkshop und es gab einen Run4Live. Da konnte man virtuell laufen und für jeden Schritt wurden Spenden generiert.

All dies fand zwar nicht als öffentliche Veranstaltung statt, aber wir konnten trotz Covid ein paar Patienten einladen. Wir haben versucht, alles so attraktiv wie nur irgend möglich zu gestalten, sodass man – auch wenn man nicht vor Ort war – das Gefühl haben konnte, Teil des Ganzen zu sein.

Die YES!CON ist sowohl für Patienten als auch für Angehörige gedacht.

Ja, die Angehörigen werden in der Regel vergessen. Deswegen handhaben wir das auch in unserer App so, dass sich nicht nur Patienten miteinander vernetzen können, sondern auch Angehörige. Die nehmen die Möglichkeit, sich mit anderen Betroffenen vernetzen zu können, sehr dankbar an. Darum liebe ich unsere App so, ich hätte mir nur gewünscht, es hätte sie schon 2017 gegeben, als ich meine Diagnose bekam.

Wir haben Coaches in der App, die man anrufen kann, wenn man Fragen hat. Es gibt regelmäßige Call-ins, bei denen einer unserer Experten eine halbe Stunde für Live-Fragen zur Verfügung steht. Die Themen betreffen sowohl spezielle Indikationen, als auch allgemeine Themen wie Fatigue oder Chemobrain. Wir versuchen ein Gesamtpaket für Erkrankte und Angehörige zu schnüren. Denn wenn wir ehrlich sind, werden immer nur die Kranken gefragt, wie es ihnen geht, niemand fragt die Angehörigen, dabei müssen die meistens so viel tragen und sind dem Ganzen oft hilflos ausgeliefert.

„Ich versuche heute achtsamer zu leben, was mir aber leider nicht immer gelingt. Besser bin ich darin, diesen Rat an andere weiter zu geben. Immerhin…“

Wie konntet ihr für all eure Aktivitäten so viele Prominente gewinnen?

Wir nehmen nicht einfach irgendwelche Prominente, nur damit die da rumlaufen, sondern das sind alles Menschen, die in irgendeiner Weise Bezug zum Thema haben. Die meisten sind sogar auf uns zugekommen. Dazu muss man sagen, Jörg A. Hoppe ist Medienunternehmer und hat lange Fernsehen gemacht. Von daher kennt er sehr viele Leute. Joko Winterscheidt beispielsweise war sein Praktikant. Joko hat seine Mama an Brustkrebs verloren, und der findet unsere Arbeit so toll, dass er das gerne unterstützen wollte. Dafür sind wir total dankbar, weil die Reichweite von jemandem, der so bekannt ist und mit dem Thema zu tun hat, bringt natürlich viel mehr Aufmerksamkeit. Das gilt auch für Jorge Gonzales, der ebenfalls seine Mutter durch Krebs verloren und sie bis zu ihrem Tod gepflegt hat. Außerdem engagiert er sich für Kinderhospize. Oder Ursula von der Leyen, die ihre Schwester verloren hat und sich deswegen für dieses Thema so einsetzt. Da gibt es viele, viele Geschichten zu erzählen.

Hast du dich eigentlich von alten Mustern verabschiedet, von denen du weißt, dass sie dir nicht gut tun?

Es gibt alte Muster, von denen ich mich gerne verabschiedet hätte (lacht). Viele Sachen mache ich immer noch, obwohl ich mir geschworen hatte, achtsamer mit mir zu sein und Grenzen einzuhalten. Ich gehe regelmäßig über meine Grenzen. Aber zumindest ist es mir heute bewusst. Früher hab ich einfach die Zähne zusammengebissen und bin da durch. Jetzt denke ich mir oft: Das ist nicht gut, was du da machst und das weißt du auch. Ich bin da leider überhaupt kein gutes Beispiel. Ich kann das anderen immer gut sagen, dass sie achtsam sein sollen und ihre Grenzen einhalten, und wie wichtig es ist, auch mal Ruhepausen einzuhalten – aber bei mir selber scheitere ich oft.

Gibt es etwas Allgemeingültiges, von dem du sagen kannst, das braucht ein:e Krebskranke:r am meisten?

Man soll den Menschen sehen, und nicht den Krebspatienten. Es ist ganz wichtig, nicht auf diese Krankheit reduziert zu werden. Es tut so gut manchmal über normale Sachen zu reden. Das schlimmste für mich war immer, wenn Leute gesagt haben: „Ach ich hab so Liebeskummer, aber was erzähl ich dir das, du hast ja ganz andere Probleme“. Ich wollte, dass man mit mir auch über so etwas redet, dann hatte ich wenigstens das Gefühl noch dazuzugehören und dass sich nicht alles um diese Krankheit dreht. Solche Alltagssachen sind doch auch mal schön. Aber das kann ich jetzt nur so für mich sagen. Es gibt sicher auch Leute, die denken: „Was soll ich mir den Alltagskäse anhören, ich habe Krebs, ich habe für sowas keinen Kopf.“ Das ist, glaube ich, sehr individuell.

Möchtest du unseren Leserinnen noch etwas mit auf den Weg geben, worauf sie achten sollten?

Mir wäre wichtig, dass sich Frauen bitte, bitte, einmal im Monat die Brüste abtasten. Es genügt nicht, einmal im Jahr zur Frauenärztin zu gehen. Gerade bei jüngeren Frauen entstehen oft sehr aggressive Tumore – da reicht es einfach nicht, sich einmal im Jahr die Brüste abtasten zu lassen, von jemandem, der die Brüste eigentlich gar nicht kennt. Wenn Frauen das jeden Monat selber machen, lernen sie ihre Brüste gut kennen und können so vielleicht Veränderungen schneller bemerken.

Gerade junge Frauen werden oft einfach weggeschickt, wenn sie sagen, sie haben da einen Knubbel. Da heißt es oft: „Das ist bestimmt nur eine Zyste, hier ist eine Salbe und kommen sie in sechs Monaten wieder.“ Bei mir war das ähnlich, aber meine Ärztin hat glücklicherweise doch genauer nachgesehen. Ich kenne zu viele Frauen die weggeschickt wurden, die jetzt nicht mehr leben. Das finde ich so schrecklich, dabei ist es so einfach, genauer hinzugucken. Man kann den Unterschied zwischen einem Tumor und einer Zyste nicht ertasten. Ich würde mich freuen, wenn Patientinnen mündig genug wären, um darauf zu bestehen, dass genauer nachgesehen wird, wenn sie auch nur den Hauch eines Zweifels haben. Wenn ein:e Frauenarzt/ärztin einen Ultraschall mit Doppler hat, und das haben viele, kann man diesen auch für die Tumorkontrolle nutzen. Und wenn man sich unsicher ist: Immer nochmal fragen!

Mir wäre es wichtig, dass einfach jede:r auf sich achtet und wenn man sich abgewimmelt fühlt, sollte man den Arzt wechseln oder vehement auf weitere Untersuchungen bestehen. Das wäre mein Wunsch, mein Herzensanliegen.

Dann vielen Dank für deine Zeit und das sehr informative Gespräch

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Autorin und Podcasterin Alexandra von Korff
Unterwegs zum Podcast-Gespräch: Alexandra von Korff (49)

Reinhören in den Podcast von Alexandra und Pauline!

Was passiert nach der Diagnose Brustkrebs? Gibt es ein Leben danach? Ja, sagen die zwei Krebsblogger Paulina Ellerbrock und Alexandra von Korff. Sie schreiben nicht nur über die verschiedenen Alltagsmomente mit Krebs, nein, sie gibt es jetzt auch zu hören. Sie sind laut, echt und unverblümt, und behandeln ihre Themen auch mal mit einem Augenzwinkern und einer guten Portion Humor. In ihren Podcast-Folgen sprechen sie mit allen Höhen und Tiefen über viele Themen rund um den Krebs und bieten wertvolle Informationen für Betroffene und Angehörige.

HIER geht es zu Alexandras Blog Kick Cancer Chick und zu ihrem Podcast 2 Frauen 2 Brüste

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