Uraltes Klapp-Handy? E-Mail-Adresse aus der Steinzeit?
Drei Ausrufezeichen in der WhatsApp-Nachricht und dann noch Emojis im Überfluss? Zugegeben, ein bisschen oldschool klingt das schon. Aber muss man wirklich jeden Trend mitmachen, nur damit man nicht wirkt wie ein digitales Fossil? – Unsere Gast-Kolumnistin Iris Soltau (54) hat sich der Sachlage mit viel Humor angenommen…
Fotos: privat

„Die macht dich alt“, sagte meine Kollegin neulich zu mir. Die Rede war nicht von meiner Lippenstiftfarbe, sondern von der AOL-Adresse. Die verrät nämlich, dass ich 1999 gleichzeitig mit Boris „Äh, bin ich schon drin?“ Becker in das Internet gestolpert bin. Wenn ich mit Menschen kommuniziere, die ebenfalls diese E-Mail-Adresse nutzen, was sehr selten vorkommt, fühlen wir uns sofort verbunden, so als aussterbende Art des digitalen Pleistozäns. Im Straßenverkehr würden wir uns kurz anhupen. Da fällt mir ein: Gibt es eigentlich schon den Busfahrer-Gruß als Emoji? Wobei, stopp, der verschwenderische Gebrauch von Emojis gilt inzwischen auch als Altersindikator. Ich gewöhne ihn mir gerade ab.
„Der verschwenderische Gebrauch von Emojis gilt inzwischen als Altersindikator”

Das Gleiche gilt für Zeichensetzung. Wer auf Social Media noch ordentlich punktet oder Kommata setzt, hat den Anschluss verpasst. Ja gut, dann muss man halt eine Nachricht dreimal lesen, um den Sinn zu verstehen. Hauptsache, es sieht aus, als wären die Gedanken mal eben so lässig hingeworfen. Apropos Punkte: „Warum schreiben Leute über 40 immer… hinter ihre Sätze?“, fragte kürzlich eine Tiktok-Kreatorin. „Wir schenken euch Satzzeichen, weil ihr ja offenbar keine mehr habt“, antwortete eine genervte Followerin, wahrscheinlich eine mit t-online.de-Adresse.
Achtung: die Gen-Z-Sprachpolizei liest mit!
Auch das unschuldig-freundliche „Huhu“ zu Beginn einer Nachricht ist so outdated, da könnte ich laut der Gen-Z-Sprachpolizei direkt wieder das Faxgerät anschließen. Das sind übrigens die gleichen Kids, die sich auf Instagram über ihre Mütter lustig machten, wie sie mit Lesebrille vorn auf der Nasenspitze langsam und konzentriert Nachrichten in ihr Smartphone tippen. „Sternzeichen: Klapphandyhülle“ lautete die Caption. Also weg mit der Hülle. Ich habe jetzt ein transparentes Case ohne Klapp, dafür Kratzer auf dem Display und lerne gerade, lässig mit dem Smartphone zu bezahlen, ohne im Kopf Betrugsszenarien abzuspulen.

„Die Ich habe jetzt ein transparentes Case ohne Klapp, dafür Kratzer auf dem Display und lerne gerade, lässig mit dem Smartphone zu bezahlen, ohne im Kopf Betrugsszenarien abzuspulen“
Pling, Pling, Pling
Mein Google Calendar macht Pling, wenn ich morgens um acht einen Zahnarzttermin habe, Pling, wenn ich vergessen habe, dass ich heute eigentlich joggen wollte, und Pling, wenn ich den Jogging-Termin verschiebe, weil… na ja, Zahn und so. Und weil meine Notizzettel auf dem Schreibtisch mittlerweile aussehen wie ein Escape-Room-Rätsel, bin ich auch bei Notion gelandet. Oder war’s Trello? Egal, irgendwas mit Boards, bunten Kärtchen und dem Gefühl, ich hätte mein Leben im Griff. Habe ich natürlich nicht – aber ich kann jetzt Spalten verschieben.
Ich versuche mitzuhalten. Mit den Trends. Mit der Sprache. Mehr Tik, weniger Talk. Ich switche, swipe, installiere, lösche, lade neu. Der Vorteil an meinem digitalen Verjüngungstraining: Ich habe keine Zeit mehr, mich ernsthaft mit dem komischen Geräusch im linken Knie zu beschäftigen oder mit der Frage, ob ich eine Halsstraffung brauche. Ich bin zu sehr damit ausgelastet, das eigene Kinn im 45-Grad-Winkel Richtung Himmel zu halten, um ein Selfie aufzunehmen, das nicht aussieht wie ein Passbild aus der Ära Kohl.
Und eines habe ich gelernt: In der digitalen Welt muss man nicht alles verstehen. Man muss nur so tun, als hätte man es längst kapiert und dann aus Prinzip wieder deinstalliert.
„Eines habe ich gelernt: In der digitalen Welt muss man nicht alles verstehen. Man muss nur so tun, als hätte man es längst kapiert und dann aus Prinzip wieder deinstalliert“


Mehr über Iris Soltau
Ihre Karriere begann mit einem Tageszeitungs-Volontariat in Walsrode, es folgte das Studium der Germanistik und Anglistik in Hamburg. Iris arbeitete als Redakteurin, Textchefin und Redaktionsleitung bei Magazinen wie Petra, Maxi, Ramp Style, Good Food und Blond Magazin. Heute ist sie freie Autorin für u.a. Brigitte, Spiegel Online, Merian.de und Eltern. Seit 2017 arbeite sie vor allem für Unternehmen, konzipiert Kunden- oder Mitarbeitenden-Magazine, textet Advertorials oder Social-Media-Content. Für diese Kunden war (und ist) sie tätig: RWE, Techniker Krankenkasse, Knappschaft, CyberHealth, Gerry Weber, Seat, Bentley, Althoff Collection Hotels und UBS Digital Art Museum. Iris lebt in Hamburg, ihr Büro findet ihr in der Sternstraße im Schanzenviertel..
