„Wer bin ich ohne meine Kinder?“

Wenn die Kinder von Zuhause ausziehen, beginnt für die Eltern ein neuer Lebensabschnitt. Was tun, wenn das Nest sich leert? Diese Frage stellte sich die Personality-Stylistin, Therapeutin und Erziehungswissenschaftlerin Caroline Sommer (51). Wie sie mit dieser neuen Herausforderung in der Lebensmitte umging und sich auf ein erfülltes Leben ohne ihren Nachwuchs vorbereitete, erzählt uns die Berlinerin hier.

Stil-Beraterin Caroline Sommer für Heyday Magazine

Was kommt jetzt? Als vierfache Mutter hat Caroline Sommer, Personality-Stylistin, Therapeutin und Erziehungswissenschaftlerin, die Phase des Auszugs der eigenen Kinder schon mehrmals erlebt

Mich beschäftigt gerade, wer ich bin – ohne meine Kinder. Das ist ein ganz neues Kapitel für mich. Ich wurde mit 22 zum ersten Mal Mutter und seitdem bin ich es gerne und mit Leidenschaft. Aber welche Frau ist da in mir und will mit 51 noch was erleben, ohne Kinder dabei zu haben? Oder was Tolles auf die Beine stellen und sich engagieren? Oder vielleicht auch einfach nur fröhlich sein und den Sonnenschein genießen?



IN DER
LEBENSMITTE ANGEKOMMEN:
WAS ZÄHLT JETZT WIRKLICH?

Ich weiß noch, wie ich vor über zehn Jahren am wunderschönen Naturstrand von Jellenbek direkt an der Steilküste stand und drei meiner Kinder dabei beobachtete, wie sie vergnügt ins Wasser liefen, obwohl die Ostsee eigentlich noch zu kalt zum Baden war. Sie hatten sich zuvor die Schuhe ausgezogen und die Hosenbeine hochgekrempelt. Ich selbst wollte nicht mit ins Wasser und blieb daher allein am Strand zurück. Ich schaute den Dreien dabei zu, wie sie schwatzend durchs Wasser und über die Wellen stiegen. Die einzelnen Worte konnte ich nicht verstehen, dafür war der Wind zu stark.

Während ich eine Weile so stand, überkam mich plötzlich das überwältigende Gefühl, dass meine Kinder gerade völlig losgelöst von meiner Person eine gute Zeit haben. In dem Moment bekam ich kaum noch richtig Luft, weil mich diese Erkenntnis mitten ins Herz traf: Da standen sie im Wasser, diese drei jungen Menschen, ohne sich nach mir umzudrehen, ohne zu fragen oder zu gucken, wo Mama ist. Und mir wurde schmerzlich bewusst: In den seichten Wellen der Ostsee stehen nicht drei kleine Zwerge, auf die ich aufpassen muss, sondern drei gut gelaunte Teenager, die hier bestens ohne mich zurechtkommen. Rein biologisch für immer und ewig meine Kinder – aber eben keine Kinder mehr. Wow!

„Das Gefühl, nicht mehr so gebraucht zu werden, kann gnadenlos wehtun“

Die Patchworkfamilie – ein loser Haufen, der nun stetig schrumpft

Heute bin ich 51 Jahre alt und nach wie vor vierfache Mutter. Meine Familienplanung ist ein Fiasko, meine Familienverhältnisse sind ungewöhnlich, ich habe zwei Scheidungen hinter mir und meine dritte Ehe ist kinderlos geblieben. Zu meinen eigenen vier Kindern sind noch zwei Stiefsöhne hinzugekommen. Offiziell lebe ich mit meinem Mann in einer Patchworkfamilie mit insgesamt sechs Kindern. Nüchtern betrachtet ist es eher ein loser Haufen junger Erwachsener mit zwei in die Jahre gekommenen Grauhaarigen. Ich empfinde uns nicht als eine Familie. Mein Mann kümmert sich um seine Kinder, ich kümmere mich um meine Kinder und ab und an sitzen mal alle zusammen an einem Tisch, an Weihnachten oder an Ostern. Das funktioniert dann auch ganz gut, es gibt keinen Streit – aber jede Woche braucht das niemand von uns. Manchmal macht mich das traurig. Aber insgesamt scheinen alle Beteiligten ihren Frieden damit gemacht zu haben.

Mittlerweile ist mein Jüngster neunzehn Jahre alt und mir ist klar, dass auch er in absehbarer Zeit ausziehen wird. Wie damals am Strand betrachte ich ihn heute manchmal mit etwas Abstand und spüre, dass er mich nun eben auch nicht mehr so braucht wie als kleiner Junge. Dieses Gefühl, nicht mehr so gebraucht zu werden, kann gnadenlos wehtun. Nach dem Auszug meiner mittleren Tochter habe ich mir die Augen aus dem Kopf geheult. Ich habe sie schrecklich vermisst und war mit ihrem abrupten Weggang überhaupt nicht einverstanden. Viel zu früh, viel zu schnell, viel zu hart. Sie hat sich in dieser Zeit heftig mit mir gestritten, anstatt sich angemessen von mir zu verabschieden. Für mich war das die Hölle. Gleichzeitig wusste ich, dass sie ein großartiges Mädchen ist und ihren Weg finden muss. Da kann ich als Mama nicht ständig dabei sein und ihre Hand halten.

Stil-Beraterin Caroline Sommer für Heyday Magazine
Foto: Privat

„Wie managen andere Mütter diese Übergangsphase, wenn die Kinder keine Zwerge mehr sind, sondern als Teenager alleine klar kommen?”

Die Kinder ohne Schmerz loslassen – gibt es da einen Trick?

Trennung und Aufbruch sind kein Widerspruch. Aber für mich fühlt es sich nach wie vor sehr widersprüchlich an. Mich beschäftigt nicht zum ersten Mal die Frage, wie andere Mütter diesen Übergang managen und erleben. Ich bin doch nicht die Einzige, die da durch muss: Alle Mütter stehen vor der Aufgabe, ihre Kinder ziehen zu lassen. Wie machen die anderen das? Gibt es einen Trick, den ich noch nicht kenne? Trinken andere Mütter literweise Champagner und feiern rauschende Feste, weil sie endlich wieder frei sind und tun und lassen können, was sie wollen, während ich mir die zurückgelassenen Kuscheltiere meiner Kinder an die Brust drücke und die Tränen kaum zurückhalten kann?

Diese Phase, die bei den meisten Menschen in die Lebensmitte fällt, wurde bisher im Vergleich zu anderen Lebensphasen nur wenig untersucht. Das mittlere Erwachsenenalter ist mehr oder minder wissenschaftliches Neuland. Während meiner Recherchen bin ich auf eine Studie von 2019 mit dem Titel Was kommt nach der Rushhour? Lebenslagen und Lebensverläufe von Frauen und Männern in der Lebensmitte gestoßen. Was meinen die denn mit Rushhour, frage ich mich verwundert. Den Begriff habe ich so noch nie gehört. In der Soziologie wird wohl schon länger der Abschnitt zwischen dem 25. und 35. Lebensjahr als Rushhour bezeichnet, denn in dieser Phase ist extrem viel los: Berufsausbildung, Partnerwahl, Eheschließung, Familiengründung, Karriereplanung – da kann einem schon mal der Kopf schwirren.

Beim Lesen der Studie verwundert es mich nicht, dass Frauen sich in ihrem Alltag bis heute deutlich stärker einschränken, wenn es um die Betreuung und Erziehung gemeinsamer Kinder geht. Nicht selten versuchen junge Mütter anfangs noch, Familie und Beruf gleichermaßen in der Luft zu jonglieren, um dann doch in letzter Konsequenz zugunsten der Kinder auf die eigene Karriere zu verzichten. Erst wenn das jüngste Kind in die Schule kommt, spüren viele Frauen, wie der Stress langsam nachlässt und das tägliche Arbeitspensum überschaubarer wird.

Stil-Beraterin Caroline Sommer für Heyday Magazine
Foto: privat

Alles auf den Kopf stellen – und neu sortieren!

Aber was dann? Nach so viel Rushhour sind viele Mütter erschöpft, ausgebrannt oder stellen ernüchtert fest, dass sie mit ihren Ideen, Vorstellungen und Wünschen gehörig auf der Strecke geblieben sind. Midlife-Crisis, Sinnkrise, wie auch immer wir es nennen – häufig hinterfragen wir die getroffenen Entscheidungen und halten Ausschau nach neuen Ufern: Wie soll es weitergehen, jetzt wo die Kinder größer sind? Was will ich eigentlich noch erleben, bevor ich sterbe? Soll das echt schon alles gewesen sein?

Auch ich habe das Ruder in dieser Zeit noch einmal gehörig herumgerissen. Dabei habe ich ordentlich Federn gelassen, aber ich wollte meine Träume nicht ungelebt begraben. Also habe ich alles auf den Kopf gestellt und neu sortiert. Mit 36 Jahren habe ich mich an der Uni eingeschrieben, um nochmal zu studieren. Ich habe mich von meinem zweiten Mann getrennt, bin aus dem großen Haus in eine sehr viel kleinere Mietwohnung umgezogen, ab sofort alleinerziehend mit vier Kindern – das war alles sehr gewagt und hat mich eine Menge Kraft gekostet. Aber bereut habe ich es nie.

In diesem Jahr möchte ich noch einmal an die Ostsee nach Jellenbek fahren, mit einem eigens dafür angemieteten Wohnmobil, eine Reise, die ich ohne Mann und ohne Kinder plane. Und wenn mich der Mut nicht verlässt, dann möchte ich mich ganz bewusst noch einmal an den gleichen Strand wie damals stellen, über die Wellen aufs weite Meer gucken und atmen. Vielleicht muss ich ein bisschen weinen. Oder ein bisschen lächeln. Oder beides. Nichts könnte für mich an dieser Stelle schöner sein als durchlächelte Tränen. Aus Freude, aus Dankbarkeit und aus Liebe zum Leben.


Mit ihrer Patchworkfamilie lebt und arbeitet die 51-jährige Therapeutin und Beraterin in Berlin

HIER findest du Carolines Webseite, auf der du mehr über ihre prozessorientierte Modeberatung erfährst, und HIER geht es zu ihrem Instagram-Account.

Über Caroline Sommer

Caroline studierte Erziehungswissenschaften (M. A.) an der Freien Universität Berlin. Darüber hinaus absolvierte sie diverse Ausbildungen wie etwa in Meditation, als Systemische Therapeutin und Beraterin, Kursleiterin, Familienbegleiterin und Personality-Stylistin. Die Angst-Expertin begleitet Frauen dabei, ihre Furcht zu überwinden, um sich selbst mehr schätzen zu lernen – für ein rundum sicheres Auftreten.

Da auch Carolines Leben von Angst und Unsicherheit geprägt war, und sie sich mit viel Eigeninitiative und Kampfgeist aus diesem Zustand befreite, kann sie heute andere Betroffene beraten und auf den richtigen Weg bringen. Mode spielt dabei eine große Rolle, denn diese kann helfen sich auszuprobieren, mit anderen Identitäten zu spielen und sich letztlich selbst dabei zu finden. Auf ihrer Webseite bietet Caroline Sommer prozessorientierte Modeberatung an – für Frauen, die modisch mutiger werden wollen.

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