„Es ist ein großer Spaß, zwei Kulturen miteinander zu verbinden und etwas Neues daraus entstehen zu lassen“

Attila Henning

Traditioneller Dirndl-Schnitt, kombiniert mit bunt bedruckten afrikanischen Stoffen: Seit über zehn Jahren kreieren die Schwestern Rahmée Wetterich und Marie Darouiche, ursprünglich aus Kamerun, mit ihrem Label Noh Nee sogenannte Dirndl à l’Africaine. Eine einzigartige, extravagante Tracht, die auch Frauen lieben, die nicht zu den Wiesn-Gängerinnen gehören. Wir sprachen mit Rahmée (59) in ihrem Münchner Showroom über ihren Werdegang und ihr soziales Engagement in Benin

Erfolgreiche und sozial engagierte Unternehmerin: Rahmée Wetterich

HEYDAY: Liebe Rahmée, du bist als Kind nach Deutschland gekommen. In welchem Alter warst du und wie war das damals für dich? Wie hast du dich als Kind hier eingelebt?

Rahmée Wetterich: Natürlich war das schon schwierig. Ich war 12 Jahre alt, als wir nach München kamen. Es war kalt, trist, überall Schnee, ich konnte kein Wort Deutsch und die Menschen waren so anders als in Kamerun, so kühl. Meine Mutter ist Afrikanerin, deshalb haben wir viel von der afrikanischen Lebensart mitbekommen und eine ausgeprägte afrikanische Identität. Mein Vater ist syrischer Kurde, mit französischer Staatsbürgerschaft, wir kommen also aus sehr starken Kulturkreisen. Aber letzten Endes zählt immer, wie viel Liebe du bekommst, damit du dich irgendwo heimisch fühlen kannst.

Wie seid ihr in Afrika aufgewachsen, wie habt ihr in Kamerun gelebt?

Wir hatten sowohl ein Haus in einem Dorf als auch in der Stadt. Wir waren sehr frei und unbekümmert, und unsere ganzen Verwandten waren in unmittelbarer Nähe. Wir hatten ein riesiges Haus, sind den ganzen Tag barfuß gelaufen, jeder kannte jeden – man fühlte sich irgendwie beschützt. Und plötzlich war das Leben komplett anders. Das macht schon was mit dir…

Warum hat deine Familie damals Kamerun verlassen?

Dort war mit der Schulbildung einfach irgendwann Schluss – jede etwas besser gestellte Familie hat ihre Kinder im Ausland in die Schule geschickt. Der ursprüngliche Plan war eigentlich, zur Familie meines Vaters nach Syrien zu gehen. Aber da haben wir Kinder gestreikt, wir wollten das nicht. Dann wollten wir nach Frankreich. Aber schließlich sind wir doch in München hängengeblieben, weil ein Bruder von mir schon hier lebte. Wir sind sozusagen immer noch auf dem Weg nach Frankreich – seit über 40 Jahren (lacht).

Wie du schon sagtest, ihr seid jetzt seit über 40 Jahren hier, was schätzt du an den Bayern, bzw. den Münchnern?

Die Bayern sind vielleicht nicht besonders smooth, aber ehrlich und verlässlich. Wenn hier jemandem etwas nicht passt, dann sagt er das geradeheraus und ist nicht so hintenrum – und man tut, was man sagt.

„Das Leben in Afrika und Deutschland läuft völlig unterschiedlich ab. Hier in Deutschland sind wir alle Arbeitstiere. In Afrika dagegen wird nicht gelebt, um zu arbeiten, sondern gearbeitet, um zu leben“

Wie unterscheiden sich die Menschen in Kamerun und die Deutschen, bzw. die Bayern?

Das Leben läuft völlig unterschiedlich ab. Wir hier in Deutschland sind Arbeitstiere. Ich schätze die Struktur und das alles, was wir hier haben. Trotzdem kann es doch nicht sein, dass wir hier arbeiten bis zum Umfallen, um uns dann fragen zu müssen, was habe ich eigentlich von meinem Leben? Das ist in Afrika ganz anders. Dort wird nicht gelebt, um zu arbeiten, sondern gearbeitet, um zu leben.

Nach so vielen Jahren in Deutschland, was an dir ist besonders deutsch?

Ich habe Sachen gerne zuverlässig erledigt, ich mag Verlässlichkeit. Bei mir muss alles perfekt sein: Wenn eine Modeschau ansteht, bügle ich stundenlang die Kleider – ich will da keine einzige Falte sehen. Die afrikanische Mentalität ist eher so ‚es geht schon irgendwie’, in Deutschland dagegen ‚so geht das nicht’ (lacht). Aber ich schätze die Kombi aus beidem.

Gemeinsam mit deiner Schwester hast du 2010 das Modelabel Noh Nee gegründet. Was bedeutet der Name?

Zunächst mal würde ich sagen, wir machen keine Mode, wir machen Kleidung. Unsere Stücke erzählen eine Geschichte, bei uns gibt es keine Massenware. Für meine Schwester war es sehr wichtig, dass der Name eine gute Bedeutung hat. Deshalb habe ich recherchiert und bin schließlich auf Noh Nee gestoßen. Das bedeutet Geschenk Gottes – und das ist es tatsächlich.

Wie kam es zu der Idee, afrikanische Stoffe mit einem klassischen Dirndl-Schnitt zu kombinieren?

Eigentlich durch unsere Kinder. Sie sind in München geboren und wollten auch gerne Dirndl tragen. Aber in den klassischen Dirndlkleidern haben sie sich nicht gesehen. So kam es schließlich zu der Idee des Dirndls à l’Africaine. Meine Schwester Marie hat also einen traditionellen Dirndl-Schnitt aus den 50er-Jahren genommen und diesen mit afrikanischen Stoffen kombiniert.

So fing die ganze Geschichte an. Während Marie die Dirndl genäht hat, habe ich den Vertrieb und das Marketing übernommen. Es ist ein großer Spaß, zwei Kulturen miteinander zu verbinden und etwas Neues daraus entstehen zu lassen.

Marie ist eine echte Künstlerin. Egal, welchen Stoff du ihr gibst, sie wird etwas Wunderbares daraus zaubern. Das fasziniert mich bis heute und es wird nie langweilig. Der Schnitt ist zwar immer der gleiche, dennoch wird immer etwas völlig anderes daraus. Wenn dann noch die richtige Frau in solch einem Kunstwerk steckt – das ist einfach nur wow!

Noh Nee bedeutet Geschenk Gottes – und das ist unser Label tatsächlich“

Wurde in eurer Familie immer schon genäht?

Ja, eigentlich nähen alle. Ich bin die Einzige, die nicht näht (lacht).

Was sind das für Frauen, die sich für eure Dirndl interessieren? Könnt ihr auch die klassische Dirndl-Trägerin überzeugen? Oder eher Frauen, die normalerweise kein Dirndl tragen würden?

Alles querbeet – ich könnte Bücher darüber schreiben! Wir hatten schon Kundinnen aus New York, aus Ghana, aus Paris. Besonders süß war ein älteres Ehepaar, ganz klassische Trachtler, die sogar ein Trachtenmuseum betreiben. Die Frau in einem langen schwarzen Tegernseer Dirndl. Am Ende ist genau diese Frau mit einem pinkfarbenen Dirndl rausgegangen, und ihr Mann meinte dazu: Farbe ist Leben‘.

Bei uns wird jede Frau fündig. Mit unseren Dirndlkleidern gibt es durch deren Andersartigkeit und dadurch, dass sie nicht so traditionell sind, weniger Berührungsängste, sodass selbst Frauen, die sonst kein Dirndl tragen würden, überzeugt sind.

„Besonders süß war ein älteres Ehepaar, ganz klassische Trachtler, die sogar ein Trachtenmuseum betreiben. Die Frau in einem langen schwarzen Tegernseer Dirndl. Am Ende ist genau diese Frau mit einem pinken Dirndl rausgegangen, und ihr Mann meinte dazu: ‚Farbe ist Leben‘“

Nach welchen Kriterien suchen eure Kundinnen die Dirndl aus? 

Zum einen hat die Kundin natürlich selbst schon eine Vorstellung, was ihr gefällt und zu ihr passt, deshalb lassen wir unseren Kundinnen erst mal Raum, sich zu orientieren – ein solches Dirndl ist schließlich eine Herzensangelegenheit. Nach meiner Erfahrung wird es meist das Modell, dass der Kundin als Erstes ins Auge fällt. Ich beobachte das Ganze zunächst nur. Das ist total interessant, denn die Frauen entdecken sich hier sozusagen. Irgendwann greife ich dann mit ein. Viele sind ganz verwundert, welche Farben oder Muster sie ansprechen, oft ganz gegen die eigene Gewohnheit. Da kommt das Innerste ans Tageslicht und lässt die Frauen leuchten…

Wo und wie werden eure tollen Wachs-Print-Stoffe gefertigt? 

Zum Teil kommen sie aus Afrika, vor allem aber aus Holland. Denn diese ‚typisch afrikanischen’  Wachs-Print-Stoffe wurden lustigerweise vor 150 Jahren in Holland entwickelt. In Afrika war die Technik des Wachs-Prints früher nicht bekannt. Die Niederländer wollten ihre Stoffe ursprünglich in Indonesien verkaufen. Weil dort aber kein Interesse daran bestand, kamen sie letztlich nach Afrika.

2017 haben du und deine Schwester Marie den Münchner Innovationspreis Volkskultur erhalten… 

Ja, eines Tages kam ein Anruf vom Rathaus, wir seien nominiert für den Innovationspreis Volkskultur – für die Zusammenführung zweier Kulturen und die damit einhergehende Innovation.

Ich konnte erst gar nicht realisieren, was da eigentlich gerade passiert. Das war echt wie im falschen Film. Bei der Veranstaltung saßen 300 Leute, alle in Tracht. Die haben uns dermaßen gefeiert! Ich wusste gar nicht, was ich sagen soll. Ich war total überwältigt. Ich habe dort so viel Liebe und ein Meer von Wohlwollen gespürt. Wenn man mich heute fragt, was das Tollste, was ich mit Noh Nee erlebt habe, war? Dann dieses Event – definitiv.

„Wenn man mich heute fragt, was das Tollste war, was ich mit Noh Nee erlebt habe, dann war es definitiv die Ehrung mit dem ‚Innovatiospreis Volkskultur‘“

„Rahmée Wetterich und Marie Darouiche bereichern seit 2010 die Münchner Kulturszene. Durch ihre bezaubernde Transformation von Tracht, die ihresgleichen sucht, schaffen sie eine unverwechselbare Verbindung zwischen der bayerischen und afrikanischen Kultur”

Kulturreferent Dr. Hans-Georg Küppers, 2019

Soziales Engagement und Nachhaltigkeit: Die „Noh Nee Benin Kollektion“ wird komplett in Afrika gefertigt, verarbeitet werden dabei ausschließlich Wax Prints aus Ghana. So trägt das Label zu einer nahtlos fairen und transparenten Produktionskette bei.

Foto: Instagram/Caroline Martin

Kein Wunder, dass Rahmée strahlt, denn die erfolgreiche Unternehmerin und Kulturbotschafterin konnte sich 2016 einen Herzenswunsch erfüllen: Im Rahmen von Noh Nee gründete sie den gemeinnützigen Verein „The Project Justine – Train the Trainer“, der eine Ausbildungs- und Begegnungsstätte im westafrikanischen Benin betreibt.

Lieblingsstücke: Auch abseits vom Oktoberfest lohnt es sich, bei Noh Nee zu stöbern – nach herrlich leichten und farbenfrohen Sommerkleidern, Tops, Hosen und Röcken.

Euer Label hat auch Modeschauen in Afrika organisiert – wie waren dort die Reaktionen auf eure Kleidung? Trägt man dort inzwischen auch Dirndl à la Noh Nee? 

Das war so toll! Was die Menschen dort allerdings nicht verstehen, ist, dass Nähen von Dirndln eine echte Meisterübung ist – und so ein handgemachtes Dirndl natürlich auch seinen Preis hat. Sie empfinden die Dirndl als sehr schön. Aber für sie ist es eben nur ein Kleid. Sie sehen nicht die ganze mühsame Handarbeit dahinter. Prinzipiell wäre es schon was für sie. Aber sie sind eben nicht bereit, den angemessenen Preis dafür zu zahlen.

Ihr habt mit Dirndln angefangen, inzwischen ist Noh Nee auch ein Fashion-Brand. Was habt ihr im Sortiment?

Wir haben noch die Kinderlinie Oonii und das Fashionlabel Noh Nee Benin (NNB) mit stylischen Hemden, T-Shirts, Hosen und Accessoires.

Ihr habt zudem 2012 das Project Justine ins Leben gerufen, um junge Männer und Frauen in Afrika dabei zu unterstützen, einen Beruf zu erlernen. Dafür habt ihr in Benin eine Ausbildungsstätte aufgebaut. Wie kam es dazu und was genau passiert dort?

Früher hatten wir unsere Werkstatt in München mit im Laden. Dort machen wir jetzt nur noch Änderungen und kleinere Arbeiten. Uns war irgendwann klar: Wenn wir unsere Dirndl schon à l’Africaine nennen, müssen wir auch in Afrika produzieren. Allerdings war ebenfalls klar, dass wir dann auch die Ausbildung der Mitarbeiter übernehmen müssten. So haben wir 2012 unser Project Justine in Benin ins Leben gerufen.

Wir wollen mit diesem Projekt mehr Support für Afrika schaffen. Wir haben ein Ausbildungszentrum gebaut, welches wir noch weiter ausbauen möchten. Dafür haben wir extra einen Verein gegründet. In Benin stehen uns 5000 Quadratmeter zur Verfügung. Obwohl wir uns noch im Aufbau befinden, absolvieren dort bereits 30 Leute eine Ausbildung. Geplant ist auch ein bisschen Tourismus. Glücklicherweise können wir das Ganze mithilfe eines Freundes umsetzen, der Dozent für Architektur an der Universität Biberach ist und alles mit seinen Studenten plant.

30 Menschen absolvieren bereits eine Ausbildung in Benin, ein weiteres Ausbildungszentrum des Project Justine ist im Bau und soll Ende Oktober 2023 eröffnet werden.

Justine, die Namensgeberin unseres Projekts, hat zuvor für Partner von uns gearbeitet, von denen wir uns allerdings trennen mussten, da das nicht unser Weg war. Aber anstatt nur zu meckern, wollten wir etwas bewegen. So kam es zu dem Entschluss, selbst etwas aufzubauen und den Verein zu gründen – das Project Justine war geboren.

Wie wollt ihr das Ganze noch ausweiten?

Eine Vision, die inzwischen wahr geworden ist: Die Ausbildungsstätte hat sich inzwischen verdoppelt. Ende Oktober 2023 soll sogar ein zweites Zentrum eröffnet werden. Überdies wollen wir mit einer eigenen Firma in Afrika mit Auftraggebern zusammenzuarbeiten, für die wir etwa Hotelwäsche, Uniformen oder Schulkleidung fertigen. Wenn wir eine Fabrik bauen könnten – etwa für 200 bis 300 Angestellte – könnten wir auch andere Marken bedienen. Denn auf lange Sicht brauchen wir natürlich Arbeitsplätze für die Leute, die wir ausbilden. Derzeit sind wir gerade in Kontakt mit The Wearness, die auch Produkte von uns verkaufen. Mal sehen, was daraus wird…

Die Dirndl von Noh Nee machen auch als Sommerkleider eine phantastische Figur

Alternativer Wiesen-Hit: Neben einem Dirndl ist auch die Variante mit Rock und Rüschenbluse ein garantierter Hingucker

HIER geht’s zum Online-Shop von Noh Nee

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Über die Noh-Nee-Gründerinnen

Marie Darouiche wurde 1952 in Kamerun geboren, in einer Familie, wie man sie aus Filmen und Romanen kennt: Ein grosser Clan, viele Generationen fast unter einem Dach, kreative Menschen mit musikalischer und künstlerischer Begabung, die einander inspirierten. Maries Weg führte sie nach München, ihre Liebe zu afrikanischen Stoffen brachte sie mit. Für sie war es ein logischer Schritt, vor gut fünf Jahren das erste Dirndl aus dem in Westafrika überaus beliebten, bunt bedruckten Pagne-Stoff zu nähen. 2010 tat sie sich mit ihrer Schwester und einer Freundin zusammen, hob Noh Nee aus der Taufe und überrascht seither jede Saison mit neuen Dirndl-Kreationen.

Rahmée Wetterich (59) war viel jünger als ihre Schwester Marie, als sie in München eintraf, jedoch ebenfalls mit einer Extraportion Kreativität ausgestattet. Nach vielen erfolgreichen Jahren im Modebereich eröffnete sie ein Studio für Inneneinrichtung in der Nähe des Nymphenburger Schlosses in München und arbeitete mit exklusiven französischen Stoff- und Möbelproduzenten zusammen. Als Marie das Dirndl à l‘ Africaine erfand, stellte sie die ersten Weichen für das Unternehmen Noh Nee.

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