„Jetzt oder nie”, sagt sich die Wuppertaler Modedesignerin Andrea Halstenbach 2016 und packt mit 53 Jahren ihren großen Traum an: die eigene Mode in New York auszustellen. Innerhalb nur eines Jahres schafft sie es auf die New Yorker Fashion Week und in einen exklusiven Showroom nach Manhattan. Von der Lust und der Kraft die eigenen Ziele zu erreichen und warum es im Leben nie zu spät ist, erzählt sie uns hier
HEYDAY: Andrea, Du hast 2004 Dein Label Halstenbach Fine Clothes gegründet und zunächst in Wuppertal gearbeitet. Wie kam es dazu, dass du 2016 noch einmal etwas völlig Neues wagen wolltest?
Andrea Halstenbach: Ich hätte es die ersten Jahre noch nicht mal „mein Label“ genannt. Ich hatte damals nur eine kleine Kollektion entworfen und die Stücke in der Nähe von Wuppertal verkauft. So richtig befriedigend war das alles nicht, und irgendwann, es muss Ende 2016 gewesen sein, dachte ich „jetzt oder nie“. Es stand dann auch gar nicht zur Debatte es in Deutschland zu versuchen, sondern ich wollte gleich nach New York. Ja, ich bin wohl ein bisschen größenwahnsinnig. (lacht)
So entspannt sieht man die Kreative Andrea Halstenbach selten, denn auch in Zeiten der Krise weiß sie: die nächste Saison kommt bestimmt …
„Was ich mache, kommt tatsächlich aus meinem tiefsten Inneren – ich habe ein sehr gutes Gefühl dabei”
Was waren Deine größten Bedenken oder Zweifel?
Tatsächlich war ich immer sehr von meinem Können als Modedesignerin überzeugt und zweifelte gar nicht daran, es in New York zu schaffen. Für mich war tatsächlich eher das alleine Reisen das größte Hindernis. Denn – auch auf die Gefahr hin, dass sich das jetzt komisch anhört (lacht) – ich war bis zu diesem Zeitpunkt wirklich noch nie alleine irgendwo hingereist, war noch nie alleine geflogen. Das Reisen stand einfach zu keiner Zeit ganz oben auf meiner Agenda. Eine Wendung brachte dann der Sommer 2016. Damals bekam ich eine Einladung auf die Mailänder Fashionweek. Niemand hatte Zeit mich zu begleiten und so musste ich alleine fahren. Ich war wirklich sehr aufgeregt. Doch insgesamt war die Reise mehr als heilsam. Als ich abends alleine auf einer Piazza vor einem Restaurant saß, ein Glas Rotwein in der Hand, einen Teller Pasta vor mir, da war ich so stolz und zufrieden. Und es war alles so viel leichter als gedacht. Diese Erfahrung hat mir viel Kraft gegeben.
Nach New York geflogen bist Du das erste Mal im Herbst 2016. Wie ergab sich damals die Designer-Kooperation mit dem Showroom, in dem Du jetzt ausstellst?
Zunächst klapperte ich verschiedene Showrooms ab, die mir aber alle nicht wirklich gefielen. Zu unterschiedlich war der Stil der anderen Designer. Schließlich wurden wir bei einem weiteren New York Besuch auf die Designer Kooperation Flying Solo aufmerksam gemacht. Flying Solo hat einen eigenen Laden am West-Broadway, natürlich beste Lage, und ich wurde tatsächlich mit meiner Kollektion direkt in den Showroom aufgenommen. Bereits kurz darauf, im Herbst 2017, stand dann auch schon die erste Modenschau von Flying Solo an, bei der ich direkt teilgenommen habe. Die erste Show war noch eher klein, aber schon die nächste fand in den renommierten Pier59 Studios statt. Und das ist schon wirklich ein „Ritterschlag“ für eine Designerin. Vom Entschluss es zu wagen bis zur ersten Modenschau in New York verging also wirklich nur ein Jahr.
Kannst Du dich daran erinnern wie es für Dich war, das erste Mal Menschen in New York mit Deiner Kleidung zu sehen?
Ja, das erste Mal saß ich in der New Yorker Subway. An einer Station stieg ein Mann dazu, mit einem Fake Fur Mantel aus meiner Kollektion. Ich konnte es zunächst gar nicht glauben, aber nach mehrmaligem Hinsehen wusste ich, dass es nur meiner sein konnte. Es war ein auffälliger langer Mantel in Cremeweiß aus langhaarigem Fake Fur. Irgendwann überwand ich meine Schüchternheit und ging zu ihm. „I’m the Designer of your coat“, sagte ich und das Eis war gebrochen. Wir unterhielten uns, bis er ausstieg. Ich war wirklich unglaublich stolz. Danach ist mir das noch einige Male passiert. Aber das erste Mal ist natürlich besonders magisch.
Du bezeichnest New York als Dein zweites Zuhause. Wegen Corona konntest Du seit Ende 2019 nicht nach New York reisen. Inwieweit beschränkt die Pandemie Deine Arbeit?
Corona hat tatsächlich alles für mich verändert. Bis zum Frühjahr 2020 bin ich alle drei Monate nach New York gereist, Modenschauen fanden dort zweimal im Jahr statt. Ich kann noch immer nicht nach New York fliegen – neue Kollektionen zu designen macht daher momentan wenig Sinn. Wie es jetzt weitergehen wird, muss man natürlich erstmal sehen. Für mich ist es auch doppelt schwierig, weil meine Produktionstätte in Norditalien liegt und die Mode in New York hängt – also zwei Gebiete, die besonders stark von Covid-19 betroffen waren. Aber ich versuche den Kopf nicht hängen zu lassen und meinen Optimismus nicht zu verlieren.
Die detailverliebte Designerin posiert auch gerne in einem ihrer Lieblingsstücke: einem Mantel aus Seide, der auch aus Kleid getragen werden kann
Du bezeichnest Dein Label auch gerne als „Familienbetrieb“, was steckt dahinter?
Eigentlich bin ich ein Ein-Frau-Betrieb, aber weil meine Familie doch schon sehr in meine Arbeit involviert ist und mithilft, wo es geht, passt „Familienbetrieb“ etwas besser. Mein Mann ist häufig mit nach New York geflogen, mit ihm habe ich die Showrooms abgeklappert. Meine Töchter helfen bei der Organisation von Modeshootings, Modelscouting und dem ganzen Social Media Management. Das ist wirklich Gold wert. Ansonsten habe ich nur noch eine Modedesign-Praktikantin, die mir ab und zu hilft.
Produziert werden Deine Teile in Norditalien – kannst Du uns erzählen, was das Besondere dabei ist, und welche Stoffe verwendet werden?
Mein Konzept ist es, Strickwaren aus Kaschmir und Merinowolle zu fertigen – sehr teure und in der Produktion aufwendige Materialien. Was ich mache, muss mir selber gefallen und es soll lange halten. Und für mich war immer wichtig, dass sich die Sachen angenehm auf der Haut anfühlen und dass die Materialien gut hergestellt werden. Ich habe immer gerne das Beste vom Besten. Es gehört überdies zu meinem Qualitätsanspruch, dass ich jeden kenne, der für mich arbeitet. Ich kann meine Hand dafür ins Feuer legen, dass alles korrekt abläuft – von der Materialgewinnung bis zur Bezahlung der Stricker:innen. Doch das hat natürlich seinen Preis, weshalb ein Pullover bei mir ungefähr 500 bis 800 Euro kostet. Aber dafür hält solch ein Teil dann auch viele Jahre lang und es hängt kein Blut an der Wolle. Ich verwende Merinowolle aus Neuseeland, die mulesing free ist. Das heißt, dass keine Hautschicht mit abgeschoren wird. Außerdem hinterfrage ich immer die Herkunft des Garns und die Bedingungen für die Tiere.
Dieser ganzen Billigmode stehe ich sehr kritisch gegenüber. Ich sehe keinen Sinn darin, dass es so normal geworden ist, sich ständig neue Sachen zu kaufen, die nach nur wenigen Wochen im Abfall landen. Dann doch lieber wenige ausgewählte Teile, die man jahrelang liebt.
„Ich habe immer gerne das Beste vom Besten”
Wusstest Du immer, dass Du Modedesignerin werden willst oder hattest Du auch noch andere Berufsträume im Kopf?
Nein, ich denke, dass ich schon sehr früh meine Liebe zur Mode entwickelt habe. Schon als Kind achtete ich immer sehr darauf, wie sich jemand kleidete, die Kleidungsstücke kombinierte und ob etwas von guter oder eher schlechter Qualität war. Dieses Modebewusstsein kam auf jeden Fall von meinem Vater, er kleidete sich zwar eher konservativ, aber wirklich ästhetisch. Er hat sich damals in Kriegsgefangenschaft Bilder von Menschen in schöner Kleidung vorgestellt, um der Realität zu entfliehen. Meinen eigenen Stil habe ich schon sehr früh entwickelt. Meine Mutter wollte eigentlich, dass ich eine Banklehre mache, aber ich weigerte mich einfach. Zunächst begann ich heimlich eine Schneiderlehre, und irgendwann habe ich es meinen Eltern erzählt und dann war es auch okay. Ich ließ mich einfach nicht beirren, denn ich wusste, dass ich was mit meinen Händen machen, was erschaffen muss. In einer Bank wäre ich komplett eingegangen.
Nach der Lehre bist Du an die Modeschule nach Düsseldorf gegangen und hast während des Studiums Dein erstes Kind bekommen. Du hast das Studium zwar beendet aber Dich dann erst einmal für einige Jahre nur für die Familie entschieden. Wie war das für Dich? Hast Du das Designen vermisst?
Für mich ist es so: Ich kann immer nur eine Sache hundertprozentig machen und ich wollte die Kinder, wollte eine Familie. Nach der Geburt meiner zweiten Tochter wollte ich Kinder und Designen zunächst noch verbinden, aber das war irgendwie halbherzig. Ich habe es dann erst einmal gelassen. Natürlich habe ich weiterhin geschneidert und entworfen, aber nicht professionell. Außerdem war auch immer für mich klar, dass ich nicht angestellt sein kann, ich will einfach meine eigenen Sachen machen. Erst als mein drittes Kind alt genug war, habe ich mich wieder dem professionellen Designen zugewandt und mein eigenes Label gegründet.
Welche Zielgruppe willst Du mit deiner Mode ansprechen – gibt es eine Message hinter Deinen Entwürfen?
Ich glaube, dass man schon sagen kann, dass meine Entwürfe eher extravagant sind und sich über konventionelle Altersgrenzen hinwegsetzen. Jeder Mensch soll meine Kleidung tragen können. Wichtig ist es mir, dass meine Mode sexy aussieht. Meiner Meinung nach kann auch eine über 70-Jährige sexy aussehen. Diese Einstellung vieler älterer Frauen „Ist ja egal wie ich aussehe, ich bin halt alt“, die kann ich nicht verstehen. Mir ist mein Aussehen nie egal. Na klar wird man älter und verändert sich. Aber deswegen muss sich doch niemand weniger schön fühlen. Nichts sollte zum Zwang werden, sondern Mode soll, meiner Meinung nach, immer vor allem Spaß machen und ich möchte mit meinen Stücken Schönheit in die Welt bringen.
„Meiner Meinung nach kann auch eine über 70-Jährige sexy aussehen”
Wie würdest Du Deinen eigenen Geschmack beschreiben?
Hhmm, schwer zu sagen. Ich persönlich liebe enganliegende Kleider, hoch geschlossene Pullover, auffälligen Schmuck. Aber ich bin vielseitig und sehr tolerant in Bezug auf die verschiedensten Stilrichtungen. Ich finde es einfach toll, wenn man sich was traut und Kontraste entstehen. Zum Beispiel tätowierte Frauen in Latzhosen, mit kurz rasierten oder blau gefärbten Haaren, Dreads – Statement-Looks eben. Ich mag aber auch Styles mit Bluse und Perlenohrringen oder auch das Gegenteil davon: rote Jogginghose, weiße Turnschuhe, viel bling bling. Wenn man sehen kann, dass sich jemand Gedanken gemacht hat und das Aussehen nicht zufällig, sondern bewusst gewählt wurde – dann habe ich davor großen Respekt. Also zusammengefasst kann man wohl sagen, dass ich fast jeder Ästhetik etwas abgewinnen kann.
Was rätst Du Frauen, die mit ihrem eigenen Spiegelbild nicht zufrieden sind?
Sie sollten sich niemals damit abfinden, nicht resignieren. Für mich hat Resignation in Bezug auf das Aussehen etwas sehr Trauriges. Sobald man feststellt, dass man sich nicht mehr so gerne anschaut, dann: sofort etwas ändern! Ich bin immer dafür sich Unterstützung zu holen, wenn man nicht zufrieden ist mit seinem Spiegelbild: Stilberatung, Farbberatung, Friseur – das kann schon wirklich Wunder bewirken. Ich meine damit auf keinen Fall, dass man immer top gestylt sein muss, sondern vielmehr, dass man sich wohlfühlen sollte mit sich selbst – und da reichen schon kleine Dinge.
Zum Beispiel kann ein cooler Lippenstift schon total aussagekräftig sein. Denn das Aussehen hat so eine Triebkraft. Es kann richtig viel Energie geben aber natürlich auch nehmen. Aussehen ist auf keinen Fall nur oberflächliches Gehabe, sondern steht auch dafür, ob man sich etwas wert ist. Natürlich gehören tausend Dinge dazu, ob man sich schön findet oder nicht und manches liegt tiefer, da hilft dann auch kein schickes Kleid mehr. Aber in Zeiten des ganz normalen Alltagswahnsinns wirken ein schönes Kleidungsstück und ein gutes Make-Up manchmal wirklich Wunder. Jeder Mensch sollte ab und an in den Spiegel schauen und denken: „Wow!” Da ist es egal, ob man dem gängigen Schönheitsideal entspricht oder nicht, darum geht es gar nicht. Sondern einfach, dass man sich selbst super findet. Und da macht es doch Sinn, dass man da auch regelmäßig etwas investiert und sich selbst etwas gönnt.
„Jeder Mensch sollte ab und an in den Spiegel schauen und denken: Wow!”
Wie stehst Du Deinem eigenen Alter und Älterwerden gegenüber?
Momentan spielt das Alter bei mir kaum eine Rolle und paradoxerweise habe ich heute, mit 58 Jahren, weniger Angst vor dem Älterwerden als mit 25. Damals hatte ich so eine irrationale Panik, dass ich plötzlich zu alt für so viele Dinge bin. Solche Gedanken habe ich heute nicht mehr. Ich mache was ich will, ohne Rücksicht auf mein Alter. Das was ich momentan schaffe, das machen normalerweise Frauen mit 30. Die Regeln macht man selbst, das scheinen die meisten Leute oft zu vergessen. Also ziehe ich an, was ich will. Ich lasse mich nirgendwo beschränken. Ich bin meistens geschminkt, ich trage fast jeden Tag Lippenstift. Und darüber will ich mit niemandem diskutieren, auch nicht, ob ich das und das noch anziehen darf oder dafür schon zu alt bin. Für was ist man denn zu alt? Wie man an mir sieht, kann man auch noch mit über 50 New York erobern und neue Seiten an sich kennenlernen.
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