JoAni Johnson pfeift seit jeher auf Konventionen und lebt ein buntes, kreatives Leben – von ihrer Jugend in Harlem auf der Höhe der Bürgerrechtsbewegung über durchtanzte Nächte im berühmtesten Club aller Zeiten bis hin zum Start ihrer steilen Model-Karriere mit über 60. HEYDAY sprach mit der Powerfrau über persönliche Erinnerungen, Ansichten und Lebensweisheiten
JoAni während der New York Fashion Week im Petit Salon des Baccara Hotels
HEYDAY: Liebe JoAni, Du bist in New York City im Harlem der 60er und 70er Jahre aufgewachsen. Wie hast Du diese Zeit erlebt und was hat sich seitdem geändert?
Die Grundlage, auf der Harlem einst aufgebaut wurde, war die Idee einer starken Gemeinschaft. Aber als der wirtschaftliche Abschwung kam, wurde so ziemlich alles in Harlem rückläufig, und das Gemeinschaftsgefühl kam uns abhanden.
Die Gentrifizierung von heute hat zwar wieder mehr Möglichkeiten geschaffen, aber wir vermissen noch immer die starke Community, die hier einst herrschte. Diese Entwicklung kann man aber in vielen New Yorker Stadtteilen beobachten. In Harlem und anderswo gab und gibt es eine Zuwanderung von jüngeren Menschen, deren Interessen eher kurzfristig sind, und die nicht in die Gemeinschaft investieren wollen.
Aus dem privatem Album von JoAni: In den Straßen von Harlem Ende der Sechziger. Ihr Look war schon damals cool mit Aviator-Sonnebrille im Haar.
Du warst stets ein großer Fan von Mode. Kannst Du vor diesem Hintergrund ein paar Deiner besten Erinnerungen mit uns teilen?
Im Studio 54 zu sein und mich mit geschlossenen Augen mitten auf Tanzfläche zu bewegen, einfach eine gute Zeit in meinem Stephen Burrows-Kleid zu haben – oh, und natürlich mit Truman Capote zu tanzen! Zu der Zeit trug ich meine Haare hochgesteckt in einer Art antikem griechischen Look, mit an den Schläfen herunterfallenden Korkenzieherlocken, dazu Ohrringe mit Perlentropfen – es war einfach fabelhaft! Ich habe mich immer von Mode angezogen gefühlt, die nicht Teil des Mainstreams war. Ich glaube, es ist eine Kunst, sich so zu inszenieren, dass die Leute die Intention nicht verstehen.
Welche Dekaden, Stile, Musiker oder Mode-Ikonen haben Dich im Laufe der Jahre beeinflusst?
Ich bin ja schon eine ganze Weile auf diesem Planeten unterwegs, also gab es einige. Die Beatles waren einst eine große Inspiration, ich stülpte mir tatsächlich eine Schüssel über den Kopf und schnitt mir die Haare, weil ich wie ein Beatle aussehen wollte. Grace Jones, mein Liebling Gracie – ihr elektrischer Stil war einfach unerhört! Auch die vielen Frisuren, die Tina Turner über die Jahre hinweg getragen hat, haben mich immer wieder fasziniert. Ich habe meine Haare mal blond gebleicht, um ihren Stil nachzustellen – und dabei ein totales Chaos angerichtet! Ach, es hat so viele Einflüsse in meinem Leben gegeben …
JoAni liebt ausgefallene Mode wie das Ensemble von Henrik Vibskov, das sie während der New Yorker Fashion Week trug
Lange graue Haare sind Dein Markenzeichen. Wann hast Du damit aufgehört, Dein Haar zu färben?
Ehrlich gesagt habe ich immer wieder mal versucht, mein Haar zu färben, aber es hat die Farbe nie gut angenommen. Bei einem Blondierungsversuch wurde es grün, was damals nicht akzeptabel war, während es heute total in Mode wäre. Ich habe auch versucht, meine Haare wie Tina Turner zu bleichen, danach war es komplett kaputt. Das war der Zeitpunkt an dem ich aufgab und mir sagte: Deine Haare sind so wie sie sind, und das ist gut so.
Diversity, also Vielfalt, ist derzeit ein großer Trend in der Mode- und Schönheitsbranche. Was hältst Du von dieser Entwicklung?
Ich hoffe wirklich sehr, dass es sich bei Diversity nicht um einen Trend handelt! Sie sollte der der Standard sein!
Die eigene Einzigartigkeit und zugleich den Unterschied gegenüber anderen zu finden, und sich selbst durch Kreativität in irgendeiner Form auszudrücken – das ist extrem wichtig. Jedes kreative Individuum verspürt den Wunsch, sich von Normalitäten zu trennen, aber dennoch in ein Genre oder eine Gruppe zu passen. Früher haben sich die Beatniks und Hippies auf diese Weise gefunden, und die Vielfalt all dieser Gruppen hat am Ende die Diversität ausgemacht. In der heutigen Zeit drücken sich die Menschen durch Piercings und Tätowierungen aus. Das ist das gleiche Konzept – es geht darum, den eigenen „Stamm”, also die passende Gruppe, zu finden.
In unseren westlichen Gesellschaften ist das Altern negativ konnotiert. Was hältst Du von der Tatsache, dass sogar sehr junge Frauen bereits Angst vor dem Altern haben und die Notwendigkeit verspüren, ihr Aussehen maximal zu optimieren? Wie stehst Du generell zum Jugend- und Schönheitswahn?
Wer mal richtig darüber nachdenkt, muss erkennen, dass die ganze Thematik ziemlich idiotisch ist – denn was genau wäre denn die Alternative zum Altern?
Hast du einen Tipp, wie wir glücklich altern können?
Atme, lächle und Du wirst die Freude finden, die das Leben für Dich bereit hält. Wenn man über die aktuelle Pandemie nachdenkt, muss man sagen, dass sie uns ein ganz neues und ausgeprägtes Gefühl für Realismus und Präsenz vermittelt hat. Zudem hat die Technologie das Leben einfacher, aber zugleich auch viel komplizierter gemacht. Alles entwickelt sich rasend schnell. Vor diesem Hintergrund ist es wichtiger denn je, zu lernen, wie man Stress abbaut und das Leben nicht so ernst nimmt. Das Leben ist nicht so ernst wie es sich manchmal anfühlt – das sage ich jungen Menschen immer wieder. Sie empfinden so viele Dinge als dramatisch, die auf lange Sicht überhaupt keinen Unterschied machen. Was das Universum für Dich zu bieten hat, ist nur für Dich allein gedacht – und niemand kann es dir wegnehmen.
Wie hast Du gelernt, auf eigenen Beinen zu stehen, und Dich selbst zu akzeptieren?
Diese Vorgänge kann man zeitlich nicht eingrenzen, denn sie entwickeln sich ständig weiter. Sie wachsen mit jedem neuen Erlebnis, mit jeder Lebensphase. Ein entscheidender Moment für mich war jedoch der Tod meines Mannes. Im Kontext all der Hoffnungen und Träume, die wir gemeinsam hatten, wurde mir klar, dass man das eigene Glück niemals von einer anderen Parson abhängig machen sollte. Unsere Beziehung war sehr stabil und erlaubte uns beiden maximale Unabhängigkeit – als wir einander fanden, war die Freude riesengroß. Wir waren aber nicht ausschließlich voneinander abhängig, wenn es darum ging, glücklich zu sein.
Junge Frauen haben oft das Ideal und auch den Anspruch, vollkommen mit einem Partner verbunden zu sein – sozusagen die Verschmelzung zweier Personen. Dann denke ich: Ja sicher, man braucht Menschen um sich herum, und ja, es ist großartig, einen Partner zu haben, aber man muss zuerst ganz sicher in sich selber ruhen. Selbstvertrauen und Zuversicht spielen dabei eine große Rolle. Ich kann nur sagen: Sei zuversichtlich, sei wer Du bist, und wisse, wohin Du gehst. Selbstakzeptanz entsteht durch Erfahrungen und entwickelt sich lebenslang weiter.
Was gefällt Dir am Modeln am besten?
Die Signalwirkung, die es bezüglich der Veränderungen in der Modebranche hat. Die Begrenzungslinien verwischen endlich und die Definition von Schönheit wird zu Recht erweitert. Alle Moderregeln werden auf den Kopf gestellt.
Was ist Dir im Leben wichtig?
Die Familie, das Atmen und die Umwelt.
Mehr über JoAni Johnson
JoAni Johnson wuchs als Kind einer Jamaikanischen Einwanderin in Harlem, NYC auf, studierte Biologie und Kunst und arbeitete lange Jahre in der Mode-Industrie. Später machte sie eine Ausbildung zur Tee-Expertin – sie mischt und vertreibt heute ihre eigenen Teesorten, die in angesagten Restaurants auf den Tisch kommen. 2016 wurde sie im Alter von 64 Jahren zufällig von einem Streetstyle-Fotografen bei einem Spaziergang mit ihrem Mann Peter in Manhattan abgelichtet – daraufhin castete sie das Magazin Allure für ein Video. Der Rest ist Geschichte: Die Sängerin Rihanna schickte JoAni für ihre Fenty-Kampagne auf den Laufsteg, ebenso wie die Marken Eileen Fisher, Deveaux, Ozwald Boateng und viele weitere. Mit ihrem Alter und ihrer Körpergröße von knapp 163 Zentimetern hat JoAni sämtliche „Catwalk-Regeln” ausgehebelt. Als Model erscheint sie heute regelmäßig in Mode-Kampagnen und renommierten Magazinen. JoAni ist Mutter einer Tochter und seit 2017 Witwe. Die 68-Jährige lebt und arbeitet in NYC.