Exklusiv auf HEYDAY: Jeden Monat teilt Autorin und Aktivistin Romy Stangl ihre Gedanken über Alltagsthemen, das aktuelle Zeitgeschehen und persönliche Erlebnisse in Form einer Kolumne. Diesmal geht es um eine Liebesgeschichte zwischen Mutter und Tochter …
„Mama, du nimmst allem den Spaß!“, ruft meine 12-jährige Tochter hinter ihrer geschlossenen Zimmertür, als ich sie daran erinnere, dass sie sich langsam auf den Weg zur Schule machen sollte. Ist dies das selbe süße Mädchen, das mir, als sie fünf Jahre alt war, sagte: „Wenn du jung bist und ich alt werde, werde ich mich um dich kümmern“?
Mit einer knappen Verspätung von zehn Minuten und einem Augenrollen schliesst sie die Haustür lautstark hinter sich. Sie geht zur Schule und hinterlässt eine Spur ihrer morgendlichen Aktivitäten. Das halb gegessene Frühstück steht auf ihrem Schreibtisch. Schuhe an der Tür, die sie in letzter Minute nicht mehr anziehen wollte. Kuscheltiere und T-Shirts vom morgendlichen „Kleiderwechselmarathon – was ziehe heute nur an?“, auf dem Boden und im Bett. Eine Decke, die sich nach morgendlichem Kuscheln auf der Couch ausbreitet. Eine Zahnbürste neben dem Waschbecken.
Ich verbringe die ersten 15 Minuten nach ihrer Abreise damit, ihr Zimmer aufzuräumen. Dinge wieder dorthin zu stellen, wo sie hingehören. Ich schließe Bücher und stelle sie ins Regal. Ich räume ihre Sachen in den Schrank und ertappe mich dabei, wie ich auf Ihre kleine „Beauty-Ecke“ schaue, wo sie sich ab und zu etwas Puder auflegt. Mein Blick streift ein Bild an der Wand – es zeigt sie im Alter von sieben Jahren. Mit Ihrem süßen Lockenkopf lächelt sie mich an, und ich denke mir „Wo ist die Zeit hin?“
Es fühlt sich an, als wäre sie im Flug vergangen. Heute steht sie im Bad am Spiegel neben mir und streicht sich lästige Strähnchen aus dem Gesicht, während sie ihre Haare zurecht macht. Ich ertappe mich bei dem Gedanken, wie ich selbst in diesem Alter war. Jetzt bin ich die Mutter, die mit Adleraugen schaut und sich fragt, warum sich Ihre Kleine jetzt auf einmal so rausputzt.
Ich lächle in mich hinein und dann komme ich wieder an im Jetzt. Denke darüber nach wo sie ist und wie es ihr geht – genau jetzt. Natürlich ist sie in der Schule, aber ist sie gerade in Ihrer Deutschstunde, was denkt sie gerade, liest sie, redet sie mit Freunden? Hat sie einen guten Tag? Sind alle nett zu ihr? Fühlt sie sich mit Selbstvertrauen gewappnet, um den Tag und alle Herausforderungen, die auf sie zukommen, anzunehmen?
Aber am meisten denke ich darüber nach, dass sie nicht wirklich mir gehört. Ja, ich bin die Mutter. Ich habe sie neun lange Monate in mir getragen, und ich habe mich jahrelang um sie gekümmert. Aber jetzt, erkenne und lerne ich, ja Sie hat ihre eigenen Gedanken. Sie hat ihre eigene Art, mit Situationen umzugehen. Sie hat ihre eigene Persönlichkeit. Und ich erkenne: Sie gehört mir nicht!
Letztendlich kann sie jeden Tag entscheiden, wie sie sein will. Ob sie aus Zitronen Limonade machen, oder ob sie in allem das Schlimmste sehen wird. Ich kann ein gesundes Frühstück auf den Tisch bringen, aber es liegt an ihr, sich dafür zu entscheiden, es zu essen. Auch wenn mir die Art und Weise, wie sie manchmal mit mir spricht, mich anschaut oder sich verhält, nicht immer gefällt, versuche ich tief zu graben und herauszufinden, was sie durchmacht, was sie braucht und was sie sagen will.
Schließlich habe ich gelernt, mein Ego im anderen Raum zu lassen. Das heißt nicht, dass ich einigen ihrer Verhaltensweisen keine Grenzen setze, aber ich versuche, ihre Wahrheit zu finden, die manchmal unter viel Getöse und Täuschungsmanövern begraben ist. Ich sehe, dass die Arbeit, die wir beide in unsere Beziehung investieren, sich auszahlt.
Selbst während einer verzweifelten Interaktion, die sich im Kreis zu drehen scheint, können wir immer wieder den Humor finden. So sagte ich einmal zu meiner Tochter: „Ich kann mich nicht erinnern, dass ich ein Ticket für diese Achterbahnfahrt gekauft habe.“ Ohne Umschweife antwortete sie: „Mama, du hast eine Fahrkarte gekauft, als du mich bekommen hast.“ Das habe ich in der Tat getan! Ich bin mir nicht sicher, wer über die Jahre mehr gewachsen ist, aber wir werden erwachsen und das gemeinsam!
Ich werde daran erinnert, da ich ihre Abwesenheit spüre. Und obwohl ich normalerweise zuversichtlich bin, weiß ich, dass sie auch Fehler machen wird. Und das wird schon in Ordnung sein. So lernt sie. Sie wird nicht von mir lernen, wenn ich ihr sage, was sie tun soll. Sie muss es erkennen und leben. Und das tut sie, jeden Tag ein bisschen mehr. Ich sehe es. Und manchmal muss ich mich daran erinnern, dass es in Ordnung ist, loszulassen.
Sie ist heute das Mädchen, das mir vor nicht allzu langer Zeit diese Zeilen schrieb. Sie gab mir ihre Erlaubnis, sie hier zu veröffentlichen.
„Dinge, die man wissen und immer in Erinnerung behalten sollte“
von Sarah-Sophie (12 Jahre)
Du sollst nur wissen
Du hast nicht immer Recht
Egal, was du denkst.
Eines Tages werde ich dir vielleicht danken.
Aber nicht heute und vielleicht auch gar nicht.
Du sollst nur wissen,
manchmal tue ich so als ob es mir gut geht
aber es geht mir nicht wirklich gut.
Du weisst nicht wie das ist.
Und dein Rat funktioniert in dieser Zeit nicht.
Ich liebe dich!
Du sollst nur wissen.
Ich weiß das zu schätzen, was du für mich tust.
Mir ist nur nicht danach, „Danke“ zu sagen.
Und ich mache mir Sorgen um dich.
Ich weiß einfach immer nicht, wie ich helfen kann.
Weisst du
Dass es schwer sein kann, „Ich liebe dich“ zu sagen.
Aber ich liebe dich!
Und auch wenn ich gesagt habe: „Ich hasse dich““
tue ich es nicht.
Ich liebe dich!
Du sollst nur wissen.
Das, was ich sage, ist im Moment
Nicht morgen, wie dein Rat.
Deshalb höre ich nicht auf dich.
Aber eines Tages werde ich zu dir kommen.
Um Hilfe schreien.
Du sollst nur wissen, dass
wenn ich über Hausarbeiten meckere
ist es nicht böse gemeint
Und mein Zimmer ist in Ordnung, so wie es ist.
Und egal, wie oft du sagst.
„Du kannst mir alles sagen!“
Ich kann es nicht, also komm drüber weg! Das will ich nicht.
Ich liebe dich doch!
Denke immer daran
Egal wann, wo, warum oder was,
ich werde dich wirklich immer lieben!
Ich fühle mich privilegiert, dass meine Tochter ihr Gedicht mit mir teilte und mir vertraute, ihre Gedanken und Gefühle zu akzeptieren. Ich sehe ein zartfühlendes Mädchen, das trotz Sehnsüchten und dem Strebens nach Autonomie auch will, dass ich weiß, dass diese Dinge ihre Liebe zu mir nicht negieren.
Als sie vorhin mit diesem Augenrollen die Tür lautstark zufallen ließ, und sich auf den Weg zur Schule machte, schloss ich die Augen und sang leise mit einem Lächeln auf dem Gesicht diesen wunderbaren Song von Sarah Connor:
„Ich wünsch‘ dir all das Glück dieser Welt
Und, dass sie sich für dich noch ganz lange dreht
Ich wünsch‘ dir Mut und Vertrauen in dich selbst
Und keine Angst, die falschen Fragen zu stellen
Ich wünsch‘ dir keine Angst, ’n dickes Fell, und
‚Ne Liebe, die hält“
Auszug aus „Ich wünch‘ dir“ von Sarah Connor
Mama zu sein ist nicht immer einfach, und dennoch ist es eine Liebesgeschichte, die niemals endet!
Über Romy Stangl
Sie ist Mutter von zwei Kindern, Model, Moderatorin, Vortragsrednerin und vor allem eine nimmermüde Aktivistin für die Rechte und das Empowerment von Frauen: Romy Stangl (45) kämpft mit allen Mitteln und auf vielen Social-Media-Kanälen gegen häusliche Gewalt. Sie ist als Aktivistin bei Terre Des Femmes und Vorstandsfrau von One Billion Rising München tätig, und engagiert sich bei UN Women Deutschland für die Rechte von Frauen weltweit. Überdies begleitet sie eherenamtlich Frauen, die von häuslicher Gewalt betroffen sind, auf ihrem Weg aus dieser Situation, und gibt Frauen auf Youtube und Facebook eine Stimme.