„Hinter dem Aussehen zählt der Mensch“ – Kolumne #01 von Stéphane Bonutto

Überraschung! Unsere neue Kolumne schreibt – ein Mann! Einer, der sich unermüdlich und international für Diversität starkmacht, ein Hetero-Mann, der es liebt, seine empathische Persönlichkeit durch die Kleidung auszuleben, und ein gefragter Diversity & Personal Development Coach. Wir empfehlen euch, Stéphane Bonutto (54) ganz privat kennenzulernen – in unserem HEYDAY-Interview, das wir 2021 mit ihm geführt haben…

„Die Menschen sollten sich mehr anstrengen, weniger dumm zu sein, denn das würde sie am besten kleiden. Das empfehlenswerteste Accessoire ist ein Buch“

Vivienne Westwood 2012 in einem Interview für das SZ-Magazine

HEYDAY-Kolumne: Diversity-Aktivist Stéphane Bonutto, fotografiert von ...
Kolumnist und Aktivist Stéphane Bonutto hat mit @the_heads_count eine eigene Initiative für mehr Sichtbarkeit von Diversität gegründet
Foto: privat

Kürzlich ging das Zitat von Vivienne Westwood auf Social Media viral: „Dieses Gewese um Schönheit wird immer unerträglicher. Die Menschen sollten sich mehr anstrengen, weniger dumm zu sein, denn das würde sie am besten bekleiden. Das empfehlenswerteste Accessoire ist ein Buch“. Die kürzlich verstorbene Vivienne Westwood stand ihr Leben lang für Avantgarde und hinterfragte stets etablierte Normen, um diese zu brechen.

Mal ganz ehrlich…

Das Hinterfragen des Stellenwertes des Aussehens der Menschen und im Umkehrschluss das stärkere Betonen des Stellenwertes derer Intelligenz heißt im Grunde, sich weniger auf das Äußere eines Menschen zu konzentrieren, stattdessen mehr auf das, was hinter dem Erscheinungsbild steckt. Wie oft gelingt es uns aber wirklich? Aufgrund unserer Erziehung, unserer Kultur und unseres Umfeldes sind wir doch sehr daran gewöhnt, uns eine Meinung über Menschen anhand ihres Äußeren zu machen, und sie sogar auf dieser Basis zu beurteilen. Schließen wir kurz die Augen und generieren vor unserem geistigen Auge unser Bild einer Angestellten in einer Bank, eines Arztes, eines Finanz- oder Werbeagenturangestellten, einer Klassik- oder Pop-Musikerin. Was fällt uns auf? Diese Berufe werden mit einem typischen äußeren Erscheinungsbild assoziiert.

„Voreingenommenheit in Bezug auf das Urteilen nach dem Äußeren steckt instinktiv in allen von uns. Jetzt geht es darum, dies aktiv zu hinterfragen, um Klischees zu überwinden“

Stéphane Bonutto

Ein Reflex aus der Urzeit der Menschen

Psychologen nennen dieses Phänomen die „unbewusste Voreingenommenheit“. Dieser Begriff ist auch öfter in seiner englischen Wortfassung „unconscious bias“ anzutreffen. Das Urteilen nach dem Äußeren geschieht in uns blitzschnell und stammt aus der Urzeit der Menschen, als sie sich sofort nach dem Treffen mit einem unbekannten Wesen eine Meinung machen mussten, ob dieses Wesen für sie gefährlich ist oder nicht. Es ging um den Überlebensinstinkt. Trotz aller Erfahrungen und des technologischen Fortschrittes ist dieser Reflex im Mensch geblieben und lässt sich kaum ausschalten. Dieser Reflex ist an sich nicht verwerflich, es geht eher darum, sich dessen bewusst zu werden, dass die Voreingenommenheit in jedem Menschen wohnt, und sich zu überlegen, wie wir ihr entgegenwirken können, indem wir Klischees überwinden und vorgefertigte Meinungen aktiv hinterfragen und überdenken.

Normalität versus Individualität

In den gut zehn letzten Jahren hat mich diese Frage nach dem Sinn des normierten Aussehens von Menschen zunehmend beschäftigt, vielleicht weil in mir sowohl ein klassisch erzogener Mensch als auch ein anti konformistisches Individuum wohnen. Ich habe mir immer stärker die Frage gestellt, warum die Individualität eines Menschen derart in den Hintergrund treten sollte, damit dieser Mensch dem Bild entspricht, das andere Menschen sich über ihn vor allem aufgrund seines Berufes machen.

Im Umkehrschluss habe ich mir überlegt, welche Entwicklungschancen ein Mensch wahrnehmen kann, und welche Risiken er zugleich eingeht, wenn er seinem wirklichen ICH den Platz einräumt, den dieses Ich verdient. Es ist mir klar geworden, dass ein Mensch doch viel komplexer ist, als dieser Mensch sich nach außen gibt. Und dass gesellschaftliche Normen eine eher begrenzende Wirkung auf den Ausdruck der zahlreichen Facetten des Menschen üben können (wenn wir sie denn lassen).

ICH sein verlangt Mut

Die naheliegende Frage lautet, wie wir als einzelne Personen den Weg finden können, unsere wahre Persönlichkeit in den verschiedenen Situationen unseres Lebens ausleben können, und welche Kräfte dafür notwendig sind. Zugleich stellt sich die Frage, wie wir unsere Mitmenschen ermutigen können, auch ihr eigenes ICH authentisch zu leben. Es bedarf einer eigenen Standortbestimmung und die Formulierung einer klaren Vision darüber, wofür wir stehen und wie wir von der Außenwelt wahrgenommen werden wollen. Es bedarf zugleich einer intrinsischen Motivation und zugegeben einer guten Portion Mut, um die ersten Schritte zu machen, sich den Rückfragen (vielleicht sogar der Kritik) unseres Umfeldes zu stellen, und selbstbewusst in den konstruktiven Dialog zu treten. Vielleicht gehen wir am besten die ersten Schritte, indem wir den Anderen gönnen, so zu sein, wie sie sein möchten – indem wir uns zwar eine Meinung bilden, jedoch kein Urteil fällen, das wir gegebenenfalls harsch zum Ausdruck bringen.

Authentisch gelebte Diversität

Diese Einstellung bildet die Basis für das inklusive Verhalten und für die Anerkennung der Diversität der Menschen. Diversität und Inklusion (D&I) sind heute in aller Munde, in unseren Demokratien sowie in zeitgemäß geführten Unternehmen bzw. Organisationen. Authentisch gelebte Diversität und Inklusion sind Grundsteine für Meinungsfreiheit und Frieden. Dabei gilt es, keine Feigenblätter vor uns zu halten und das sogenannte Pinkwashing zu vermeiden. Zugleich ist Diversität und Inklusion eine Zweibahnstraße, in der Toleranz, Akzeptanz und Wertschätzung auf Gegenseitigkeit beruhen.

HEYDAY-Kolumne: Diversity-Aktivist Stéphane Bonutto, fotografiert von ...

„Diversität, Inklusion sowie persönliche Entwicklung und gegenseitige Stärkung sind Themen, die mir am Herzen liegen“

Stéphane Bonutto

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Foto: privat

„Hinter dem Aussehen der Menschen sind deren Werte und deren Köpfe das, was zählt.

Stéphane Bonutto

Diversität braucht Sichtbarkeit

Im letzten Jahrzehnt wurde in Sachen Diversität und Inklusion ein gutes Stück Weg zurückgelegt, vieles liegt jedoch vor uns. Diese Erkenntnis ist, was mich dazu bewegt hat, vor ein paar Jahren eine eigene Initiative zum Thema D&I zu gründen. Als es darum ging, einen Namen für diese Initiative zu finden, fiel mir dieser Gedanke wieder ein: Hinter dem Aussehen der Menschen sind deren Werte und deren Köpfe das, was zählt. Auf englisch: „Behind the appearance of people, their mind and their head are what count“. Die Initiative wurde kurz gefaßt @the_heads_count getauft.

Es ist mir heute eine Freude und eine Ehre, diese Kolumne für HEYDAY zu starten. Diversität und Inklusion, sowie persönliche Entwicklung und gegenseitige Stärkung sind Themen, die mir sehr am Herzen liegen. Wir stehen am Anfang einer faszinierenden Reise. Lasst uns die Reise gemeinsam beginnen. Wir sprechen uns bald wieder.

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