Ihren 50. Geburtstag zu feiern, war für Sport-Physiotherapeutin Sabine Heyden-Straub erstmal nicht so einfach. Doch dann packte sie der Mut: Sie nahm an der Wahl zur Miss Germany 50 Plus teil – und obwohl sie nicht gewann, und sich noch immer von Falten nerven lässt, ist sie heute gelassener denn je…
Fotografin: Andrea Müller-Schulz für Tina Magazin
HEYDAY: Liebe Sabine, wie erlebst du das Älterwerden?
Sabine Heyden-Straub: Das ist eine spannende Frage und so einfach nicht zu beantworten. Ich glaube ich bin an der Stelle ein wenig ambivalent unterwegs. Jedes Alter hat seine Vor- und Nachteile. Das tolle am Älterwerden ist die Gelassenheit die man entwickelt. Man hat eine andere Sicht auf die Dinge. Man hat viel erlebt, dazu gehören Höhen und Tiefen. Man hat sich ausprobiert, man hat gewonnen und ist aber auch mal kräftig gescheitert. Die Entscheidungen, die man heute trifft, basieren auf dem Erlebten und das ist gut so. Schön ist, dass man nicht mehr so wetteifern muss, man ist angekommen und trotzdem noch an Neuem interessiert – aber eben anders, gelassener. In mir hat sich eine tiefe Zufriedenheit breit gemacht, ein wunderbares Gefühl!
Dennoch, wenn mir jemand das Angebot machte, zehn Jahre jünger zu sein, ich würde Ja sagen. Ich gehöre nicht zu der Fraktion, die sagt: ich liebe jede Falte und jedes Gramm mehr an mir. Ich hadere an der Stelle nicht täglich und es dominiert auch nicht mein Leben, aber gefallen tut es mir nicht.
Was war früher besser und in welchen Situationen bist du heute gelassener?
Früher hatte ich keine Gelenkschmerzen, das war großartig! Früher ist es mir deutlich leichter gefallen, die Pfunde, die zu viel waren, in kürzester Zeit wieder loszuwerden. Ich vergleiche meine Jugend und meine Zeit als 20- bis 30-Jährige mit dem Leben meiner Kinder. Lara ist 24 und mein Sohn Luka 21. Mein Gefühl sagt mir, dass ich mit anderen Sinnen unterwegs war. Wir haben damals stundenlang telefoniert, haben uns immer getroffen, sind in Bars und Discotheken ein- und ausgegangen. Ich bin mit meinen Mädels viele Wochen unkompliziert mit Rucksack und Isomatte durch Griechenland gereist.
Ich empfinde die heutige Zeit als deutlich schnelllebiger. Social Media, das Chatten, Bilder und Videos versenden – alles auf der einen Seite ganz toll und unkompliziert, auf der anderen Seite läuft es so nebenbei, man sitzt vielleicht gerade mit einer Freundin zusammen und empfängt parallel andere Informationen. Permanent laufen Dinge ab und gehen vielleicht in Teilen an einem vorbei. Ich nehme diese Verhaltensmuster an mir inzwischen genauso wahr – muss aber sagen, dass ich glücklich bin, es anders erlebt zu haben. Sich am Telefon oder bei einem Face-To-Face-Gespräch auseinanderzusetzen ist eine andere Sache, als mal eben schnell etwas in die Tasten zu hauen.
Ich bin kein Mensch, der sagt: Früher ist alles besser gewesen. Jede Zeit hat ihre Vor- und Nachteile, man sollte offen sein und offen bleiben. Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne (Hermann Hesse). Ich kann meine heutige Gelassenheit nicht an einer bestimmten Situation festmachen, sie ist spürbar da und äußert sich zum Beispiel darin, dass Dinge nicht mehr sofort passieren müssen.
Deine Leidenschaft bzw. dein neues Hobby ist das Modeln? Was bedeutet dir das?
Mein Selbstbewusstsein war nicht das größte, es ist mit dem Älterwerden gewachsen und wurde tatsächlich auch ein Stück durch das Modeln gepuscht. Freundinnen haben mir zum 40. Geburtstag ein Fotoshooting geschenkt und mich dazu motiviert, mich mit den Fotos bei Agenturen vorzustellen. Das Shooting war toll, die Bilder irgendwie auch und ich habe mich beworben. Ich liebe es, vor der Kamera zu stehen. Von Mal zu Mal baut man Hemmungen ab, wird innerlich und äußerlich freier. Als ich dann mit 50 bei der Miss Germany 50 Plus und einem Schleswig Holstein Contest jeweils zu den Finalistinnen gehörte, dachte ich mir: Da geht ja noch was!
Die Arbeit vor der Kamera macht mich glücklich. Ich finde es toll, dass wir sogenannten Best Ager eine solche Bühne haben. Das ist schließlich die Realität. Und dennoch wird auch in diesem Alter in Teilen vorgegeben wie der Trend auszusehen hat. Im Moment werden oft die wunderschönen grauhaarigen Ladys gebucht. Waren es früher die Maße, sind es heute Trends, die bestimmt werden. Ich werde mein Haar, das natürlich auch beginnt grau zu werden, weiterhin strähnen und dem Trend nicht folgen. Wenn man mich nicht bucht so wie ich bin, dann eben vielleicht ein anderes Mal. Das Modeln gibt mir die Möglichkeit eine ganz andere Seite von mir zu zeigen. Es ist wunderbar, wenn das Leben so bunt ist und man in unterschiedliche Rollen schlüpfen kann.
Die Miss Germany 50 Plus-Wahl war für dich ein entscheidender Moment. Hast du dich aus eigenem Antrieb direkt dort beworben? Und hat es dich Überwindung gekostet?
Meine Tochter, die auch modelt, hat mich dazu bewogen und mir Mut gemacht, mich einfach zu bewerben. Als Statistin hatte ich einmal bei einem Werbespot mitgemacht, das hat mir gefallen. Also habe ich spontan einen kurzen Bewerbungstext über mich verfasst, zwei Bilder dazugepackt und einfach abgeschickt. Ich kann andere Frauen nur ermutigen, einfach Dinge zu wagen und auszuprobieren. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt!
Du hast einen anstrengenden Job. Wie bleibst du so ausgeglichen?
In der Tat ist es nicht immer einfach, in einer Suchtklinik zu arbeiten. Die Patienten haben neben orthopädischen und neurologischen Erkrankungen immer auch eine psychische Diagnose – das macht die Behandlung oft schwieriger. Hier fließt für mich der Umstand meiner mit dem Alter gewachsenen Gelassenheit mit ein: Heute kann ich mich deutlich besser abgrenzen. Ich nehme nicht mehr jede Geschichte mit nach Hause. Ich habe nach wie vor Freude an meinem Job und würde behaupten, ihn auch noch mit dem selben Elan zu machen wie früher – die Patienten geben mir jedenfalls das entsprechende Feedback. Aber ich habe gelernt, Unrat vorbeischwimmen zu lassen.
Wir nehmen die Patienten in unserer Abteilung auf, sie formulieren Ziele und ich erarbeite mit ihnen einen entsprechenden Plan. Ein Satz, den ich sehr häufig verwende, lautet: Ich gebe Ihnen das Besteck, essen müssen sie allerdings selber. Meine Strategie ist – und diese ist auch mit dem Älterwerden gewachsen – dass jeder in gewisser Hinsicht seines eigenen Glückes Schmied ist. Ich biete Hilfestellung im Job, in der Familie und auch im Freundeskreis. Den Weg muss aber jeder selbst beschreiten – und ich habe gelernt, dass ich nicht jeden retten kann. Dieses Gefühl gibt mir zunehmend die Kraft, schwierige Situationen auszuhalten und anzunehmen.
Für das Magazin Tina hat Sabine bei einem Vorher-Nachher Shooting mitgemacht und sich umstylen lassen. Produzentin: Bettina Schönfelder für Tina Magazin, Haare/Make-up: Sasha Hughes, Fotografin: Andrea Müller-Schulz
„Angekommen zu sein bedeutet für mich nicht, sich zurückzulehnen, sondern auch mal die Komfortzone zu verlassen”
Stichwort Entspannung: Wie verbringst du in diesem Jahr deinen Urlaub?
Mein Mann und ich erfüllen uns einen Herzenswunsch und machen eine lange Reise. Wir haben uns ein Wohnmobil gekauft, uns ein sogenanntes Sabbatkonto erarbeitet und nun geht es los. Es ist ein Geschenk, mit seinem Partner in jeder Hinsicht an einem Strang zu ziehen: Wir lieben es Neues zu erkunden, wir lieben die Natur, unterschiedliche Kulturen und Speisen. Jetzt haben wir ein Zeitfenster, das es möglich macht, ohne Druck zu reisen. Wir bleiben an den Orten, die uns gefallen auch gerne länger. Wir sind mit dem Wohnmobil so herrlich frei, einfach traumhaft! So etwas funktioniert nur, wenn man sich den Spruch Lebe deinen Traum und träume nicht dein Leben zu eigen gemacht hat – und das ist meinem Mann und mir gemeinsam geglückt!
Lässiger Style: Sabine im Magazin Tina, fotografiert von Andrea Müller-Schulz
„In meinem Kopf geistert die Idee herum, Wohnformen für ältere Menschen zu schaffen. Es gibt Partnervemittlungsportale, warum gibt es keine Portale für gemeinsame Wohnformen im Alter?”
Gibt es etwas Verrücktes, das du unbedingt noch ausprobieren oder erleben willst?
Das ist nichts Bestimmtes, sondern der Wunsch und das Bestreben, immer weiter Dinge auszuprobieren und zu erleben. Ich habe viele Flausen im Kopf. Manchmal denke ich, beruflich noch einmal etwas ganz anderes tun zu wollen. In meinem Kopf geistert die Idee herum, Wohnformen für ältere Menschen zu schaffen. Es gibt Partnervermittlungsportale, warum gibt es keine Portale für gemeinsame Wohnformen im Alter, sogenannte Online Matching Systeme? Ich denke aus eigenen Beweggründen darüber nach und könnte mir vorstellen, daraus ein Business zu entwickeln. Warum nicht zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen? Das eigene Alter und Veränderungen im Blick haben, Wege ebnen und daraus ein neues Geschäftsmodell generieren – das wäre eine spannende Herausforderung. Ich bin im Übrigen auf der Suche nach klugen und interessierten Köpfen, die Lust haben, diesen Gedanken mit mir weiter zu spinnen. Bei der Betrachtung des demographischen Wandels ist es unausweichlich, das eigene Alter und die Wünsche, die man das Alter betreffend hat, rechtzeitig in Bahnen zu lenken, die einem angenehm und lebenswert erscheinen. Dieser Gedanke – etwas aus eigenem Interesse anzuschieben – stellt für mich eine spannende neue Herausforderung dar.
Angekommen zu sein bedeutet für mich nicht, sich zurückzulehnen und alles beim Alten zu lassen, sondern im Kopf flexibel zu bleiben, zuzuhören und auch mal die Komfortzone zu verlassen. Was ich unbedingt erleben will, sind die Auswirkungen dessen, dass gerade meine und die Generation meiner Eltern nun bereit ist, einem ziemlich kompromisslosen Wandel zuzustimmen. Spätestens jetzt, wenn wir das katastrophale Geschehen im Südwesten Deutschlands sehen, muss auch dem Letzten klar geworden sein, dass es nicht die alleinige Aufgabe der fridays for future-Bewegung sein kann, einen Wandel einzuleiten. Ups, nun bin ich doch noch politisch geworden. Im tiefsten Herzen bin ich ein Revoluzzer…